Stufen steigen, die Montageanleitung für den Kleiderschrank studieren, sich im Klöppeln versuchen, Jonglieren lernen, Integralrechnungen lösen, Apfelkuchen backen oder einfach nur die Liebesschnulze im TV inhalieren: Jedes Mal, wenn wir uns aktiv mit der Welt um uns herum auseinandersetzen, bleibt etwas davon bei uns hängen. Was genau das im Einzelfall ist, können wir nicht explizit anordnen, aber zumindest beeinflussen (Stichwort: Türsteher Limbus, siehe hier).

Fix ist aber: Jedes Lernen geht Hand in Hand mit erkunden, ausprobieren, filtern, einordnen, analysieren, begreifen, bewerten, vergleichen und verarbeiten, und das passiert bis zu unserem Tod andauernd und automatisch.

Ein Prozess, der sich gar nicht so einfach in allgemeingültige Worte fassen lässt. Die Europäische Union versucht sich trotzdem darin und beschreibt es als „alles Lernen während des gesamten Lebens, das der Verbesserung von Wissen, Qualifikationen und Kompetenzen dient (…)“. Sprich: Es geht um bewusstes und unbewusstes Lernen von der Kindheit bis ins Alter. Wobei – Lernen ist nicht gleich lernen …

Anzeige
Anzeige

Jedes Mal, wenn wir uns aktiv mit der Welt um uns herum auseinandersetzen, bleibt etwas davon bei uns hängen.

Lernen hoch drei

Wir unterscheiden nämlich folgende Formen: Das formale Lernen meint das zielgerichtete und angeleitete Aufnehmen von Inhalten in klassischen Bildungseinrichtungen mit offiziell anerkannten Abschlüssen (etwa Gymnasium mit Matura, Lehre mit Gesellenprüfung). Geplant finden auch nonformale Lernprozesse statt, allerdings zielen diese nicht auf eine bestimmte Zertifizierung ab (z.B. private Sprachkurse, Weiterbildungen).

Die „Lernkiste“ mit dem aufregendsten und vielfältigstem Inhalt ist eindeutig die informelle: Aus ihr schöpfen wir absichtslos und quasi im Vorbeigehen, etwa dann, wenn wir mit der Arbeitskollegin tratschen, das Schminktutorial im Internet sehen, Padel-Tennis ausprobieren oder Oma fragen, wie der Kugelschreiberfleck aus dem T-Shirt geht.

Anzeige
Anzeige
Lernen im Laufe des Lebens

Lernen im Laufe des Lebens

Experten sind sich einig: Unser Gehirn wird bis ins hohe Alter laufend umgebaut, es bleibt also lernfähig. Der Ablauf dieser Prozesse nimmt in unterschiedlichen Lebensphasen aber unterschiedliche Formen an. Weiterlesen...

Entwickeln und Verändern

Lernen ist also viel mehr als die pure Aneignung von Wissen. Es ist ein zutiefst subjektiver Prozess, durch den wir uns entfalten, weiterentwickeln und verändern. Ob diese Tiefenwirksamkeit grundsätzlich auch für das Auswendiglernen von Jahreszahlen, Flüssen oder Versformen gilt, sei hier dahingestellt – aber wir wis sen ohnehin: Gelernt wird nicht für die Schule, sondern fürs Leben. Und das fängt in den allermeisten Fällen erst danach so richtig an.

In unserer globalisierten und digitalisierten Welt ändern sich die Dinge schnell – und damit auch die wirtschaftlichen und beruflichen Anforderungen, die technologischen Errungenschaften und unsere sozialen Kontakte. Wer sich da draußen also auf Dauer zurechtfinden will, dem bleibt gar nichts anderes übrig, als die eigene Lust am Köcheln zu halten, sich die Welt immer wieder neu anzueignen.

In der Psychologie wird darüber hinaus zwischen dem konditionierten Lernen und dem Modelllernen differenziert – Letzteres schlägt laut Experten immer durch. Das bedeutet: Ein kleines Kind, das von seinen Eltern oder großen Geschwistern immer wieder ermahnt wird, beim Essen nicht zu schmatzen, wird nicht damit aufhören, solange seine Familienmitglieder weiterhin schmatzen. Ähnliche Vorlagen und Erfahrungsbilder bekommt es für viele andere Alltagssituationen, und irgendwann wird sich das Kind dieser bedienen, um seine eigene Identität zu entwickeln und zu festigen. Im Sinne von: „Das ist auch für mich erstrebenswert“ oder „Das will ich gar nicht“.

Bildung verlängert das Leben

Nicht den Anschluss zu verlieren, spontan und wettbewerbsfähig zu bleiben, mitreden zu können, einen Freundes und Wirkungskreis auf und auszubauen oder durch mehr Knowhow schlichtweg auch mehr Erfolg oder Geld zu haben – lauter gute Gründe für lebenslanges Lernen.

Und da geht sogar noch mehr: Lernen macht schlicht und einfach glücklich. Jede positive Lernerfahrung beschert uns einen Endorphinschub, und davon kriegen wir bekanntlich nicht genug. Obendrein ist Bildung die beste Altersvorsorge: Studien zeigen nämlich in mehrerlei Hinsicht einen positiven Zusammenhang zwischen geistiger Fitness und Hirnalterung. Ein interessantes und stimulierendes Leben kann demnach unter anderem neurodegenerative Erkrankungen wie Demenz hinauszögern respektive abschwächen und somit lebensverlängernd wirken.

Kein Wunder, dass Wissenschaftler das Lernen in den erlesenen Kreis der „fünf L“ (wahlweise sind es auch nur drei oder vier L) aufgenommen haben: Die Jungbrunnen-Formel setzt für ein gesundes Altern neben dem Lernen auch das Leben (im Sinne eines bewussten Auf-sich-Achtens), das Laufen (als Synonym für einen aktiven Lebensstil), das Lachen (steht für eine positive Grundeinstellung) und das Lieben (meint jegliche bereichernde persönliche Beziehung) voraus.

Und auch wenn die Merkfähigkeit ab etwa dem sechzigsten Lebensjahr langsam nachlässt, sind sich Wissenschaftler heute einig: Unser Denkorgan ist bis ins hohe Alter in der Lage, sich anzupassen. Es liegt also zu einem großen Teil an uns selbst, es zeitlebens zu pflegen und die kognitive Leistungsfähigkeit so lang wie möglich zu erhalten. Den Grundstein dafür legen wir, wie könnte es anders sein, schon in der Kindheit: Je vielfältiger und breiter die da ausgeprägte Struktur des Gehirns nämlich ist, desto mehr Bereiche gibt es, in denen wir als Jugendliche oder Erwachsene Fortschritte machen können.

„Jedes Gehirn ist nichts anderes als das Protokoll seiner Benutzung“, bringt es der deutsche GehirnGuru Manfred Spitzer auf den Punkt – und das ist bei näherer Betrachtung eine richtig gute Nachricht. Es bedeutet nämlich, dass unser Gehirn an seinen Aufgaben wächst.

Jedes Gehirn ist nichts anderes als das Protokoll seiner Benutzung.

Angeeignet statt angeboren

Wir können so wenig, wenn wir auf die Welt kommen, und so viel, wenn wir sie wieder verlassen. Der überwiegende Teil unseres Wissens, unserer Verhaltensweisen, unserer Fähigkeiten und Emotionen ist demnach nicht angeboren, sondern angeeignet. Sie verändern sich mit jedem neuen Lernprozess – und das wirkt sich dann wiederum auf unser Gehirn aus.

Dieses lebenslange Wechselspiel ist nicht nur unglaublich faszinierend, sondern macht unser Gehirn auch zum kompliziertesten Organ, das die Natur hervorgebracht hat. Was beim Lernen in den rund 100 Milliarden Nervenzellen genau abgeht, schauen wir uns hier genauer an.