Flygskam – dürfen wir noch fliegen?
Unsere Autorin hasst es zu fliegen. Aber darf sie anderen sagen, dass sie damit aufhören sollen?
Es ist Mitte 2019, das Thema Fliegen ist in aller Munde. Es ist noch nicht lange her, dass Fliegen eher mit Hype verknüpft war als mit dem Wort flygskam, also Flugscham, das sich in Schweden seit den Schülerprotesten rund um Greta Thunberg etabliert hat.
Meine Faustregel: Alles, was in zehn Stunden mit dem Zug erreichbar ist, wird auch so angereist.
Meine Gefühle darüber, dass nun eine Diskussion über „Fliegen: ja oder nein“ ausgebrochen ist, sind gemischt. Wieso (erst) jetzt? Ich fliege prinzipiell nicht sehr gerne. Meine Faustregel: Alles, was in zehn Stunden mit dem Zug erreichbar ist, wird auch so angereist.
Flygskam vs. Shitstorm
Flygskam habe ich wahrscheinlich schon empfunden, bevor ich wusste, was das Wort eigentlich heißt. Der deutschen Autorin Kathrin Weßling geht es ähnlich. Nachdem sie einen Kommentar mit dem Titel „Wer noch ins Flugzeug steigt, ist Klimasünder“ auf ZEIT online veröffentlicht hatte, brach der Shitstorm-Himmel über ihr zusammen.
„Dann dürfen wir ja gar nichts mehr“, so ihre Kritiker. Es ist das schlechte Gewissen, das anklopft und sich dabei in Trotz verwandelt. Sie hatte hauptsächlich die vielen Flüge innerhalb Deutschlands für problematisch erklärt. Innerhalb Österreichs fliegen sogar Ministeriumsmitarbeiter. Eine Absurdität, wenn man die kaum vorhandene Zeitersparnis bedenkt. Aber darf man Verzicht predigen?
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Wie viel sind zwei Prozent?
Ein Abendessen unter Freundinnen. Die Diskussion dreht sich – Überraschung – ums Fliegen. Es fallen die üblichen Argumente: Ein Flug Wien – London und retour führt zu einer halben Tonne CO2-Ausschuss. Ein Langstreckenflug Wien – New York zu etwa zweieinhalb Tonnen. Das ist mehr, als wir jährlich ausstoßen dürften, um klimaverträglich zu leben.
Am nächsten Tag schickt sie mir einen Artikel mit dem Titel „Verzicht rettet die Welt nicht“. Das Argument? Der Flugverkehr mache nur zwei Prozent der weltweiten Treibhausgas-Emissionen aus. Im Vergleich zu anderen Industrien sei das nichts.
Zwei Prozent klingen nicht nach viel. Doch laut der International Air Transport Association IATA könnte sich das bald ändern. Allein in China sollen bis 2037 eine weitere Milliarde an Fluggästen dazukommen.
Rechnet man alle Schadstoffe mit ein (also auch Wasserdampf, Schwefeldioxid, Ruß oder Lachgas), berechnet die Heinrich-Böll-Stiftung einen Anteil von fünf Prozent. Das Argument, nicht auf Flugreisen verzichten zu müssen, weil es andere Bereiche gibt, die eine noch größere Umweltauswirkung haben, halte ich nicht für zielführend. (Und ist es Zufall, dass der Nachname des Autors Boeing ist?)
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Unvernünftige Alternativen, permanente Widersprüche
Womit er jedoch recht hat: Das Spiel mit dem schlechten Gewissen gegenüber Individuen ist problematisch. Uns wird gesagt, dass wir unseren Lebensstil ändern müssen, dass die Zukunft von unseren Entscheidungen abhängt. Aber wie soll das gehen, wenn die zur Verfügung stehenden Alternativen unvernünftig sind und einem Paradoxon unterliegen?
Das Dilemma: Diejenigen, die für sich entschieden haben, klima- und umweltbewusst leben zu wollen, stoßen permanent auf Widersprüche. Es wird uns eine Verantwortung gegeben, die nicht einhaltbar ist. Umweltfreundliche Produktion kann nicht auf Freiwilligkeit beruhen, genauso wenig die Förderung von Alternativen zum Flugverkehr. Vielleicht sollten wir versuchen, den Zeigefinger gegenüber den Richtigen zu erheben?
PS: Dieser Artikel wurde im Railjet verfasst. Ich kann Sie beruhigen: Das WLAN ist hier fast gleich gut wie im Flieger.