In Partnerschaft mit

Was bedeuten alle diese Behauptungen rund um den Alkohol eigentlich? Es wird Zeit, sechs Mythen genauer unter die Lupe zu nehmen.

  • Tipp: Ganz anonym und niederschwellig kann man auf alkcoach.at sein Trinkverhalten einem Selbsttest unterziehen. Ein sechswöchiges Online-Selbsthilfeprogramm kann dabei unterstützen, nach selbst gesteckten Zielen den Alkoholkonsum zu reduzieren.

1. Ein Glas Rotwein am Tag ist gut fürs Herz

„Moderater Alkoholkonsum hat eine positive Wirkung aufs Herz-Kreislauf-System.“ Und: „Das tägliche Glas Rotwein schützt vor koronaren Gefäßerkrankungen.“ – Ansichten, die vor nicht allzu langer Zeit als Common Sense galten, aber heute wissenschaftlich widerlegt sind: Alkohol ist ein Zellgift und auch in geringen Mengen schädlich für den Körper, belegen aktuelle Studien.

Anzeige
Anzeige

Das gesunde Glas Wein gibt es nicht“, bestätigt Prof. Michael Musalek. „Es gibt das Glas Wein, das nicht krank macht. Man kann zwar Alkohol in geringen Mengen und selten zu sich nehmen, ohne krank zu werden. Dass man davon gesund oder gesünder wird, ist heute nicht mehr haltbar.“ Das gilt übrigens auch für Bier als viel gepriesenes isotonisches Getränk.

2. Der Verdauungsschnaps

Der Glaube, dass ein Schnaps nach dem Essen die Verdauung ankurbelt, hält sich hartnäckig. Tatsächlich sorgt Alkohol für eine kurzfristige Erweiterung der Blutgefäße und entspannt die Magenmuskulatur, was zunächst als Erleichterung empfunden werden kann.

Anzeige
Anzeige
  • Doch diese Wirkung ist trügerisch: Alkohol verlangsamt die natürliche Magenentleerung, da er die Ausschüttung bestimmter Verdauungsenzyme hemmt, wie eine im „American Journal of Physiology“ veröfentlichte Studie belegt. Statt die Verdauung anzuregen, belastet der Schnaps den Magen eher zusätzlich. Der Verdauungsschnaps bleibt somit eher ein Ritual als eine wirksame Hilfe.

  • Ein Spaziergang nach dem Essen ist da effizienter.

3. Alkohol macht dich locker

Stimmt – aber nur zum Teil, erklärt Prof. Musalek: „Alkohol hat wie jedes Suchtmittel eine positive psychotrope Wirkung, die unmittelbar einsetzt. Er ist eine angst- und spannungslösende Substanz und in niedriger Dosierung auch euphorisierend und enthemmend – das ist bei der sozialen Interaktion oft erwünscht. Gerade für Menschen, die etwas schüchtern sind, wird es durch Alkohol leichter, in Kontakt zu kommen und Barrieren abzubauen.

  • Das Problem ist: In höherer Dosierung verändert sich dieser Effekt und kann ins Depressive kippen. Im Unterschied zu anderen Suchtmitteln hat Alkohol nämlich eine Doppelwirkung, die dosisabhängig ist.“ Ein achtsamer Umgang und das Kennen der eigenen Grenzen ist also entscheidend, um nicht die Kontrolle zu verlieren und negative Folgen zu vermeiden.

4. Alles unter Kontrolle

Zwei Aperol Spritz nach dem Office, auf der Geburtstagsparty drei Bier, ein paar Gin Tonic im Club. Wo hört Spaß- und Genusstrinken auf, und wo fängt problematischer Konsum an?

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat 2023 im Fachjournal „The Lancet Public Health“ eine Erklärung mit dem Fazit veröffentlicht: Beim Alkoholkonsum gibt es keine gesundheitlich unbedenkliche Menge.

Für Prof. Musalek ist nicht nur die Menge, sondern vor allem die Motivation für den Alkoholkonsum entscheidend: „Ausschlaggebend ist, ob ich mich mit Alkohol dauerhaft selbst medikamentiere, also Wirkungstrinken betreibe. Eine mögliche Alkoholkrankheit ließe sich mit der einfachen Frage abklären: Haben Sie jemals versucht, weniger oder nichts mehr zu trinken, und sind daran gescheitert?“ Auch wer kaum mehr alkoholfreie Tage verzeichnet, sollte sich über sein Trinkverhalten Gedanken machen: „Der Übergang zur Sucht ist dort, wo man es nicht mehr kontrollieren kann.“

5. „Wein auf Bier“ und der Kater

Die Universität Witten/Herdecke wollte es genau wissen: Macht die Reihenfolge der Getränke den Unterschied beim Kater? Dazu wurden neunzig Studierende eingeladen, die abwechselnd Bier und Wein tranken, bis sie bei 1,1 Promille lagen.

Die Teilnehmenden wurden in Gruppen eingeteilt: Einige starteten mit Bier und wechselten zu Wein, andere umgekehrt. Eine dritte Gruppe blieb beim gleichen Getränk. Am nächsten Morgen wurde die Gruppe mit der sogenannten Acute Hangover Scale – einer Liste für alle klassischen Katersymptome – begutachtet.

Das Ergebnis? Egal ob Bier zuerst oder Wein – der Kater war gleich stark. Entscheidend war vielmehr, wie betrunken man sich fühlte, bevor man ins Bett ging. Fazit: Wer zu viel trinkt, bekommt aller Wahrscheinlichkeit nach einen Kater – ganz unabhängig von der Reihenfolge der Getränke.

6. Wer viel verträgt, hat kein Alkoholproblem

Überraschenderweise ist genau das Gegenteil der Fall. „Wir haben keine Evidenz dafür, dass Alkoholkrankheit erblich ist, aber es gibt eine genetische Disposition, ob man Alkohol gut oder schlecht verträgt“, sagt Prof. Musalek. „Manche Menschen trinken zwei bis drei Gläser und bekommen Kopfschmerzen, es wird ihnen übel, oder sie schlafen ein. Andere haben keine unangenehmen Nebenwirkungen. Die, die den Alkohol gut vertragen, haben eine höhere Wahrscheinlichkeit, alkoholkrank zu werden.“

Nachgefragt bei: UNIV.-PROF. DR. MICHAEL MUSALEK, Vorstand am Institut für Sozialästhetik und Psychische Gesundheit der Sigmund Freud Universität Wien und Ordinarius für Allgemeine Psychiatrie an der Medizinischen Fakultät