Für immer jung, geht das?
Ein Gespräch mit der Molekularbiologin Dr. Renée Schroeder über kaltes Wasser, Verjüngungsdrogen und Sirtfood. Kurz: ihr Masterplan für ein (sehr) langes, gesundes Leben.
Frau Dr. Schroeder, Sie unterscheiden minutiös zwischen Wissen und Glauben – Letzteres zählt für Sie nach eigener Aussage nicht. Alles muss nachweisbar sein, einen Bezug zur Realität haben. Und ausgerechnet Sie haben nun ein Buch über die Unsterblichkeit geschrieben. Wie geht sich das aus? Dr. Renée Schroeder: „Das geht sich gut aus. Erkenntnisse der Alternsforschung zeigen nämlich, dass es gar nicht so komplex ist, den körperlichen Alterungsprozess zu verlangsamen. Ich weiß, dass es möglich ist, weil wir das Werkzeug dazu haben.“
Gut, aber das sind jetzt schon zwei Paar Schuhe: unsterblich sein oder dem Altern ein Schnippchen schlagen. „Natürlich. Die Unsterblichkeit ist ja auch nichts weiter als ein Gedankenexperiment. Ewig gibt es nicht, schon allein deshalb nicht, weil auch das Universum endlich ist.“
Aber an unserem unausweichlichen Ende soll, wenn es nach Ihnen geht, nicht das Alter schuld sein? „Zumindest nicht so früh. Der Tod lässt sich nicht abschaffen, solange es Unfälle, Kriege und Krankheiten gibt. Aber es ist möglich, ihn hinauszuzögern. Den körperlichen Verfall aufzuhalten – und so unliebsamen Folgen des Alterns vorzubeugen, wie Herzinfarkt, bestimmten Krebsarten, Demenz – ist keine Illusion, sondern aus meiner Sicht nur eine Frage der Zeit.“
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Okay, Ihr Plan ist also, sehr alt zu werden und dabei jung zu bleiben? „So ist es. Und ich bin davon überzeugt, dass die Umsetzung in den kommenden zehn Jahren das große "ema der Biochemie sein wird.“
Wie alt würden Sie denn gerne werden? „Schon gern so drei- bis fünfhundert Jahre. Schauen Sie sich den Anoxycalyx joubini an, den Riesenschwamm: Seine Lebensspanne wird auf zehntausend Jahre geschätzt. Oder Wale, Haie, Schildkröten ... Manche von denen können auch ein paar hundert Jahre alt werden.“
Es könnte sein, dass es gar kein maximales Alter gibt und diese Grenze beliebig nach hinten verschoben werden kann.
Dr. Renée Schroeder, Biochemikerin
Ja, schon, nur sind wir keine Schwämme oder Schildkröten. Wie hoch ist denn unsere maximale Lebenserwartung? „Der älteste bekannte Mensch, die Französin Jeanne Calment, ist 1997 mit 122 Jahren gestorben. Die Wissenschaft streitet aber darüber, ob es überhaupt ein maximales Alter gibt oder ob diese Grenze beliebig nach hinten verschoben werden kann. Und wenn wir uns anschauen, wie die Lebenserwartung allein in den letzten hundert Jahren gestiegen ist, muten fünfhundert Jahre gar nicht mehr so größenwahnsinnig an.“
Hui, ich weiß nicht ... Macht Ihnen die Vorstellung, irgendwann einmal 426 Kerzen auf Ihrer Geburtstags - torte auszublasen, gar keine Angst? „Im Gegenteil, es gibt doch noch so viel zu tun und zu entdecken! Fiele diese Zeitbegrenzung weg, würden wir viel freier leben. Dann könnten wir mit neunzig ein Studium beginnen oder mit hundert Kinder bekommen. Wir wären dann zwar alt, hätten aber keine Altersbeschwerden. Unsere Lebensqualität wäre nicht schlechter als mit dreißig oder fünfzig, die Gesellschaft nicht überaltert. Alle würden arbeiten, was wiederum das Sozialsystem enorm verschlankt. Ich finde, das nimmt dem Gedanken an ein paar hundert Jahre mehr auf dem Buckel jeden Schrecken.“
Ja, vielleicht, aber wo sollen all diese Menschen leben? Ist dieses Ziel der ewigen Jugend ethisch und ökonomisch überhaupt zu verantworten? „Nein, das ist es nicht. Für die Erde wären höchstens eine Milliarde Menschen tragbar, jetzt sind wir bald bei acht Milliarden, für 2100 sind sogar elf Milliarden prognostiziert. Aber diese Perspektive lasse ich bewusst außer Acht. Mir geht’s ums Individuum und die Frage: Wie können wir es schaffen, uns so umzuprogrammieren, dass wir viel länger gesund und fit bleiben? Daran arbeiten viele Wissenschaftler.“
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Den Menschen umprogrammieren – das klingt schon nach Science-Fiction. „Ist es aber nicht. Das ist nicht einmal Zukunftsmusik, weil wir das alle längst tun. Seit Beginn unserer Kultur vor 70.000 Jahren haben wir unsere Evolution nach und nach selbst in die Hand genommen. Wir haben immer mehr Dinge erfunden, um unsere Mängel auszugleichen, das beginnt bei der Kleidung und geht über Sehbehelfe bis zu künstlicher Intelligenz. All das dient nur dem Zweck, unser eigenes Aussterben zu verhindern.“
Schuhe oder Brillen sind ja auch super, aber sie sind nicht der Schlüssel zur ewigen Jugend. Was ist es dann? „Das Geheimnis lautet: ständig erneuern statt nur erhalten. Alte Zellen müssen gezielt sterben, damit sie in unserem Organismus keinen Schaden mehr anrichten und junge Zellen ihre Aufgabe übernehmen können. Altern aus biochemischer Sicht bedeutet ja nichts anderes, als dass unsere Zellen die Fähigkeit verlieren, sich zu teilen und die DNA zu reparieren. So vegetieren sie vor sich hin, sterben aber nicht, sondern häufen sich an, verklumpen und entzünden das Gewebe rundherum.“
Und das begünstigt altersbedingte Krankheiten? „Genau. Bei einigen Tieren und Pflanzen klappt dieser programmierte Zelltod – der Fachbergriff lautet Apoptose (im Gegensatz zur Nekrose, dem Zelltod durch Krankheit oder Unfall; Anm.) – wunderbar. Etwa bei Bäumen, wenn das Grün nach einem genauen Plan an einer Sollbruchstelle vom Ast abgeworfen wird und so neue Blätter wachsen können. Oder bei der Hydra.“
Dem Ungeheuer aus der griechischen Mythologie, dem zwei Köpfe nachwachsen, wenn es einen verliert? „Ja, sie ist die Namensgeberin für einen winzig kleinen Süßwasserpolypen, der die erstaunliche Fähigkeit hat, sich vollkommen zu regenerieren: Schneidet man ihn entzwei, entstehen daraus zwei Tiere.“
Das Geheimnis lautet: ständig erneuern statt nur erhalten.
Dr. Renée Schroeder, Biochemikerin
Das ist zwar spektakulär, aber auch die Hydra lebt nicht ewig, oder? „So ist es. Die Hydra altert zwar nicht, stirbt aber irgendwann – einfach deshalb, weil sie Teil der Nahrungskette ist und gefressen wird.“
Und warum klappt das, was bei der Hydra klappt, bei uns Menschen nicht? Warum machen unsere unnützen Zellen keinen freiwilligen Abgang? „Warum alternde Zellen der Apoptose entkommen und wie sie therapeutisch entfernt werden können, ist die große Frage in der Alternsforschung. Was schon bekannt ist: Das Eiweiß p53 ist quasi der Wächter über unser Erbgut und beteiligt an wichtigen Vorgängen wie der Reparatur von DNA-Schäden, der Zellteilung und dem Zelltod. In alten Zellen wird es aber von einem anderen Protein in seiner Arbeit blockiert. Forscher haben deshalb überlegt, wie sie diese Blockade loswerden können. Da kommt nun die Verjüngungsdroge FOXO4-DRI ins Spiel! Sie bindet das störende Protein und sorgt dafür, dass p53 losgelassen wird.“
Es gibt also eine Verjüngungsdroge? Großartig! Wo krieg ich die her? „Noch gibt es sie nicht, weil sie noch nicht zugelassen ist. Aber Versuche an alten Ratten haben eindrucksvoll gezeigt: Ihr Fell wurde wieder wesentlich schöner, sie waren plötzlich wieder abenteuerlustig und aktiv – sprich: Sie verhielten sich wie junge Ratten. Die Entwicklung von FOXO4-DRI ist ein absoluter Meilenstein der Wissenschaft.“
Würden Sie sich denn als Versuchskaninchen für diese Droge zur Verfügung stellen? „Na, sofort! Da fürchte ich auch kaum Nebenwirkungen, weil sie in jungen Zellen ja gar nicht anschlagen würde. Die Hypothese: Wir nehmen sie alle paar Jahre für einige Zeit ein, sind die alten Zellen los, altern dann wieder ein paar Jahre lang – und dieses Spielchen wiederholt sich.“
Das wäre dann so, als würde regelmäßig die Müllabfuhr kommen und unseren alten Ballast abholen, oder? Aber passiert genau das nicht auch beim normalen Fasten? „Ja, natürlich kann man lebensverlängernde Prozesse auch auf ganz natürliche Weise anregen, aber noch viel, viel effizienter wäre es eben mit dieser Verjüngungsdroge. Droge nenne ich sie nur deshalb, weil es sich dabei weder um ein Medikament noch um ein Nahrungsergänzungsmittel oder ein reines Vitamin handelt.“
Gut, aber auf dieses Wundermittel werden wir wohl noch etwas warten müssen. Was können wir bis dahin konkret tun, um dem Alter die Stirn zu bieten? „Bewährte und bekannte Maßnahmen sind vor allem Bewegung und Kältebehandlungen, also die simple kalte Dusche am Morgen. Natürlich spielt auch die Ernährung eine entscheidende Rolle, ich bin da ein großer Fan von Sirtfood.“
Um welche Lebensmittel geht’s da? „Zu Sirtfood zählen etwa Olivenöl, Kurkuma, Chili, dunkle Walnüsse, Knoblauch, Äpfel, Rotwein oder dunkle Schokolade. Diese Lebensmittel sind besonders reich an Substanzen, die die Aktivität der Sirtuine ankurbeln – Enzyme, die in unserem Körper unter anderem den Stoffwechsel, Entzündungsprozesse sowie verschiedene Faktoren der Alterung beeinflussen.“
Rotwein und Schoko als Anti-Aging-Kost – das klingt ja vielversprechend! „Ja, so ist es. Rotwein etwa enthält Resveratrol, ein Pflanzenprodukt, das die Stabilität der DNA stärkt. Konzentriert kommt es auch in der Schale von roten Trauben, in Himbeeren, Maulbeeren, Zwetschken oder Erdnüssen vor.“
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Inwiefern kann uns Spermidin beim Jungbleiben unterstützen? „Dieser Stoff ist momentan ja auch in aller Munde. Spermidin ist eine körpereigene Substanz, die in allen Zellen vorkommt, aber auch durch Lebensmittel zugeführt werden kann. Es erhöht die Basisaktivität der Autophagie, das ist eben jener wichtige Prozess, der die Zellen von innen reinigt. Entrümpeln sich Zellen selbst, werden beschädigte Moleküle ausgeschieden – und das kann wiederum dabei helfen, altersassoziierte Krankheiten zu verhindern. Spermidin findet sich vor allem in Weizenkeimen, reifem Käse, Pilzen, Sojabohnen und anderen Hülsenfrüchten.“
In Ihrem Buch empfehlen Sie die Einnahme von Nicotinamid Ribosid. Sie bezeichnen es als „Energie für das alte Hirn“. Was genau ist das? „Ein Problem im Alter ist, dass die Mitochondrien – das sind die kleinen Kraftwerke in den Zellen – zu wenig Energie haben. Dieser Stoff ist eine Vorstufe des Coenzyms NAD, das die Aktivität in den Mitochondrien erhöht. Den Zellen, vor allem im Gehirn, steht so mehr Energie zur Verfügung. Daran wird gerade intensiv geforscht – und ich nehme Nicotinamid Ribosid wie auch Spermidin selbst ein. Diese Produkte sind bereits auf dem Markt, genaue Studien mit einer großen Anzahl von Probanden über eine lange Zeit sind aber noch ausständig.“
Sie leben seit einigen Jahren auf einem Bergbauernhof in Salzburg und beschäftigen sich intensiv mit Kräutern und deren Wirkung. Welches Kraut ist denn gegen das Altern gewachsen? „Dieses Fachgebiet heißt Pharmakognosie und befasst sich mit Wirkstoffen, die aus Pfanzen, Pilzen und Bakterien gewonnen werden. Ich habe da zum Beispiel ein spannendes Projekt mit einer Pharmafirma und verbringe meine Tage damit, Stoffe aus Kräutern zu isolieren und daraus Extrakte zu machen, die ich teste. Derzeit arbeiten wir intensiv an einer Behandlung für nicht heilende Wunden.“
Ihr Forschungslabor ist jetzt also eine Kräuterküche? „Ganz genau. Ich bin jetzt eine Kräuterhexe, mache im Grunde aber nichts anderes als die fünfzig Jahre davor an der Uni: Ich arbeite wissenschaftlich, nur statt an der Ribonukleinsäure eben an Pfanzenwirkstoffen. Sogar meine Instrumente sind die gleichen, ich hab der Uni mein altes Labor abgekauft und es hier aufgestellt. Manche schmunzeln über den Begriff „Kräuterhexe“, aber Hexen waren nichts anderes als kluge Frauen, die sich den Männern nicht unterworfen haben.“
Die Verjüngungsdroge FOXO4-DRI ist ein Meilenstein der Wissenschaft.
Dr. Renée Schroeder, Biochemikerin
In Ihrem Buch berichten Sie vom chinesischen Kraut Jiaogulan. „Ja, das ist ein Gewächs aus der Kürbisfamilie und heißt übersetzt ‚Kraut des Lebens und der Unsterblichkeit‘. Jiaogulan hilft den Cholesterin- und Blutzuckerspiegel zu senken und verbessert die Funktion der Leber, die dann besser entgiften kann. Tatsächlich erfreuen sich in der chinesischen Provinz Guizhou, wo das Kraut viel konsumiert wird, überdurchschnittlich viele über Hundertjährige bester Gesundheit.“
Nehmen Sie dieses Kraut selber auch? „Ja, und ich züchte es. Ich probiere immer alles selber aus, sofern das möglich ist. Als Einzelindividuum habe ich aber natürlich keine wissenschaftliche Kontrolle und Statistik. Dafür müsste es tausende Studien geben.“
Welche pflanzlichen Stoffe gibt es noch, um altersbedingte Beschwerden zu mindern? „Da rücken etliche Kräuter aus Asien in den Fokus. Ginseng etwa ist bekannt für eine gute Gehirnleistung im Alter. Oder der mongolische Tragant (Astragalus), der Pilz Glänzender Lackporling (Reishi) – allesamt Anti-Aging-Phytotherapeutika, die auf wachsendes Interesse stoßen. Ein heimisches Kraftpaket ist die Brennnessel.“
Gut, wir wissen jetzt, wo die Alternsforschung steht und was wir aktiv tun, essen oder einnehmen können, um länger jung zu bleiben. Werfen wir zum Schluss jedoch noch einen Blick in die Zukunft. Wohin könnte die Reise gehen? „Eine genetische Reprogrammierung, also in Keimbahnen einzugreifen und so das Erbgut in Richtung Langlebigkeit zu verändern, ist noch nicht zugelassen – irgendwann wird es meiner Meinung nach aber dazu kommen. Die Technologie dazu gibt es ja schon. Wir wissen aber noch zu wenig, an welchen Punkten wir eingreifen müssten.“
Und wieder stellt sich die Frage der ethischen und moralischen Vertretbarkeit ... „Ja, noch ist es ein No-Go. Aber auch Ethik und Moral sind, wie alles andere, der Evolution unterworfen und verändern sich mit der Zeit.“
Was denken Sie: Werden Menschen, die heute vierzig, fünfzig Jahre alt sind, diese genetische Umprogrammierung noch erleben? „Noch fehlt es für so einen Eingriff an Embryos an Wissen, außerdem müssten wir hundertzwanzig oder hundertfünfzig Jahre warten, um überhaupt zu sehen, ob das Ergebnis den Erwartungen entspricht. Und diese Zeit haben wir ja noch nicht. Aber: Die Wissenschaft entwickelt sich oft viel schneller, als man plant. Da braucht es nur eine einzelne Errungenschaft – und plötzlich geht alles ganz rasant.“
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