Geschenke aus der Krise
Wenn uns eine Krise den Boden unter den Füßen wegzieht, hilft ein Perspektivenwechsel. Erste Interventionen zurück zum Lebensglück!
Die meisten unter uns haben schon die eine oder andere Krise in ihrem Leben gemeistert. Eines haben Krisen gemeinsam: Sie lösen ein Gefühl von Machtlosigkeit (oder gar Ohnmacht) aus und schüren unangenehme Gedanken. Du denkst, dass du nie wieder auf der Sonnenseite des Lebens stehen wirst.
Dem ist aber nicht so. Selbst schlimme Lebenskrisen können sich in ein Geschenk verwandeln – das weiß ich aus eigener Erfahrung. Mehrere hundert Tage quälte mich eine seltene Schmerzkrankheit, bevor ich sie schließlich entdeckte: die Chance, die mir diese körperliche und seelische Niederlage bot. Heute aber möchte ich nicht meine, sondern die Geschichte meiner wunderbaren Klientin Silvia erzählen. Denn auch sie hat es geschafft, die Krise als Chance zu nutzen.
Als sich Silvias Partner nach sechs Jahren Beziehung von ihr trennte, brach für die junge Frau eine Welt zusammen. Tränen der Enttäuschung begleiteten sie über viele Monate hinweg. Hinzu gesellte sich bald ein weiteres Problem: Silvia fühlte sich in ihrem Job kontinuierlich überfordert und kam einfach nicht mehr zur Ruhe. Nachdem ihr Privatleben in Scherben lag, fand sie keine Möglichkeit, ihre Batterien wieder aufzuladen. Sechs Monate nach der Trennung erhielt sie schließlich die Diagnose: Erschöpfungsdepression. Eines führte zum anderen und schlussendlich verlor sie auch noch ihren Job.
Manchmal verlangt das Leben uns eine Krise ab, damit wir alte Wege verlassen und es wagen, eine neue Richtung einzuschlagen.
Als mir Silvia erstmals von ihrer schwierigen Lebenssituation erzählte, musste ich auch an meine eigene Krise denken. Mir fielen einige Sätze ein, mit denen ich Silvia Mut machen wollte: „Manchmal verlangt das Leben uns eine Krise ab, damit wir alte Wege verlassen und es wagen, eine neue Richtung einzuschlagen. Wäre unser Leben stetig harmonisch, so gäbe es keinen Anlass für Veränderung. Die Mentallehre sagt, dass jeder Veränderung eine Erkenntnis zuvorgeht – und diese kann sich oft nur dann zeigen, wenn wir unsere Komfortzone verlassen und neue Wege beschreiten. Dort erkennen wir oft, was tatsächlich wichtig für unser Lebensglück ist.“
Wäre unser Leben stetig harmonisch, so gäbe es keinen Anlass für Veränderung.
Selbsthilfe aus der Krise
Am Ende der ersten Sitzung bot ich Silvia ein Experiment an. Es sollte sie dabei unterstützen, die ersten Schritte aus der Krise zu meistern. Ich bat sie, eine „Geschenke aus der Krise“-Liste anzulegen, um trotz oder gerade wegen der schwierigen Situation die positiven Aspekte ihres Lebens zu entdecken.
Ich bat sie, eine ‚Geschenke aus der Krise‘-Liste anzulegen.
Silvia war vorerst sehr skeptisch. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass sie trotz ihrer Traurigkeit die schönen Dinge des Lebens wieder wahrnehmen könnte. Dennoch nahm sie sich die Aufgabe zu Herzen und versprach, einen Versuch zu starten.
Als wir einander eine Woche später wieder trafen, zeigte sie mir stolz ihre Liste. Sehr rasch hatte sie die ersten kleinen Geschenke, die ihre Krise mit sich brachte, erkannt. „Weil ich keinen Job und keinen Partner mehr habe, habe ich jetzt Zeit, meine Wohnung ganz nach meinem Geschmack einzurichten. Ich kann ausschlafen, endlich wieder Bücher lesen und muss keine Kompromisse beim Fernsehprogramm eingehen. Außerdem kann ich mir eine pinke Badematte kaufen – schließlich wohne ich jetzt alleine. Ich bin frei und ungebunden und könnte daher für einige Monate ins Ausland gehen oder einen Übergangsjob in einer Gärtnerei annehmen. Das wollte ich nämlich immer schon einmal machen …“
Sich dem Neuen öffnen
Weil Silvia an der Krisengeschenk-Liste Gefallen fand und neue Hoffnung schöpfte, überlegten wir uns einen weiteren Schritt. Diesmal lautete die Aufgabe:
Leg dir eine Liste mit Unternehmungen an, die dir Spaß machen könnten. Sie sollte aus mindestens 20 Beschäftigungen bestehen. Idealerweise finden sich darauf auch Tätigkeiten, die du noch nie zuvor in deinem Leben probiert hast.
„Anschließend arbeitest du diese Liste ab“, bat ich sie, „auch wenn du anfangs nur wenig Lust darauf hast, du machst die Dinge trotzdem. Denn die Freude kommt fast immer mit dem Tun.“
Nach vielen Jahren der Routine machte Silvia durch diese Aufgabe Bekanntschaft mit Neuem. Sie besuchte einen Salsa-Tanzkurs, versuchte sich im Malen und Badmintonspielen, unternahm Radtouren und lernte durch ihre Aktivitäten viele neue Menschen kennen. Schließlich legte sie noch einen kleinen Garten am Grundstück eines Freundes an.
Die Krise wandelt sich
Nach geraumer Zeit wurde Silvia förmlich süchtig nach veränderungsanregenden Interventionen. Gerade als mir auffiel, wie sie trotz schwieriger Lebenslage wieder zu strahlen begann, erhielt ich die freudige Nachricht: Silvia hatte sich verliebt.
Ende des letzten Jahres lernte sie Michael kennen. Er brachte nicht nur die Liebe in ihr Leben zurück, sondern verhalf ihr auch zu ihrem Traumberuf: Er führt seit drei Jahrzehnten eine Gärtnerei und suchte schon seit vielen Jahren nach einer Partnerin, die die Liebe zu den Pflanzen mit ihm teilt.
Krisen sind wie Haltestellen. Sie geben uns Gelegenheit, umzusteigen, wenn wir in eine andere Richtung fahren wollen.