In Partnerschaft mit

Natürlich hätte ich auch in einen indischen Ashram gehen können oder hunderte Kilometer den Jakobsweg entlangpilgern, um eine Antwort auf wichtige Lebensfragen zu finden. Ich habe lieber ein Pferd gefragt.

Meine sehr schlaue Freundin B. meinte eines Tages zu mir: „Probier’s mal mit Pferdecoaching! Kaum reden – dafür die ungeschönte Wahrheit präsentiert bekommen, direkt und wertfrei.“

Ich denke drei Sekunden nach. Alles genau nach meinem Geschmack. Ein Telefonat und ein paar Tage später stehe ich bei Petra Kaltenböck auf der Koppel und bin sehr gespannt, was mir ein Pferd über mich erzählen kann.

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Das Ganze kam so: Ich bin gut im Denken. Mein Verstand hat gerne für alles eine Erklärung. Nur funktioniert das im Leben nicht immer, weil manchmal Dinge passieren, die man nicht verstehen kann. Aber so ganz grundsätzlich hat mein Kopf gerne die Oberhand. Er prüft Vor- und Nachteile, sucht nach Erklärungen, schmiedet Pläne und findet Lösungen, wenn aus seiner Sicht etwas aus dem Ruder läuft. Rückblickend hießen diese Lösungen bisher meistens Jobwechsel, Wohnungswechsel oder Beziehungsaus. So mache ich das immer schon in meinem Leben. Und das ist anstrengend. Sogar wenn alles ruhig läuft, dreht sich unablässig das Gedankenkarussell: „Bin ich wirklich zufrieden, so wie es gerade läuft? Wer bin ich, und wer will ich überhaupt sein?“

Vielleicht sind das ganz normale Fragen, die man sich mit 38 stellt. Ich habe sie mir aber auch mit 30 gestellt. Und davor auch schon ein paarmal. Jedenfalls eine Menge Fragen, mit denen ich bei Pferdecoachin Petra Kaltenböck gelandet bin.

Pferdegestütztes Coaching: Eine Spurensuche in meinem Inneren

Pferdeunterstütztes Coaching

Bild: Philipp Horak

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Nach einem kurzen Vorgespräch beschließen wir, mithilfe der Pferde herauszufinden, wo ich in meinem Leben gerade stehe. Ich bin erleichtert. Das klingt unverfänglich. Petra meint: „Nur wenn man weiß, wo man gerade steht, bekommt man Klarheit. Sie ist die Basis für den nächsten Schritt, der sich dann meistens ganz automatisch ergibt.“ Es geht also ums Landen im Jetzt und damit aufzuhören, schon ans Morgen zu denken.

Pferde gähnen und äpfeln ja auch so den ganzen Tag. Dass sie es gerade jetzt tun, wenn ich hier stehe, kann auch Zufall sein, oder?

Petra gibt mir noch ein paar Verhaltensregeln mit – etwa dass man nicht zu knapp hinten um das Pferd herumgeht, falls es austritt –, und dann geht es los. Wir gehen in den Paddock hinein (so nennt man den Auslauf vor dem Stall). Gleich fünf Pferde werden meine Coaches sein: Hanni und Gretl heißen die beiden Haflingerstuten, ein kleines braunes Pferd hört auf den Namen Leila, ein großes braunes wird mir als Liu vorgestellt, und Vanessa ist eine braune Fuchsstute mit weißen Fesseln und gleichzeitig die Herdenchefin hier.

Im Paddock zeigen die Pferde aktuell mehr Interesse am Heu als an mir. Petra wiederholt noch einmal mein Anliegen, um die Pferde mit ins Boot zu holen, wobei sie lachend hinzufügt: „Die wissen wahrscheinlich eh schon, worum es geht.“ Die Coachin fragt mich, wie es mir geht. Ich fühle mich ruhig, gut und etwas aufgeregt. Ich sage: „Ich bin offen für alles.“ Ein Pferd schnaubt zustimmend. Es scheint direkt in medias res zu gehen ...

Pferde – so viel hab ich zur Vorbereitung gelesen – können verschiedene Arten von Feedback geben: etwa ausschnauben, gähnen, mit dem Schweif oder dem Kopf schlagen, die Ohren vom Menschen abwenden – oder Verweigerung. Schnauben ist zumindest nicht die schlechteste Variante. „Es ist quasi die Zustimmung für das Offensein“, meint Petra.

Gretl kommt auf mich zu. Ich mag Haflinger seit Kindestagen und freue mich, dass mir dieses schöne Pferd zugewandt ist. Die Stute kaut und schleckt. Petra scheint mit dem Tier verbunden zu sein, ein Gespann wie Batman und Robin – oder besser wie Sherlock Holmes und Dr. Watson, denn sie sind auf Spurensuche. Leider in meinem Inneren. Ich weiß noch nicht, wie ich das finden soll. „Vielleicht gibt es etwas in deiner Geschichte, was längst vergangen ist, aber einfach noch einmal wahrgenommen werden möchte, damit du ins Neue gehen kannst. Wir werden jetzt einfach mit den Pferden schauen, ob da etwas ist und was das sein kann“, sagt Petra.

Während sie spricht, schnaubt die Haflingerstute wieder, sie schleckt, sie gähnt ... Und dann lässt sie auch noch einen Riesenhaufen Pferdeäpfel fallen. Für Petra eine Bestätigung. „Sie lässt etwas Altes los“, sagt sie und lacht. „So funktioniert das Pferdecoaching: Wir bereden etwas, und gleichzeitig macht das etwas bei den Tieren.“

Pferd

Bild: Philipp Horak

Und tatsächlich. In den darauffolgenden 45 Minuten werde ich noch für sehr, sehr viele Pferdeäpfel im Paddock sorgen. Ich bin ein wenig anders als andere Klienten, weil sich zwischendurch ständig die Journalistin meldet, die alles Mögliche wissen will. Zum Beispiel: Pferde gähnen und äpfeln ja auch so den ganzen Tag. Dass sie es gerade jetzt tun, wenn ich hier stehe, kann ja auch Zufall sein, oder?

Ich mache mir fast schon Sorgen. Warum gähnt das Pferd ständig? Langweile ich es?

Petra erklärt: „Ein Zeichen kann immer losgelöst von der Situation sein, weil das Pferd halt gerade ‚aufs Klo muss‘. Aber dass Gretl es genau jetzt in dem Moment macht, wo wir über das Alte sprechen, macht schon deutlich, dass sie mit dir in Resonanz geht.“

In Resonanz gehen – das ist eine Formulierung, die Petra öfter verwendet. Bedeutet das, dass mir die Pferde einen Spiegel vorhalten? „Nein“, erklärt sie, „dazu sind Pferde und Menschen zu unterschiedlich. Das Pferd gibt nicht zu 100 Prozent dein Spiegelbild wieder, sondern reagiert einfach auf den Menschen, der gerade mit ihm in Kontakt ist.

So kann es auf einen sehr dominanten Menschen mit Rückzug reagieren und dadurch aufzeigen, dass der Mensch womöglich Grenzen überschreitet. Das wäre dann nicht spiegeln. Es zeigt nur eine Dynamik auf.“ Unterdessen wirkt Gretl nicht gerade wie ein Ausbund an Dynamik. Sie gähnt auch die ganze Zeit. Ich mache mir fast schon Sorgen. Warum gähnt das Pferd ständig? Langweile ich es? Da die hellbraune Haflingerstute aber nicht mehr von meiner Seite weicht, fragt mich Petra, ob ich eine Idee habe, welche Ebene sie repräsentieren könnte.

Ein Blick auf das Alte

Pferd
Pferdekopf

Bild: Philipp Horak

Wir suchen jeweils ein Pferd, das meine Verstandesebene, meine Gefühlsebene, die Körperebene und das „höhere Selbst“, also die Seelenebene, repräsentiert. Das erinnert ein bisschen an systemische Aufstellungsarbeit, wie man sie aus anderen Formen des Coachings oder der Therapie kennt: Dabei werden die inneren Bilder, die wir uns (meist unbewusst) über eine Situation oder ein Problem machen, nach außen verlagert und symbolisch dargestellt. Sind unsere Ängste, Gefühle und Hindernisse so erst einmal sichtbar, macht sie das auch verständlicher – und im Idealfall: lösbar.

Die Zuordnung der „Repräsentanten“ (so heißt das übrigens wirklich in der systemischen Therapie) ist der erste Schritt.

Nur wenn man weiß, wo man gerade steht, bekommt man Klarheit. Sie ist die Basis für den nächsten Schritt.

Na gut, denke ich. Nachdem Gretl auch schon die ganze Zeit am Zaun gestanden ist, als ich mit Petra noch draußen im Hof geplaudert habe, wähle ich sie spontan für meine Gefühlsebene. Petra nickt zustimmend. Sie ist nicht nur Pferdeprofi, sondern auch eine scharfe Beobachterin und meint: „Hätte ich auch gesagt. Denn Gretl ist schon das erste Mal auf dich zugekommen, als du noch draußen über Gefühle gesprochen hast.“

Petra vermutet, dass vielleicht noch etwas Altes da ist, was gesehen werden möchte, um den Schritt ins Hier und Jetzt gehen zu können. Sie bittet mich, ein Pferd für das „Alte“ auszuwählen, um zu schauen, ob es da noch etwas gibt, was ich mir anschauen sollte. Noch bevor ich eine Antwort habe, kommt Liu näher. Ich wähle sie. Schließlich ernenne ich Leila für mein höheres Selbst, Hanni für die Körperebene, und Vanessa repräsentiert meinen Verstand.

Mein Kopf meldet die ganze Zeit: „Was ist das Alte? Ein Erlebnis aus der Kindheit? Aus einer früheren Beziehung? Aus einem ehemaligen Job? Denk nach!! Da fällt dir bestimmt etwas ein!!!“ Es kommt aber nichts. Ich habe ein Gefühl zum „Alten“, aber keine Worte. Liu steht wie angewurzelt vor mir. Petra lädt mich ein, neben ihr stehen zu bleiben, ruhig zu atmen, zu spüren und darauf zu achten, ob sich ein Gefühl meldet oder ein Bild auftaucht. Meine Aufregung beruhigt sich. Wir werden beide immer ruhiger und gehen gemeinsam in die Stille. Ich denke kaum etwas, ich stehe nur da. Die Minuten vergehen.

Stilles Verstehen

Fraum streichelt ein Pferd am Hals

Bild: Philipp Horak

Ich mache kurz die Augen auf. Vor mir steht ein schönes großes braunes Pferd. Ich habe den Namen vergessen, ich weiß auch nicht mehr, wen es repräsentiert. Das Pferd ist auf leisen Hufen näher an mich herangerückt. Seine vordere Seite, dort, wo das Herz des Tieres ist, befindet sich knapp vor meinem. Es rührt sich nicht. Es steht ganz ruhig. Wie ich.

Mein Kopf ist leer. Es kommt keine Antwort. Es kribbelt nur unter meiner linken Brust. Es ist angenehm. Petra nähert sich ganz leise und fragt nach meinem Gefühl. Mir fällt nur „Friede“ ein. Gott, wie kitschig! Soll ich das jetzt sagen? Das klingt so verdammt nach Yogi-Tee-Sprüchen.

Petra klärt mich auf, dass das „Alte“ vor mir steht. Es fühlt sich mittlerweile ganz anders für mich an. Aus dem Alten ist also quasi Frieden geworden. Das sagt nicht Petra – das sage ich. Petra ist Profi. Sie interpretiert nicht. Sie spricht nur, wenn sie wirklich etwas zu sagen hat und wenn ich sie frage.

Fühlen, nicht denken

Interessant ist der Blick auf die anderen Pferde. Während ich mit Liu beschäftigt war, ist mein Verstand, also Pferd Vanessa, in den Stall gegangen. Er hatte hier nichts zu tun. Das „Höheres Selbst“-Pferd steckt seinen Kopf in den Stall, so als ob es hinter dem Verstand her wäre.

Petra fragt: „Kann es sein, dass du vielleicht über den Verstand versuchst, zu begreifen, wer du bist, also was das ‚höhere Selbst‘ ist?“ – Ja, das ist definitiv so. Ich versuche oft, mich mit dem Kopf zu erkennen, zu finden, zu erklären. „Das ist genau das Bild, das sich jetzt zeigt“, sagt Petra. „Das ist das, wo du gerade jetzt im Leben stehst.“

Alles ordnet sich neu

Pferdebeine

Bild: Philipp Horak

Die Coachin erklärt mir: „Als du Kontakt mit dem ‚Alten‘ aufgenommen hast, haben sich jene Pferde, die für Körper und Gefühl stehen, angenähert. Davor hatte eine gewisse Unruhe geherrscht, ein Durcheinander bei den Tieren. In dem Moment aber hat sich alles neu geordnet.“ Indem ich weg vom Verstand und hin ins Spüren gekommen bin, hat sich etwas getan. „Man könnte daraus schlussfolgern, dass der Verstand ein wenig ins Abseits rücken darf und nicht immer die Kontrolle haben muss“, meint Petra.

Sie lädt mich ein, jetzt nicht zu versuchen, das, was hier passiert ist, verstehen zu wollen. Und plötzlich fangen alle Pferde an, sich zu bewegen, die Aufstellung löst sich auf. Ein Pferd lässt noch einmal Wasser. Schlusszeichen. Ihre Arbeit für mich ist getan.

Meine persönlichen Erkenntnisse über pferdegestütztes Coaching

  1. Manchmal möchte etwas Altes noch einmal wahrgenommen werden. Dann ist es möglich, Frieden damit zu schließen, und die Dinge ordnen sich ganz automatisch neu.
  2. Man muss nicht immer alles analysieren und genau wissen, was es ist, was einen noch festhält.
  3. Im Jetzt liegt die Antwort auf alle unsere Fragen. Unsere Gedanken drehen sich viel zu viel ums Gestern oder um das Morgen.
  4. Es ist für mich nicht möglich, mich körperlich von etwas Altem zu verabschieden, ohne dass es auch die Gefühlsebene berührt. Alles ist miteinander verbunden – Körper, Geist und Seele.
  5. Oft reicht es, wenn das Gefühl meldet, dass alles okay ist. Der Verstand ist zwar wichtig für uns Menschen, es gibt aber Dinge, die muss er nicht begreifen.
  6. Wie die Kommunikation zwischen Mensch und Tier funktioniert, weiß ich nicht. Das ist für mich auch nicht mehr wichtig – denn es fühlt sich richtig an.

Wir haben auch bei Coaches Kerstin Staupendhal und Anabel Schröder nachgefragt, warum ausgerechnet Pferde ein Echo auf unser Tun geben.