Was bedeutet Liebe?
Wie wir einander finden, stärken, wärmen – und Mensch werden lassen. Liebe: über die geheime, aber ganz alltägliche Kraft, die unsere Welt zusammenhält. Nachgefragt bei einem Neurowissenschaftler für Herzensangelegenheiten
„Am schönsten fände ich es überhaupt, wenn ich es Ihnen gar nicht erst erklären müsste, weil Sie es intuitiv wissen, weil Sie selber Liebe erfahren haben“, erklärt Dr. Volker Busch, der sympathische Forscher aus Regensburg hält Vorträge über die Neurobiologie der Liebe. Letztere zu erklären ist somit Teil seines Geschäftsmodells.
1. Neurowissenschaftlich den Sitz der Liebe finden
Neurowissenschaftlich betrachtet ist die Liebe keine Emotion, sondern ein Gefühl. Das wird oft verwechselt, macht aber einen großen Unterschied.
Denn Emotionen sind sehr tief in unserem Gehirn ablaufende Regungen. Wenn man so will, animalische Urgewalten, die im limbischen System, einem der ältesten Teile unseres Zentralnervensystems, ihre Wirkung entfalten: Hunger, Durst, spontanes Lachen oder Kälte ... Sie sind wenig komplex, aber dafür gut erforscht. Emotionen sind körperlich. Und sie wollen raus!
Ein Gefühl ist – so erklärt’s der Neurowissenschaftler – etwas weitaus Differenzierteres: Es ist unsere Interpretation von einer oder mehreren Emotionen. Ein Gefühl sitzt im Cortex, einem viel höher angesiedelten, auch höher entwickelten Gehirnareal: Mitgefühl, Dankbarkeit, Reue, Stolz finden sich hier. Und eben auch die Liebe.
„Die Lust ist eine Emotion, die Liebe ist ein Gefühl“, sagt Volker Busch. Und sie ist insofern ein Paradoxon, als sie „ein hochgeistiger Prozess ist, der sich unserem Verstand entzieht“. – Allerdings: „Nur weil wir etwas nicht verstehen, heißt das nicht, dass es nicht real ist.“
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2. Die Chemie der Liebe
Was wir erklären können – recht gut sogar –, ist die Chemie dieses Prozesses. Wenn wir uns verlieben, explodiert quasi eine chemische Bombe im Gehirn. Ein Cocktail aus Dopamin und Noradrenalin sorgt dafür, dass wir uns gleichzeitig wohlig warm und aufgeregt fühlen.
Dopamin hängt mit unserem körpereigenen Belohnungssystem zusammen. Wir schütten es aus, wenn wir etwas Wundervolles bekommen: einen Kuss zum Beispiel, ein Lächeln, ein Sehnsuchtswort ... Und da Liebe dankenswerterweise keine Einbahnstraße ist, schütten wir Dopamin auch dann aus, wenn wir anderen etwas Wundervolles geben (Kuss, Lächeln, Wort ...).
Noradrenalin wiederum steuert die Aufregung bei, all die prickelnden Champagner-Perlen im Hormoncocktail. Es reguliert, wie lebendig wir uns fühlen – es gibt praktisch keinen Moment im Leben, an dem wir uns lebendiger fühlen, als wenn wir uns verlieben.
Das ist aber erst der Anfang: Denn mit der Zeit lernt der Körper, das Rauschmittel Dopamin nicht nur im Moment des Kusses, des Lächelns, des Wortes auszuschütten, sondern schon vorab. Wir erfahren unser fröhliches Dopamin-High also bereits in Erwartung des Wunderbaren.
Das trägt zur Sehnsucht bei: Mit dem Rausch kommt die Sucht. Damit aus dieser Sucht eine Bindung, ein Gefühl der Sicherheit entstehen kann, kommt – last, but not least – Oxytocin ins Spiel. Genau: dieses berühmte Kuschel-Bindungs-Mama-Baby-Hormon. Es bedarf vermutlich keiner weiteren Vorstellung, nur so viel: Es lässt uns einander vertrauen. Das ist der chemische Bund, den wir schließen.
„Was in uns vor sich geht, können wir bestens untersuchen“, sagt Volker Busch. „Das läuft bei allen Menschen gleich ab, unabhängig von Erziehung oder Kulturkreis. Deswegen beschreiben wir es auch alle ähnlich: das Kribbeln, die Schmetterlinge, das Herzklopfen.“
Die Franzosen sind also nicht anders verliebt als die Chinesen oder Australier. (Auch wenn die Franzosen das nur allzugern behaupten. „Aber das soll mir mal jemand beweisen, dass es da zu anderen Hormoncocktails kommt!“, meint der Neurologe augenzwinkernd.)
Die entscheidende Frage ist jedoch: Sind unsere Gefühle und Gedanken bloßer Ausdruck unserer Chemie, oder ist der Mensch mehr als nur Moleküle? Gibt es einen Geist, der alles beseelt? Dieser Streit ist vielleicht so alt wie die Wissenschaftsgeschichte selbst. Man kann ihn sehr naturwissenschaftlich führen (monistische Sichtweise), oder man kann Raum lassen für Wunder.
Das wäre dann die dualistische Sichtweise. Und Volker Busch lässt keinen Zweifel daran aufkommen, dass genau dafür sein Herz schlägt. „Das ist wie beim Legospielen“, sagt er. „Besteht ein Legoturm nur aus den Steinen – oder braucht es die Fantasie, um diesen Steinhaufen erst zu einem Turm zu machen?“
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3. Hat Liebe einen Sinn?
Womit auch gleich die Frage nach dem Warum der Liebe angesprochen wäre. Die ist nämlich ebenfalls eine strittige: Wozu lieben wir überhaupt?
Jedenfalls nicht zum Wohle der Arterhaltung! Dafür wär’s nicht nötig: Tintenfische vermehren sich auch, schreiben aber keine Liebesgedichte. „Es geht bei der Liebe nicht um Fortpflanzung, es geht um Bindung“, sagt Volker Busch. „Es geht darum, einem anderen Menschen zu signalisieren: Ich bin an deiner Seite. Ich begleite dich einen Schritt weit durch dein Leben.“
Apropos Bindung. Dazu passt folgende Theorie (sie ist nicht belegt, aber sehr nett): Wir haben zu lieben gelernt, als wir unser Fell verloren haben, sprich: als unsere Babys sich nicht mehr an unseren behaarten Rücken festklammern konnten. Um sicherzustellen, dass wir den Nachwuchs bei unseren Streifzügen nicht unabsichtlich verlieren würden, musste eine andere Art von Bindung geschaffen werden – und anstelle der physischen (= anklammern) trat die emotionale (= Liebe).
„Oh“, sagt Volker Busch, „ich wäre vorsichtig damit, allzu viel aus der Zeit unserer Vorfahren abzuleiten. Keiner war dabei ... Aber ich würde jedenfalls dem beipflichten: Die Liebe hat ihren Sinn, und der Sinn steckt in der Verbindung. Das ist eines der stärksten menschlichen Grundbedürfnisse.“
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4. Du bist ein Teil von mir
Ein letzter Erklärungsversuch: Dass die Verbindung, die wir zu anderen spüren, so stark ist, liegt vielleicht an der Neuroplastizität, jener vor gar nicht allzu langer Zeit entdeckten Eigenschaft des Gehirns, sich anzupassen und sich mit den Umständen zu verändern. (Dazu hat auch der amerikanische Neurophysiologe Michael M. Merzenich geforscht.)
Das funktioniert so: Wir wachsen und lernen durch Erfahrungen, Erlebnisse und Gefühle. Sie sind wie Fäden, aus denen wir den Teppich unseres Selbst weben. Das passt auch gut, denn für gewöhnlich sind wir ja selbst der Ursprung unserer Erfahrungen und Gefühle. Unser Selbstbild basiert also auf ... uns selbst.
Sind wir nun aber eng mit einem anderen verbunden, wird dieser andere zur Quelle unserer Erfahrungen, Erlebnisse und Gefühle. Er wird die Quelle unserer „Teppichfäden“. Das lernt unser Gehirn. Es passt sich an und webt den anderen in unseren „Selbstbild-Teppich“ ein. Der geliebte Mensch wird also tatsächlich ein Teil von uns.
Nachgefragt bei: Prof. Dr. Volker Busch. Er forscht seit zwanzig Jahren als Neurologe und Psychiater an der Universität Regensburg. Sein aktuelles Buch „Kopf frei!“ ist 2021 bei Droemer erschienen.