Oi, hello! Warum jeder unterwegs einen Sprachkurs machen sollte
Travel-Autorin Waltraud Hable wächst an den Lebensgeschichten anderer Reisender.
In meiner ersten Woche in Rio de Janeiro habe ich einen Sprachkurs absolviert. Von Montag bis Freitag, vier Stunden Portugiesisch täglich. Und nein, in derart kurzer Zeit lässt sich natürlich keine neue Sprache vernünftig erlernen. Aber so ein Crash-Kurs bewahrt einen zumindest davor, wie ein unhöflicher Trottel durch die Gegend zu laufen. Denn auch in Südamerika gilt: Wer grüßt und dankt, hat’s leichter im Leben.
Denn auch in Südamerika gilt Wer grüßt und dankt, hat’s leichter im Leben.
Also finden sich jetzt „Bom dia“, „Boa tarde“, „Boa noite“ – Guten Tag, Guten Nachmittag, Guten Abend – und ein dankendes „Obrigada“ in meinem Wortschatz. Und zu wissen, wie man „Eu não fala português“ (Ich spreche kein Portugiesisch) abfeuert, hilft auch. In Brasilien sucht man englischsprachige Mitmenschen mitunter vergeblich. Aber man rechnet mir zumindest an, das mit der Kommunikation probiert zu haben.
Der Besuch der Sprachschule war aber vor allem auch in Sachen Lebensgeschichten interessant. Keine typischen „Ich bin auf Sprachurlaub“-Teilnehmer. Sondern ein wilder, inspirierender Haufen aus allen Ecken der Welt. Ich traf etwa eine australische Pensionistin. Eine Grande Dame mit Vorliebe für Nobelrestaurants und Goldschmuck, die dank der internationalen Beraterverträge ihres Mannes in Hotels auf der ganzen Welt lebt und nicht an der Poolbar versauern möchte, sondern lieber unter Leuten weilt, die ihre Enkel sein könnten.
Ich lernte Joel kennen, einen schmächtigen, blassen Kalifornier Mitte 30, der mit einer Brasiliera verheiratet ist und als Schiffsmechaniker auf Öltankern in Alaska arbeitet. Sein schiefes Lächeln und seine Körperhaltung ließen erahnen, dass er es nicht immer leicht im Leben hatte. Joels Vater türmte noch vor Joels Geburt und es gibt ein Verwandtschaftsverhältnis in seiner Familie, das in Sachen Inzest fragwürdig ist. (Merke: Wenn man Sätze mit „Vater, Mutter, Onkel, Tante“ zu bilden hat, erfährt man oft mehr, als einem lieb ist). Ich mochte Joel auf Anhieb, er ist ein wahnsinnig hilfsbereiter Mensch, der viele Tricks kennt, die man braucht, wenn man länger in Rio weilt. Dank Joel habe ich mir eine brasilianische Steuernummer im Internet gehackt. Ohne Steuernummer kannst du viele Dinge online nicht kaufen.
Joels schiefes Lächeln und seine Körperhaltung ließen erahnen, dass er es nicht immer leicht im Leben hatte.
Oder Roman! Der ernste 33-jährige Datenanalyst aus Russland, der wenig Haare am Kopf trägt und immer ein bisschen wie ein hungriges Vogelkind aussieht. In Rio buchte er jede verfügbare Sightseeing-Tour. Er bestellte jedes Gericht auf der Speisekarte im Restaurant, das er nicht kannte und besuchte mit mir sogar einen Forró-Kurs. Forró ist die Urform des Lambada.
Die anderen Männer in der Gruppe hatten dankend abgelehnt, Roman war wild entschlossen, das mit den geschmeidigen Bewegungen zu meistern. Zwischen zwei steifen Schrittfolgen erklärte er mir irgendwann das eigentliche Ziel seines Rio-Aufenthalts: „Ich muss den Mut finden, zehn Frauen anzusprechen.“ Mehr Flirten = mehr Chancen auf Liebe. Da kam der Datenanalyst in ihm durch. Ich fand seinen Ansatz überraschend unemotional und gleichzeitig berührend.
Mehr Flirten = mehr Chancen auf Liebe.
Roman aus Russland
Und dann war da noch Tone, eine zauberhafte 26-jährige Norwegerin. Blond, blaue Augen, trinkfest. Egal, wo wir abends hingingen, Tone war ein Männermagnet. Ihr selbst war das gar nicht bewusst, das machte sie so sympathisch. Weil Tone Saisonarbeiterin im Skitourismus ist, hat sie viel freie Zeit. Und weil ihr Vater in Rio eine Wohnung und eine Ehefrau hat, kam sie ihn besuchen. Als sie mich zum Familienessen einlud und ihr Vater, ein schräger Mittsechziger, immer wieder andeutete, dass er finanziell ausgesorgt habe und stolz darauf sei, die günstigsten T-Shirts zu tragen und das billigste Bier zu trinken, verfielen wir in eine Diskussion darüber, was im Leben wichtig ist.
Aktuell würde ich mich als Millionär bezeichnen. Nicht im konventionellen Sinn. Ich bin ein Millionär an freier Zeit.
Tones Vater aus Norwegen
Tones Vater besitzt mehrere Unternehmen, aber diese Firmen laufen auch, ohne dass er vor Ort ist. Er weiß, wie man spart, und genau diese Knausrigkeit ermöglicht ihm einen freien Lebensstil. Irgendwann, zwischen Pizza und seinem zehnten Bier, fiel der Satz, der Tones Vater beschrieb, aber irgendwie auch mich: „Aktuell würde ich mich als Millionär bezeichnen. Nicht im konventionellen Sinn. Ich bin ein Millionär an freier Zeit.“ Ich nickte und ging beschwingt nach Hause. Meinen Reichtum so bewusst erlebend, dass mir das Herz vor Freude fast aus der Brust sprang. WEITER: Waltraud gerät in Rio unerwartet in ein Paralleluniversum dunkler Kräfte.