Können wir zu nett sein?
Was die Wissenschaft über Macht und Heilkraft der Freundlichkeit weiß.
Angst in Vertrauen verwandeln? Und Aggression in Zuneigung? Manchmal bedarf es dafür tatsächlich nur der Kraft der Freundlichkeit. Das ist sogar wissenschaftlich belegt – und praktisch erwiesen. In seinen „Geschichten gegen den Hass“ sammelt der deutsche Autor Bastian Berbner Beispiele dafür. Besonders eindringlich erzählt er, wie es zwei dänischen Polizisten gelingt, radikalisierte Jugendliche mit einer Tasse Kaffee, sanften Worten und einem milden Lächeln zurück in die Gesellschaft zu holen. „Du kannst nicht wütend auf jemanden sein, der dich anlächelt“, sagt ein ehemaliger Islamist.
Du kannst nicht wütend auf jemanden sein, der dich anlächelt
ehemaliger Islamist
Freundlichkeit ist nicht nur ein Geschenk an Mitmenschen und Gesellschaft: Studien (u. a. Sheldon, Boehm & Lyubomirsky, 2012) zeigen, dass gezielt positives Verhalten gegenüber anderen auch die eigenen positiven Gefühle stärkt. Der US-Glücksforscher Martin Seligman, ein wichtiger Vertreter der Positiven Psychologie, geht sogar noch einen Schritt weiter: „Nichts steigert das eigene Wohlbefinden so verlässlich wie eine freundliche Haltung anderen Menschen gegenüber.“ Er rät: „Geh raus und tu was Gutes! Gerade dann, wenn es dir selbst nicht so gut geht. Denn du wirst feststellen, dass es nicht nur dem anderen, sondern auch dir selbst gleich besser geht.“
Geh raus und tu was Gutes! Gerade dann, wenn es dir selbst nicht so gut geht.
US-Glücksforscher Martin Seligman
Erforscht ist mittlerweile auch die Biochemie des Nettseins. Ehrlich empfundene Freundlichkeit setzt laut einer Studie der Oxford-Universität Endorphine frei – körpereigene Wohlfühldrogen, die für einen emotionalen Höhenflug sorgen und sogar als natürliche Schmerzstiller wirken. Außerdem bildet unser Körper das als „Kuschelhormon“ bekannte Oxytocin. Es stärkt das Immunsystem, wirkt blutdrucksenkend – und als Cortisol-Gegenspieler baut es auch Stress ab.
Freundlichkeit ist ansteckend
Schuld daran ist die sogenannte limbische Synchronität, die uns rein biologisch dazu zwingt, das Verhalten der Menschen in unserer Umgebung zu spiegeln.
Die ältere, weil ursprünglichere Schwester der (sozial gelernten) Freundlichkeit ist übrigens die Empathie. Davon gibt es, wie der Wiener Psychologe Dr. Bardia Monshi erklärt, zwei Arten, die sich im Hirnscan klar unterscheiden lassen: „Kognitive Empathie bedeutet, dass wir zwar wahrnehmen, was in unserem Gegenüber vorgeht, jedoch keine emotionale Resonanz in uns ausgelöst wird. Im Gegensatz zur affektiven oder emotionalen Empathie, bei der jene neuronalen Netzwerke aktiviert werden, die uns sehr wohl mit dem Leid oder der Freude des anderen mitfühlen lassen.“
Gibt es auch ein Zuviel des Guten?
Ja! Wenn uns unsere eigene Emotion des Mitfühlens so überwältigt und überfordert, dass sie in „empathischen Stress“ ausartet. Dann können unsere Emotionen in tiefe innere Ablehnung umschlagen – Menschen in Pflegeberufen sind da beispielsweise gefährdet. Ihnen hilft es, die übergroße Empathie in die etwas distanziertere liebevolle Sorge (man spricht von „compassion“) zu verwandeln.