„You are too fun to be a nun“ – 7 Tage Auszeit im Kloster der neuen Zeit
Wie ist das Leben in einer Gemeinschaft von Sinnsuchenden? Unsere Autorin teilt ihre Eindrücke zwischen meditativen Ritualen, gähnender Langeweile und anregenden Gesprächen in ihrem sehr persönlichen Tagebuch.
„Oh no! You are too fun to be a nun!“, textet mir ein Freund, als ich ihm von meinen Klosterplänen erzähle. Meine jüngere Tochter sorgt sich, dass ich mich in eine Art Sekte verziehe. Diese Bedenken kann ich zerstreuen: Das Kloster, das ich für meine Auszeit vom Alltag ausgesucht habe, ist nämlich konfessionslos, ohne Nonnen und Mönche. Gegründet wurde es 2019 vom deutschen Arzt und Psychotherapeuten Udo Boessmann, der selber eine Burnouterfahrung hinter sich und am eigenen Leib erfahren hat, wie die Verbundenheit in einer religiösen Gemeinschaft und ein heilsamer, ruhiger Ort auf die Seele wirkt. Das Kloster NaturSinne, ein „Kloster der neuen Zeit“, ist auch nicht in alten Gemäuern untergebracht, sondern in einem ehemaligen Hotel mitten in der Natur der Buckligen Welt in Niederösterreich.
Jeder kann sich dort einmieten – für ein paar Tage, ein paar Wochen oder für immer. Als Klostergast ist man Teil der Gemeinschaft, nimmt an kontemplativen Ritualen teil und hilft als Ausgleich für die günstigen Zimmerpreise in Haus und Garten mit. Für meine Klosterwoche habe ich mir eigene Regeln auferlegt: kein Handy, kein Laptop und keine zerstreuende Belletristik. Als Lektüre habe ich zwei spirituelle Bücher dabei. Und mein Strickzeug – irgendwas muss ich ja tun! Ich schwanke zwischen Vorfreude und Panik vor so viel Zeit mit mir selbst.
7-Tageprotokoll meiner Auszeit im Kloster
Tag 1
Nach einer Hausführung helfe ich spontan Klosterbewohnerin Jutta bei der Petersilernte im großen Klostergarten. Danach führen mich der charismatische Klostergründer Udo und seine Freundin Claudia in die klösterlichen Gepflogenheiten ein. „Jeder ist hier spiritueller Schüler und Lehrer zugleich“, lerne ich.
Jeder ist hier spiritueller Schüler und Lehrer zugleich.
Klostergründer Udo und Claudia
Es gibt fixe Ritualzeiten in der Früh, zu Mittag und am Abend, die Teilnahme daran ist freiwillig. Ich starte meine Auszeit im Kloster mit einer Meditation in der „Kapelle“, einem kleinen Stilleraum. Als ich nach 20 Minuten am Meditationskissen die Augen wieder öffne, ist Klostercapo Udo auf die Seite gekippt und schläft. So entspannt bin ich noch nicht. Beim Mittagessen am großen Tisch lerne ich die anderen Gäste kennen, ein bunt gemischtes Trüppchen vom pensionierten Waldorflehrer über ein schickes, polyglottes Paar, einen Philosophen im „Unruhestand“ bis zur jungen Malerin.
Zurück in meinem Zimmer verschlafe ich den Rest des Nachmittags, sonst ist ja nichts zu tun. Nach dem Abendessen und einer Runde Stricken im Gemeinschaftsraum verziehe ich mich wieder in mein Zimmer. Ich überlege mir ernsthaft, die bunt gemusterten Vorhänge abzuhängen und mit der unbedruckten Rückseite nach vorn wieder aufzuhängen. Wie langweilig ist mir bitte? Rhythmisch klopfende Geräusche lassen mich nicht einschlafen. Da wird doch nicht jemand? Im Kloster? Nein, es ist nur die Heizung im Badezimmer.
Tag 2
Meine innere Uhr funktioniert, ich wache auch ohne Handywecker zur gewohnten Zeit um 6:30 Uhr auf. Nach Morgenmeditation und Frühstück bin ich um 9:15 Uhr wieder am Zimmer. Und jetzt? Trotz des trüben Regenwetters, drehe ich eine Runde ums Haus. Ich gehe viel langsamer als sonst, die Entschleunigung beginnt zu wirken. Danach setze ich mich an mein Minitischchen und schreibe Tagebuch. Wie gern würde ich jetzt ein paar schräge Klosterfotos machen und sie meinen Freundinnen schicken. Oder durch Instagram scrollen. Oder einfach nur chatten. Ich bin spürbar auf digitalem Entzug.
Bei der Mittagsmeditation kreisen meine Gedanken wie verrückt. Ich muss an Dinge denken, die jeder ehrwürdigen Nonne die Schamesröte ins Gesicht treiben würden. Du lieber Gott, wo kommt das denn jetzt her? Einatmen, ausatmen, der erlösende Schlussgong kommt bald. Beim Mittagessen sitze ich neben Gudrun, die während ihres Aufenthaltes im Kloster schweigt. Ihre Ruhe überträgt sich förmlich auf mich, ich esse im Zeitlupentempo. Noch vier Stunden bis zum Abendessen und vier Optionen: Schlafen, Stricken, Lesen, Schreiben. Mir ist richtig langweilig, aber gleichzeitig breitet sich auch eine wohlige Ruhe in mir aus. Ich beschließe spontan, den nächsten Tag schweigend zu verbringen.
Tag 3
Trotz meines hellblauen „Ich schweige“-Buttons gebe ich bei der morgendlichen Kundalini-Yoga-Einheit einige Laute von mir, da geht nichts ohne lautem „Sat Nam“-Gerufe. Bei den Mahlzeiten sitze ich stumm am Tisch und lausche den angeregten Gesprächen. Sehr entspannend, mal nicht überall meinen Senf dazugeben zu müssen. Klosterhündin Tessa und die beiden Tigerkatzen suchen heute auffällig oft meine Nähe. Spüren sie meine innerliche Ruhe? Beim Küchendienst finde ich tatsächlich am Geschirrabtrocknen Gefallen. Endlich was zu tun! Der Tag drei meiner Auszeit vergeht mit einem Regenspaziergang rund um das Kloster, mit Stricken und Lesen. Ich werde bei allen Tätigkeiten merklich langsamer, auch meine inneren Monologe verstummen immer mehr.
Beim Stricken denke ich tatsächlich nur noch „Glatt, verkehrt“ und sonst nichts. Gerhard fragt mich, ob ich ihm eine Haube stricke. „Topflappen“, deute ich. „Aha, einen Lendenschurz?“ scherzt er. Ich bin im wahrsten Sinne des Wortes schmähstad. Das Abendritual, eine wilde, dynamische Mediation, reißt mich jäh aus meiner Ruhe. Es wird laut geschrien, gehüpft, gestöhnt, mit Kissen geschlagen und chaotisch geschnauft. Heilige Maria Mutter Gottes, wo bin ich denn hier gelandet? Ich verschwinde danach schnellstmöglich in meiner Zelle Nr. 233 und schlafe erschöpft ein.
Tag 4
Ich kann es nicht glauben, dass ich erst den vierten Tag hier bin. Es fühlt sich viel länger an. Eigenartig, aber ich vermisse meine Töchter und meinen Mann kein bisschen. Das Leben hier ist wie auf einem anderen Planeten. Ich gewöhne mich daran, wenig bis gar nichts zu tun und einfach meinen Gedanken nachzuhängen. Es ist befreiend, nichts zu müssen und sich dreimal am Tag zum gedeckten Tisch zu setzen. Die Zeiten zwischen den Mahlzeiten füllen sich wie von selbst mit Schreiben, Spazierengehen, Mithilfe im Haus und tiefsinnigen Gesprächen. Am Abend übernehme ich spontan die „Handarbeitsstunde“ und zeige einigen Mitinsassen, wie man Steine mit Papier überzieht und dann mit einem ausgeschnipselten Wort versieht. „Verbundenheit“, „Dankbarkeit“ und „Seelenkraft“ steht auf den Steinen. Ich sinke zufrieden ins Bett.
Tag 5
Der Morgen beginnt mit einer Eurythmie-Stunde. Ich muss an Schauspielschnucki Manuel Rubey denken, der einmal in einem Interview gesagt hat, er könne als ehemaliger Waldorfschüler seinen Namen tanzen. Ich weiß jetzt, was er meint. Das „I“ und das „E“ hab ich jetzt auch drauf. Kulinarisch steht heute ein „Entlastungstag“ an, aber ich fühle mich schon asketisch genug und schummle mich durch. Espresso statt Kräutertee, Honig in den Haferschleim, Pesto aufs trockene Brot und Kürbiskernöl und Salz in die Suppe. Bei der Mittagsmeditation steigen in mir leichte Aggressionen gegen meinen Sitznachbarn hoch, der mehrmals leise rülpst, auf seinem knirschenden Kissen hin und her ruckelt und laut schnauft. Ich bin hungrig und grantig. Aber ich freue mich auf den heutigen Filmabend im Seminarraum. Endlich wieder glotzen! Wir sehen „Von Menschen und Göttern“, eine aufwühlende Geschichte über ein paar Mönche im algerischen Bürgerkrieg. Zurück im Zimmer weiß ich nichts mit mir anzufangen. Es ist erst 21:00 Uhr. Ich lege mich aufs Bett, zünde eine Kerze an und starre auf die nackte Glühbirne an der Decke. Auch eine Art von Erleuchtung.
Tag 6
Mir fällt auf, dass ich in der Früh keine Gedanken daran verschwende, was ich anziehen soll. Weil es keinen Schrank gibt, lebe ich aus meiner Reisetasche und greife einfach nach dem obersten Pulli und Shirt. Geschminkt habe ich mich hier noch nie. Ich kann mir plötzlich sogar vorstellen, täglich eine Nonnenkluft überzustreifen. Die Menschen hier sehen einander auch so, ohne Styling und Fassade. Ich werde unruhig, wenn ich an meine morgige Abreise aus dem Kloster denke und meine Auszeit vorbei ist. Wie wird es mir am Montag mit meiner langen To Do-Liste gehen? Ich kann nicht einschätzen, ob meine Entschleunigung gut oder schlecht sein wird. Was, wenn ich jetzt für alles doppelt so lange brauche? Oder meinen Alltagstrubel gar nicht mehr packe? Ich liege am Bett und höre der Kerze beim Flackern zu. Meine Wolle ist aufgebraucht, meine Bücher sind ausgelesen. Ich kann lange nicht einschlafen.
Tag 7
Am letzten Tag schwänze ich das Morgenritual, Eisbaden im Teich. Brrr! Ich nehme lieber eine brühheiße Dusche und entkerne in der Küche einen Granatapfel. Bei meiner abschließenden Waldrunde stelle ich fest, dass meine Orientierung trotz all der Einkehr um nichts besser geworden ist. Ich lockere mein Handyverbot und finde mit Google Maps meinen Weg zurück. Verschwitzt und von einem Abschneider über ein frisch gedüngtes Feld, sitze ich nach Jauche stinkend in meiner letzten Mittagsmeditationsrunde und bin erstmals froh über den intensiven Räucherstäbchengeruch. Noch einmal genieße ich das von Klosterköchin Nathalie liebevoll bereitete Mittagessen in großer Runde am Esstisch. Das werde ich wirklich vermissen. Aber ich freue mich jetzt auch auf meine Familie, den sonntäglichen „Tatort“, Chips und Bier. Klosterleben schön und gut, aber Kinder und Konsum auch!
4 Dinge, die ich mitnehme
Lektion 1
Entschleunigung. „Hast Du es eilig, so mache einen Umweg“ steht auf einem Holzschild im Klostergarten. Nach der Woche Auszeit im Kloster weiß ich, was dieser Begriff bedeutet. Ich habe jeder meiner Tätigkeiten langsamer und achtsamer durchgeführt, egal, ob es Socken-Anziehen, Kräuter-Zupfen oder Spazierengehen war. Ich nehme mir vor, auch im Alltag immer wieder mal einen Gang runterzuschalten, auch wenn manches dann ein paar Minuten länger dauert. So viel Zeit muss sein.
Lektion 2
Mich und meine Bedürfnisse besser spüren. Am Beginn meiner Auszeit im Kloster habe ich mir endlich meine Erschöpfung eingestanden und mich am helllichten Tag ins Bett gelegt, statt einen weiteren Espresso zu trinken und darüber hinwegzugehen. In den Kloster-Yoga-Stunden hatte ich keinen Ehrgeiz, die Arme noch länger oben zu halten, wenn es zu sehr schmerzte. Ich habe meine Grenzen und möchte lernen, sie besser zu respektieren.
Lektion 3
Achtsames Essen. Nur drei Mahlzeiten am Tag und keine Snacks dazwischen, das ist ungewöhnlich für mich. Dennoch habe ich nichts vermisst und mir auch selten etwas nachgeholt, wenn ich schon satt war. Scheinbar habe ich in der Woche auch emotional so gut für mich gesorgt, dass ich keine tröstenden, ablenkenden oder beruhigenden Kalorien brauchte. Vielleicht sollte ich besser darauf achten, warum und in welchen Situationen ich esse. Auch langsameres Essen würde mir guttun.
Lektion 4
Zusammen sind wir weniger allein. Selten zuvor habe ich so eine tiefe und wohltuende Verbundenheit erlebt. Mit mir selbst, der Natur, den anderen Gästen, aber auch mit etwas Höherem. Ich habe mich von der ersten Minute im Kloster zugehörig gefühlt, konnte mich aber jederzeit zurückziehen, ohne einsam zu sein. All die unterschiedlichen Mitmenschen, die ich dort getroffen habe, verband etwas: die Suche nach Sinn und die Sehnsucht nach einer heilsamen Umgebung, die die Defizite unserer schnelllebigen, konsumorientierten Welt ausgleicht. Das Wissen, dass es so einen Ort und so eine Gemeinschaft geben kann, beruhigt und tröstet mich.