Gisbert forscht: Wie ich lernte, mehr Geld zu haben
Wie dich deine Geldsorgen bewusster und selbstbewusster machen, gesünder, entschlossener und klüger: ein Fitnessparcours für Konto und Geist in sechs Stationen.
Es ist übrigens völlig okay, dass wir bei carpe diem auch einmal über Geld reden, weil Geld ja ein Gesundheitsthema ist. Erstens leben wir desto länger und gesünder, je mehr Geld wir haben. Zweitens kann es uns ordentlich die Gesundheit verhageln, wenn wir uns Sorgen ums Geld machen.
Das Erste ist statistisch erwiesen. Das Zweite erlebe ich seit ein paar Monaten. Ich wälze mich ab halb drei kreuz und quer durchs Bett. Ich grüble den ganzen Tag herum, wie ich weniger Geld ausgeben und mehr einnehmen könnte. Ich bin unkonzentriert, fahrig und hab eine Laune wie ein nordkoreanischer Gefängniswärter, dem sie Wochenend- Überstunden aufgebrummt haben.
Jeder Einkauf ist Stress, ich kaufe weniger von den guten Biosachen und mehr vom billigen Massenzeugs (und habe deswegen ein noch schlechteres Gewissen). Wenn ich den Postkasten aufmache und es ist was von der Bank drin, vom Finanzamt, der Versicherung oder den Stadtwerken, dann verbeißt sich ein mulmiges schwarzes Angstknäuel in meinem Bauch. Ich glaube, vor ein oder zwei Jahren hättest du mich nicht verstanden. Ich fürchte, jetzt tust du das doch.
Bevor wir unsere Geldsorgen angehen
Lass uns bitte noch das Wichtigste sagen, damit wir nicht gleich komplett im Weltschmerz abtauchen. Das Wichtigste ist:
Auch wenn wir unsere Wohnzimmer im nächsten Winter auf maximal 18 Grad heizen; auch wenn wir die Weihnachtsbeleuchtung runterdimmen, dass sich der Advent nach Allerseelen anfühlt; auch wenn sich kein Winter- und vielleicht nicht einmal ein Sommerurlaub ausgeht – auch dann leben wir im 21. Jahrhundert in Mitteleuropa, was nämlich heißt: Wir sind Glückskinder. Denn Mitteleuropa im 21. Jahrhundert ist der kuscheligste Platz zur wohligsten Zeit der ganzen Weltgeschichte. (Ja, auch mit Corona, Putin, Inflation, Rezession, Lieferengpässen und Klimawandel.)
Was sich nach Existenzangst anfühlt, ist eine Wohlstandsverlustangst. Aber eine Angst ist es halt trotzdem. Und eine Angst kümmert sich nicht drum, ob sie recht hat oder nicht. Ich habe dann begonnen, herumzuüberlegen, was ich gegen meine Geldsorgen tun kann, habe recherchiert und bin auf Birgit Bruckner gestoßen. Birgit Bruckner ist Finanzpsychologin und systemischer Coach, was vereinfacht so viel heißt wie: Sie berät und begleitet Menschen in ein besseres Leben, und sie verwendet dafür den Umgang mit Geld als Werkzeug.
Geld ist ein Messinstrument für unser Leben
Das funktioniert tatsächlich, werde ich später beim Gespräch mit Birgit erfahren. Denn Geld ist ein wunderbar unbestechliches Messinstrument dafür, wie’s bei uns im Leben läuft. Geld konfrontiert uns mit Werten und Glaubenssätzen und Gefühlen ohne Ende, mit Gier, Angst, Lust und Leid, Macht und Ohnmacht, mit Selbstwert, Selbstsicherheit, mit Zweifeln, Klarheit, Fokus, mit Eigenverantwortung und Selbstdisziplin. Geld, werde ich erfahren, hilft uns dabei, unsere Lebensenergien darauf zu konzentrieren, was wir beeinflussen können.
Wer gelernt hat, mit Geld gelassen und souverän umzugehen, hat ziemlich gute Chancen auf ein gelassenes und souveränes Leben (und als Nebenwirkung auf einen statistisch gesundheitsfördernden Kontostand).
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Mein Gespräch mit Birgit Bruckner war so ermutigend und so hilfreich, dass ich dir jetzt das Wichtigste zusammenfassen möchte. Vielleicht möchtest du einen Gedanken nach dem anderen ausprobieren – sieh es als eine Art Fitnessparcours für Konto und Geist.
Station 1: Konzentriere dich auf das, was du beeinflussen kannst
Wir neigen dazu, uns von unseren Sorgen abzulenken, durchaus auch mit gescheiten Sachen. Ablenken ist menschlich. Wir machen vielleicht gerade mehr Sport oder räumen die Wohnung penibler auf als sonst, Hauptsache, wir denken nicht an den knallroten Kontostand. „Hat nur einen Nachteil: Es klappt nicht“, ernüchtert uns Birgit. Denn in der Nacht verbeißt sich unser Gehirn umso grimmiger in die tagsüber verräumten Sorgen. (Wenn du vor dem Schlafengehen über eine Frage nachdenkst – und in der Früh ist die Antwort wie von selbst da: selbes Prinzip.)
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Was also tun, um unser Gehirn aus der Geldsorgengrübelspirale zu schubsen? Wir müssen, sagt Birgit, an der Situation etwas ändern. Das geht natürlich nicht, wenn es um Wladimir Putins Laune, Entscheidungen von Zentralbanken oder Zahlscheine von Stadtwerken geht. Das geht aber sehr gut, wenn es um das Geld geht, das wir einfach so ausgeben.
Es gibt dafür einen Trick, nennen wir ihn den „Montagshunderter-Trick“. Du hebst am Montag 100 Euro ab, und diese 100 Euro verwendest du für alles, was dir beiläufig Spaß macht. Nichts Wichtiges. Also für den To-go-Kaffee in der Früh, die Topfengolatsche zwischendurch, den Schokoriegel, das Stehachtel am Abend mit Kolleginnen, solche Sachen.
Wenn der Hunderter am Mittwoch oder Donnerstag aus deinem Börsel verschwunden ist, dann frag dich: Wie viele Euro davon habe ich in etwas investiert, an das ich mich erinnern kann, das mein Leben wirklich reicher gemacht hat, über den Augenblick hinaus? (Wenn du dich an alles erinnern kannst, war der Hunderter übrigens super investiert. Wird aber nicht so sein.)
Birgit nennt das „dem Fluss des Geldes auf die Spur kommen“: Du stellst unbewusst ablaufende Routinen Schritt für Schritt auf den Prüfstand deines Bewusstseins. Erwarte nicht, dass das auf Anhieb Spaß macht. Dein Gehirn liebt Routinen nämlich, die sparen Energie. Erwarte auch nicht, dass sich deine Stromrechnung davon beeindrucken lässt. Aber: Du hast dich vom lähmenden Gefühl der Machtlosigkeit befreit. Du lernst das Gefühl wieder kennen, Einfluss zu haben. Und Einfluss haben ist eine echte Superpower.
„Lebensveränderungen gelingen dann dauerhaft, wenn es nicht um Verzicht oder Verbot geht, sondern um eine bewusste, freie Entscheidung.“
Station 2: Sei lieb zu dir
Ein bisschen weniger Kaffee an der U-Bahn-Station zu trinken und den Schokoriegel im Regal liegen zu lassen, das wird wahrscheinlich eine Woche toll funktionieren, in der zweiten vielleicht auch noch ein bisschen – und dann nicht mehr. Das hat zwei Gründe.
Erster Grund: Du machst das alles nur, um ein paar Euro zu sparen. Das reicht dauerhaft nicht als Motivation. Du brauchst einen zweiten Antrieb, der mit deinem Leben außerhalb des Geldbörsels zu tun hat. (Wie viele Kalorien hat eigentlich so ein nicht gegessener Schokoriegel?)
Veränderung klappt als bewusste, freie Entscheidung
Lebensveränderungen, weiß Birgit, gelingen dann dauerhaft, wenn es nicht um Verzicht oder Verbot geht, sondern um eine bewusste, freie Entscheidung. Es wird dann auch jedes Mal, wenn du den Schokoriegel nicht kaufst, das „Hurra, ich hab’s geschafft!“-Hormon Dopamin freigesetzt.
Zweiter Grund, warum unser innerer Schweinehund nach ein paar Tagen so wuchtig zurückschlägt: Du fühlst dich als Versager, sobald du doch einmal einen Schokoriegel gekauft hast. Birgit sagt: „Wenn ich mit strafenden, übergroßen Anforderungen in ein Vorhaben reingehe, werde ich verlieren. Ganz sicher.“ Veränderung ist kein On/off-Lichtschalter, sondern ein Prozess.
Station 3: Sei wirklich lieb zu dir!
Du wirst bemerken: An Tagen, an denen du nicht gut auf dich achtgegeben hast, buhlen Topfengolatsche, Schokoriegel und Stehachtel besonders verführerisch darum, an deinem Hunderter knabbern zu dürfen. Birgit rät, mittags einen „Wie viel Energie hab ich?“-Check zu machen, von einem bis zehn Punkten. Du bist bei fünf oder drunter? Hol dir Extra-Energie. Das kann ein kleiner Spaziergang sein, durchatmen, die beste Freundin anrufen oder das Lieblingslied im Auto auf voller Lautstärke mitgrölen.
Und noch ein Trick: Häng dir einen Kalender an die Kühlschranktür. Gib dir jeden Abend ohne vergeudeten Euro einen roten Punkt. An jedem Tag, an dem es nicht geklappt hat, einen blauen. Das führt dir deinen Fortschritt vor Augen. Und weil es ohne Rückschritt keinen Fortschritt geben kann, gilt auch: Es geht nicht darum, nur mehr rote Punkte an der Kühlschranktür zu sehen. Es geht um die Tendenz. Wenn sich der blaue Punkt von heute nach Totalversagen anfühlt, dann sabotierst du dich. Wenn du jedoch den roten Punkt von gestern als Beweis dafür siehst, dass du morgen wieder Rot schaffen wirst, dann bist du auf dem richtigen Weg.
„Du kannst dein Leben verändern“, sagt Birgit, „wir alle können das. Aber nicht mit Stress oder Druck oder schlechtem Gewissen – sondern mit Energie, Motivation und Zuversicht.“
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Station 4: Verschlafe deine Profite
Geld ansparen? Das klingt einigermaßen gaga, wenn du atemlos am Überziehungsrahmen dahinbalancierst. Deswegen nur ganz kurz: Sparbuch und Bausparer, weil du da ja wahrscheinlich in fetteren Zeiten irgendwelche Daueraufträge eingerichtet hast, sind keine besonders lukrativen Möglichkeiten vorzusorgen. Dein Geld schmilzt dort in der Inflationssonne leise vor sich hin.
Bevor du jetzt an Wertpapiere denkst, denk an die Studie, die erforscht hat, welche Aktiendepots von Privatanlegern sich langfristig am besten entwickeln. Die Studie ist draufgekommen: Am profitabelsten waren jene Portfolios, auf die ihre Inhaber vergessen hatten oder deren Inhaber verstorben waren.
„Eine erfolgreiche Geldanlage ist eine Geldanlage, mit der ich ruhig schlafen kann“, sagt Birgit. Wieso es sinnvoll ist, dass du dir vor dem Schlafengehen, dem Vergessen oder dem Ableben die paar richtigen Fragen zur Geldanlage stellst: weiter zu Station 5.
Was bedeuten Sicherheit, Wohlstand, Vorsorge für dich?
Station 5: Setz dir ein Geldziel
„Die meisten Leute kommen finanziell nirgends an, weil sie nicht definiert haben, wo sie eigentlich hinwollen“, sagt Birgit. „Was bedeutet denn Sicherheit, Wohlstand, Vorsorge für dich?“ „Na ja, genug Geld haben“, sage ich. „Das wird dann leider nicht funktionieren“, sagt Birgit. „Du brauchst ein Ziel. Für manche bedeutet Reichtum: im Camper durch die Welt fahren. Für andere: eine Villa am See. Was bedeutet es für dich?“ „Hm“, sage ich.
„Setz dich hin, denk das durch, schreib das auf: Wie schauen Sicherheit, Wohlstand, Vorsorge für mich aus? Wie soll mein Leben mit siebzig oder achtzig ausschauen? Wo will ich wohnen und wie?“, sagt Birgit. „Beschäftige dich damit. Vielleicht eine halbe Stunde pro Woche: mit deinen Zielen, was das finanziell bedeutet, wie viel Geld dafür nötig ist. Das ist der Anfang. Beschäftige dich eine halbe Stunde pro Woche konzentriert mit deinen Finanzen, deinen Zielen, den Anlagemöglichkeiten, frag Leute, Verwandte, hör dir verschiedene Meinungen an. Du wirst erstaunt sein, wie schnell du weiterkommst.“
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Station 6: Du verdienst, mehr Geld zu verdienen
Die Wahrscheinlichkeit, dass du zu wenig verdienst, ist umso höher, je mehr Frau und je mehr selbständig du bist und je höhere Ansprüche du an deine Arbeit stellst. Das hat damit zu tun, erklärt Birgit, dass Preis-, Honorar- oder Gehaltsverhandlungen immer mit unserem Selbstbewusstsein zu tun haben, mit unserem Selbstbild und unserem Selbstwertgefühl und mit unserem Mut, für uns einzustehen. Dass wir eine Ablehnung im Beruflichen sehr leicht mit einer Ablehnung als Person verwechseln. Und: „Ein Teil des Gender-Pay-Gap ist tatsächlich, dass Männer öfter um eine Gehaltserhöhung fragen gehen als Frauen.“
Was also tun?
Bist du angestellt? Frag jedes Jahr um eine Gehaltserhöhung an. Kriegst du sie dieses Jahr nicht, ist die Chance höher, dass du sie nächstes Jahr kriegst.
Sieh ein berufliches Nein nicht als eine Ablehnung deiner Person. Ein Nein heißt nicht, dass du etwas nicht kannst, dass du etwas nicht wert bist, sondern dass sich jemand diese Mehrkosten nicht leisten kann (oder auch will; das darf er ja).
Wenn du mehr Gehalt oder Honorar willst, muss das aus deinem Inneren kommen. Nur überzeugt ist überzeugend. Dein Gegenüber spürt das. Aber wie komme ich da hin, Birgit? „Du fütterst dein Selbst, indem du drei Fragen aufschreibst und schriftlich beantwortest, nämlich: Was zeichnet mich aus? Was kann ich besonders gut? Wo sind meine Stärken? – Und dann stellst du diese Fragen jemandem, der dich im beruflichen Umgang gut kennt“, sagt Birgit. „Das ist der erste Schritt. Okay?“ Okay.
Gisbert Knüphauser beschäftigt sich als carpe diem-Autor mit medizinischen Themen und deren Grenzbereichen.
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