Lebensfragen lösen mit Doktor Wald
„Entdecke, wo dein Platz im Leben ist“, sagt die Ärztin und Wanderführerin Monika Drechsler – und geht mit den Menschen in die Natur. Wo Bäume Antworten flüstern und Bäche Wege aufzeigen, finden wir überraschende Lösungen für den Knoten im Kopf.
Dr. Monika Drechsler sucht und findet die Impulse, um Lebensfragen zu klären rund um den Grundlsee. Ein „Outdoor-Kurtag“, wie sie es nennt, hat aber nichts mit einer Kur im klassischen Sinn zu tun, sondern ist eher ein Neustart für Körper, Geist und Seele.
Nur einen Tag auf Kur gehen? Kann das denn etwas bewirken? Ja. Ein „Kurtag“ mit Dr. Monika Drechsler hat mit Kur im herkömmlichen Sinn nämlich nichts zu tun. Die Ärztin und Wanderführerin etablierte mit ihrer „Kur am Grundlsee“ in dem steirischen Luftkurort ein neues, außergewöhnliches Verständnis von Kur. Es geht um Selbstbestimmung und um heilende Impulse aus der Natur. Den Kurantrag kann man sich nur selbst bewilligen, die Kuranstalt ist die Natur – der Wald, der See, die Berge.
Willkommen ist, wer bereit ist, einen Entwicklungsschritt zu setzen
Dr. Monika Drechsler, Kurveranstalterin
„Willkommen ist, wer bereit ist, einen Entwicklungsschritt zu setzen“, sagt Drechsler. Ein Kurtag im Freien helfe bei wiederkehren-den körperlichen Symptomen wie Kopf- oder Rückenschmerzen, bei psychischen Problemen wie Überlastung, Depression oder fehlender Lebensfreude, in schwierigen Entscheidungssituationen und in Übergangsphasen des Lebens. Um Lösungen für die Anliegen des Kurgasts zu finden, arbeitet Monika mit Elementen aus der kreativ-rituellen Prozessgestaltung, mit Aufstellungen, Trance-Reisen und den Antworten aus dem Unterbewussten.
Und wer seinen Impulsen folgt und sich auf das Outdoor-Erlebnis einlässt, das bei jedem Kurgast anders abläuft, erlebt seine grünen, weißen, blauen Wunder – Moos, Gras, Schnee, Wasser und Himmel sorgen dafür. Es ist alles möglich, nur nicht, dass du so gehst, wie du gekommen bist. Wie heißt es im Kurantrag: „Wir begrüßen das Leben, das Wetter und dich!“ Und alle drei können sich jederzeit verändern.
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Monika, ein Kurtag mit dir findet bei jedem Wetter im Freien statt, im Wald, am See oder auf dem Berg. Was kann die Natur besser als eine Arztpraxis?
In der Natur bin ich weniger kopforientiert, kann besser auf meine Intuition achten. Das Faszinierende im Freien sind die Facetten, die nicht planbar sind. Das fängt beim Wetter an: Scheint die Sonne, hagelt es, kommt Schnee? Meiner Erfahrung nach ist das Wetter immer richtig, passend zum Anliegen des Menschen, mit dem ich unterwegs bin. Manche machen es sich schwer, da sind auch die äußeren Bedingungen schwierig. Ich stöhne manchmal insgeheim: „Boah, da muss ich jetzt mit!“ In der Natur geschehen so viele Dinge, die man in der Ordination nie erlebt, mit denen keiner rechnet.
Was war dein schrägstes Erlebnis?
Einmal war ich mit einer Frau unterwegs und hatte das Gefühl, wir kommen nicht weiter. In dem Moment fällt uns ein Vogel, blutüberströmt, vor die Füße und bleibt tot im Schnee liegen. Woher kam der? Das weiß ich bis heute nicht. Vermutlich hat ihn ein Raubvogel fallen gelassen. Ich war schockiert. Aber die Frau hat den Vogel angeschaut und gesagt: „Das kenne ich aus meinem Leben.“ Ab dem Moment lief der Kurtag wie geschmiert, sie konnte das Thema, das sie mitgebracht hatte, gut lösen.
Ich war mit einer Frau unterwegs und hatte das Gefühl, wir kommen nicht weiter. In dem Moment fällt uns ein Vogel, blutüberströmt, vor die Füße und bleibt tot im Schnee liegen.
Dr. Monika Drechsler, Kurveranstalterin
Klingt nach Zauberei. Ist es nicht.
Es gibt einfach Orte, die unterschiedliche Energien ausstrahlen. In der Natur kann ich mich bewegen, den Platz suchen, der jetzt für mein Thema passt. Meist wissen die Menschen genau, wohin sie wollen, und gehen voraus, ohne viel nachzudenken. Das ist ein Schritt in die Selbstbestimmung. Diese Möglichkeit habe ich in der Ordination nicht.
Wer mit dir in den Wald gehen will, muss einen ungewöhnlichen „Kurantrag“ ausfüllen und ihn sich selbst bewilligen. Was hat dich auf die Idee gebracht?
Als Hausärztin habe ich oft erlebt, dass Menschen euphorisch von einer Kur heimkamen, echte Veränderung aber nicht möglich war, weil im Alltag rasch die alten Symptome zurückkehrten. Erst bin ich wütend geworden, später nachdenklich. Meine Überlegung war: Was wäre, wenn die Menschen binnen kurzer Zeit ihr Leben selbst in die Hand nähmen und die eigene Kapsel durch Zeit und Raum steuerten? Wie krieg ich sie so weit?
Dann kam der Gedanke: Fang einfach an! Als Grundlsee Kurort wurde, etablierte ich ein neues Verständnis von Kur. Selbstbestimmt leben heißt, dass ich mir selbst die Erlaubnis erteile. Es gibt keine höhere Instanz, die mir erlauben kann, einen Entwicklungsschritt zu machen.
Wie hilft der „Kurantrag“ dabei?
Mit drei Fragen. Die erste zielt auf die Gefühlsebene ab: „Was empfindest du, wenn du im Wald bist?“ Noch nie hat jemand geantwortet: „Panikattacken, Kopfschmerzen, Stress.“ Alle schreiben: „Ruhe, Einsamkeit, gut geht’s mir im Wald.“ Da frag ich mich: „Wieso sitzen die Leut’ ständig im Büro, wenn’s im Wald so schön ist? “
Das führt direkt zu Frage zwei des Kurantrags: „Worauf wartest du?“
Genau. Wir warten immer: aufs Wochenende, auf die Pension, auf die Straßenbahn oder darauf, dass die Schmerzen vergehen. Wir warten unser ganzes Leben. Es geht darum, sich das bewusst zu machen. Und die dritte Frage bezieht sich aufs Wünschen. Die macht mich oft traurig, weil so viele Menschen gar nicht wissen, was sie sich wünschen.
Wunschlos glücklich? Klingt doch gut.
Die sind nicht wunschlos, sie haben nur keine Ausrichtung. Im Leben geht es doch darum, sich konkret etwas zu wünschen. Nicht bettelnd wie ein kleines Kind, das ein Eis will, sondern sich kraftvoll und klar ausgerichtet etwas vom himmlischen Buffet herzuholen.
Wir warten immer aufs Wochenende, auf die Pension, auf die Straßenbahn oder darauf, dass die Schmerzen vergehen. Wir warten unser ganzes Leben.
Dr. Monika Drechsler, Kurveranstalterin
Vom „himmlischen Buffet“?
Ich meine die Fülle an Möglichkeiten, die wir haben, während unser Verstand uns suggeriert, es gäbe nur einen Weg. Ich sehe, wie viele Menschen vor diesem reichhaltigen Buffet emotional verhungern. Und ich merke, was für eine Herausforderung es für viele ist, diese drei Fragen zu beantworten. Sie wollen mir dann den Kurantrag vorab schicken, und ich sage: „Schick ihn dir selbst und lies ihn!“ Manche fühlen sich dadurch vor den Kopf gestoßen.
Ist es wichtig, vor den Kopf gestoßen zu werden, um den nächsten Entwicklungsschritt zu gehen?
Nein, es darf auch leicht gehen. Ich zum Beispiel brauche kein Drama mehr. Ich habe früher von Dramen gelebt.
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Was für Dramen waren das?
Unsere Familienurlaube zum Beispiel. Mein damaliger Mann, drei kleine Kinder und ich. In Guatemala wurden uns alle Pässe gestohlen, in Madagaskar sind wir auf einer viel zu kleinen Fähre beinahe abgesoffen... Aber während ich das erzähle, merke ich, dass ich nicht mehr darüber reden will. Es ist, als würde ich ein Minikleid anziehen, obwohl die Mode längst maxi ist.
Gehst du mit der Mode?
Nein, ich gehe vor der Mode. Wenn Grün modern wird, trag ich schon ein halbes Jahr vorher Grün.
Ich glaube nicht, dass die Natur heilt. Ich glaube, dass sie dich mit etwas in dir in Verbindung bringt, was dann zur Heilung führt.
Dr. Monika Drechsler, Kurveranstalterin
Warst du deshalb eine der Ersten, die mit Patienten in die Natur gingen?
Inzwischen bieten das ja einige Therapeuten und Coaches an. Es war nur ein logischer Schritt. Für mich war die Zeit, die ich allein in der Natur verbracht habe, immer essenziell. Auch als die Kinder klein waren, bin ich immer wieder eine Nacht rausgegangen, habe im Freien geschlafen, mit mir reinen Tisch gemacht und Kraft getankt. Der Sternenhimmel ist die schönste Decke, da fühl ich mich geborgen.
Wenn die Natur heilt, was kann sie am besten heilen?
Ich glaube nicht, dass die Natur heilt. Ich glaube, dass sie dich mit etwas in dir in Verbindung bringt, was dann zur Heilung führt. Die Natur liefert Impulse, die dir etwas sichtbar machen. Plötzlich erkennst du: „Ah, das hängt mit diesem und jenem Verhaltensmuster zusammen.“
Und damit lassen sich seelische und körperliche Symptome lindern?
Also jetzt nicht unbedingt ein gebrochenes Bein... Die Kur am Grundlsee ist nur ein Werkzeug. Sagen wir, es ist der Hammer. Willst du aber eine Schraube fixieren, nimmst du besser den Schraubenzieher. Ein Outdoor-Tag wirkt gut bei Überlastungssyndrom, Depressionen und anderen psychischen Problemen. Er kann ideal sein, um Entscheidungsfragen zu lösen, Wertigkeiten zurechtzurücken oder übertriebenes Sicherheits- und Mangeldenken aufzugeben.
Welche Symptome gehen damit aufkörperlicher Ebene einher?
Manche Patienten haben Kopfschmerzen, andere Rückenbeschwerden oder Bluthochdruck. Ich kann hier keine Indikationsliste aufzählen, aber es ist den Versuch wert, einmal den ersten Schritt zu setzen und dann zu schauen, was noch übrig ist an seelischen und körperlichen Symptomen.
Wenn jemand allein in der Natur mit sich in Kontakt kommen möchte, was kann ein erster Schritt sein?
Da gibt es kein Rezept. Wenn du etwas völlig Ausgeflipptes machen willst, nimm dir einen Handspiegel, geh in den Wald und halte den Spiegel so, dass du immer in die Baumkronen schaust. Geh langsam. Warte, was passiert. Du lernst, mit deiner Aufmerksamkeit gleichzeitig oben und unten zu sein, visuell bist du oben, mit den Gefühlen bist du unten, du lässt den Fußsohlen Augen wachsen. Nimm intensiven Kontakt mit einem Baum auf, lehn dich mit dem Rücken an, schau, was du wahrnimmst, wo es drückt... Geh barfuß: Setz bewusst die Ferse auf und roll den Fuß langsam ab, geh wie ein Vollidiot durch den Wald und spür, was unter den Füßen passiert. Oder leg dich in die grüne Wiese und tu gar nichts.
Einmal habe ich eine Krawatte eingepackt und wusste nicht, warum.
Dr. Monika Drechsler, Kurveranstalterin
Ist Nichtstun nicht die allerschwierigste Übung?
Für manche schon. Ich zum Beispiel konnte das früher gar nicht. Kaum habe ich mich im Garten ins Gras gelegt, kam der Gedanke: „Ich muss Unkraut jäten!“ Im Moos im Wald ging es besser.
Es zahlt sich also aus, hinauszugehen, statt im eigenen Vorgarten zu üben?
Das kommt auf den Menschen an. Manche können es auch im Vorgarten. Man muss es probieren und nicht gleich wieder nach Konzepten rufen. Bei uns im Kurpark wurden Tafeln angebracht: Man nehme dort vorne drei Atemzüge, hier gehe man drei Schritte barfuß, da spüre man die gute Luft. So etwas regt mich auf. Es gibt schon genug Schilder auf der Welt. In die Natur gehen heißt kreativ sein, intuitiv sein, nehmen, was kommt, und schauen, welche Idee sich daraus gebiert.
Ich mache bei meinen Kurtagen so gut wie nie etwas zweimal, jeder Tag verläuft anders. Einmal ist es eine schamanische Reise oder eine Trance, dann eine Aufstellung, oder ich lasse jemanden auf allen vieren über den Waldboden kriechen und intensiv riechen. Ich packe auch immer intuitiv etwas anderes ein, Räucherwerk, Flöte, Lammfell, Malfarben, eine Schaufel, ein Buch. Einmal habe ich eine Krawatte eingepackt und wusste nicht, warum.
Und wurde sie gebraucht?
Ja, von einem Geschäftsmann, der kam von weither angereist. Ich habe gesehen, wie gefangen er in seinen Rollen ist, und habe ihn alle Rollen anziehen lassen. Davor hatte ich ihn gebeten, viel Gewand auf die Tour mitzunehmen. Er hat sich bei 38 Grad fünf Schichten übereinander angezogen – und für die Geschäftsmannrolle brauchte er eine Krawatte, die hatte er natürlich nicht mit. So ist er eine Stunde mit mir durch den Wald gegangen, es war so heiß, irgendwann hat er gesagt, er bricht zusammen. Ich habe geantwortet: „So ist das. Mit all den Rollen bricht man zusammen.“ Dann hab ich ihn ein Grab schaufeln lassen, und wir haben eine Rolle nach der andern begraben.
Ich habe Patienten, die schon fünfmal Kurtage bei mir gebucht haben, weil sie für die jeweils nächste Station im Leben einen Impuls finden wollten.
Dr. Monika Drechsler, Kurveranstalterin
Das hat er gemacht?
Ja. Nur die Vaterrolle wollte er nicht begraben. Da habe ich gesagt: „Wenn du den Vater als Rolle siehst und nicht aus dem Herzen heraus Vater bist, brauchst du gar kein Vater zu sein.“ Das hat er verstanden. Am Ende lag er nackt auf einem weißen Lammfell und weinte wie ein Baby. Er hatte eine wichtige Entscheidungsfrage mitgebracht und hat sie gelöst. Ein Jahr später hat er mir gemailt, es gehe ihm gut.
Ist es ungewöhnlich, dass ein Mann sich so darauf einlässt?
Wer einen Kurtag mit mir machen will, hat meine Homepage oder mein Buch „Adler Feder Berg“ gelesen und weiß, dass wir keinen Spaziergang machen. Ich habe Patienten, die schon fünfmal Kurtage bei mir gebucht haben, weil sie für die jeweils nächste Station im Leben einen Impuls finden wollten.
Ein anderer Mann hatte zum Beispiel das Thema Grenzen. Wie kann er sich abgrenzen, wo sind seine Grenzen, wie weit lässt er eine Frau an sich heran? Es gab den ersten Schnee, und ich dachte: „Super Übung, ich lass ihn seine Grenzen in den Schnee treten.“ Als er fertig war, haben wir kurz geredet, da kam die Sonne raus, und seine Grenzen waren weg, geschmolzen. – Was für eine geniale Intervention der Natur! Mich macht diese Arbeit so demütig und dankbar.
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Und wie hat der Mann reagiert?
Er hat neue Grenzen gezogen. Beim ersten Mal ist er durch den Schnee gestapft wie ein Kind. Beim zweiten Mal habe ich gespürt: Der muss hart arbeiten für seine Grenzen. Er hat Baumstämme herbeigeschleppt und mit seiner ganzen Manneskraft zwei Stunden gerackert. Und dabei hat er gemerkt: Das sind meine Grenzen.
Das alles klingt so konsumfern. In einer Welt, in der als wirksam gilt, was viel kostet, kann ich einfach in den Wald gehen und mit ein paar umgefallenen Bäumen meine Grenzen spüren?
Für unser Wirtschaftsdenken ist es ein Gegenentwurf. Aber es ist eben das himmlische Buffet und das hat keine Währung. Wir müssen nur lernen, es zu sehen, unsere Augen sind abgestumpft. Es ist, wie wenn ich Eierschwammerl suche, der Wald voller Herrenpilze ist und ich mit leerem Korb heimkomme, weil ich nur nach gelben Schwammerln Ausschau gehalten habe.
Wenn ich offen bin, werde ich auch Herrenpilze, Täublinge und Brätlinge sehen. Freiheit entsteht, indem wir sie uns zugestehen. Es kostet nichts, wenn wir unsere Scheuklappen ablegen, uns 360 Grad im Kreis drehen und die unendlichen Möglichkeiten sehen.
Es kostet nichts, wenn wir unsere Scheuklappen ablegen, uns 360 Grad im Kreis drehen und die unendlichen Möglichkeiten sehen.
Dr. Monika Drechsler, Kurveranstalterin
Manchmal steht man an einer Gabelung, und es gibt trotz 360-Grad-Drehung nur zwei Wege.
Nein, du kannst Millionen anderer Wege nehmen. Aber der Verstand sagt: „Da ist Gestrüpp, dort ein Fluss, da Brennnesseln.“ – Na und? Du kannst den Fluss durchqueren. Oder dir einen Weg durchs Gestrüpp suchen. Oder durch die Brennnesseln huschen und schauen, was passiert. Das Buffet ist reichhaltig, wir haben unendlich viele Möglichkeiten. Und in der Natur lernen wir sie kennen.
Und wer sagt: „Das Buffet ist eröffnet!“?
Du selbst.