Maui. Das Leben ist ein Marathon, kein Sprint
Aloha, Hawaii. Dass mitten im Pazifik, abgeschottet vom Rest der Welt, ein paar Inseln herumschwimmen, ist an sich schon ziemlich cool. Dass es auf Hawaii obendrein keine giftigen Tiere, dafür aber inflationär viele Sandstrände, Wasserfälle und Regenbögen gibt (letztere man findet sie sogar auf den Auto-Nummernschildern), macht die Sache speziell.
Ich wollte immer hierher. Aber für Hawaii muss man Zeit und Geld haben. Erstere ist vorhanden. Und das mit dem Geld? Nun ja, das versuche ich soweit unter Kontrolle zu halten, als dass ich zwei Wochen – gegen Kost & Logis – als Freiwillige in einem Öko-Retreat arbeite. Kloputzen und Unkraut jäten im Paradies. Der Deal ist nicht perfekt, aber was ist das schon?
Seit ich auf Maui gelandet bin, fühle ich mich wie ein spiritueller Neandertaler.
Was mein Hirn viel mehr quält: Seit ich auf Maui gelandet bin, fühle ich mich wie ein spiritueller Neandertaler. Dabei dachte ich immer, ich sei in dieser Richtung durchaus bewandert. Tarot, Geistheiler, Schamanismus, die Macht des Universums – ist mir alles nicht fremd. Doch, das was sich hier auf Maui auftut, lässt mich mitunter ratlos zurück. Vor allem die Nordküste scheint eine Einflugschneise für Hippies, Hexer und haschrauchende Heilsuchende zu sein.
Sonntags wird beim sogenannten „drum circle“ am Strand nackt zu Trommelmusik getanzt. Man begrüßt sich allseits mit Umarmung, egal wie lange man sich kennt, und ruft sich zum Abschied gerne „I love you“ zu. In Paia, einer Kleinstadt bekannt für ihre guten Windsurfing-Bedingungen, sehe ich seit Tagen einen bärtigen Mittvierziger auf dem Gehsteig hocken. Er meditiert, die Augen geschlossen, eine Birne in der Hand. Manchmal ist es auch eine Mango.
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„Der Typ ist eine lebende Legende!“, flüsterte F., eine Yogalehrerin und Reiki-Meisterin mir bei der ersten Sichtung aufgeregt zu. „Er war angeblich ein gefeierter Guru in Indien, hatte eine große Gefolgschaft.“
„Und jetzt lebt er obdachlos auf Hawaii?“, fragte ich.
„Sowas in der Art“, zuckte F. mit den Schultern. „Aber schau dir sein seliges Lächeln an, der Typ scheint absolut zufrieden mit dem Wenigen, das er hat. Davon können wir alle lernen.“
Aber schau dir sein seliges Lächeln an, der Typ scheint absolut zufrieden mit dem Wenigen, das er hat. Davon können wir alle lernen.
Dann schleppte sie mich weiter zu „Mana“, einem Bio-Supermarkt, der vom Klientel her einer Zeitreise in die 1970er gleicht: Durch die engen Regelgänge schieben sich langhaarige Hippies ohne T-Shirt und ohne Schuhe. Barfuß gehen wird auf Hawaii groß geschrieben. „Spüre deine Füße, dann spürst du Mutter Erde“ lautet das Motto. Dazu: Frauen mit Achselhaaren und wallenden Batik-Kleidern. Dauerlachende Kunden mit weiten Pupillen auf der Suche nach veganen Schokoladenkeksen. Überall ist die Rede von „Liebe“, „Frieden“, „Energie“, „Eingebung“. Und der Supermarkt ist nur die Spitze des Eisbergs.
Ihr Ich-hab-das-mit-der-Erleuchtung-endlich-geschnallt-Ehrgeiz ist mitunter schwer auszuhalten.
Dort, wo ich untergebracht bin, lebe ich mit lauter Mittzwanzigern. Volunteering bringt das so mit sich, dass keiner älter als Jahrgang 1990 ist – aber nachdem ich mich entschlossen habe, zu Spar- und Selbsterfahrungszwecken gratis zu schuften, muss ich da jetzt durch. Die 20-Jährigen sind herzensgute, tolerante, kluge und weltoffene Menschen, aber spätestens zu Mittag brauche ich Abstand und nehme mein Sandwich fern der Gemeinschaftsräume ein. Denn ihr „Ich-hab-das-mit-der-Erleuchtung-endlich-geschnallt“-Ehrgeiz ist mitunter schwer auszuhalten. Manchmal habe ich das Gefühl, sie scheinen sich darin übertrumpfen zu wollen, wie weit jeder schon in seiner spirituellen Entwicklung ist.
C. etwa meint, in allem ein Zeichen zu sehen. In dem Song, der im Radio ertönt („Der Liedtext hat den verborgenen Wunsch in mir geweckt, in der freien Natur zu übernachten“). In der Mango, die vom Baum vor ihre Füße fällt („Mutter Erde zeigt mir, dass sie auf mich aufpasst“). Sogar der Blick auf die Handy-Zeitanzeige birgt verborgene Botschaften. „Es ist so unheimlich, es ist schon wieder 11:11 Uhr. Das deutet mir, dass es okay ist, einen Flug auf die Nachbarinsel zu buchen.“
„Wenn du lernst zu sterben, dann lernst du zu leben“
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J. wiederum geht barfuß über Steine, über die man nicht barfuß gehen soll. Er „lädt“ seine Mahlzeiten während des Kochens mit „Liebe“ oder „Chi“ auf, in dem er einen Sticker mit den entsprechenden Worten auf die Rührschüssel klebt. Und schon beim Frühstück tauschen sich alle darüber aus, welche Emotion oder Energie sie gerade spüren.
Das Leben ist ein Marathon. Kein Sprint. Erleuchtung – oder die Entdeckung dessen, was uns lenkt – kommt graduell, sie braucht Zeit, Geduld und Demut.
Ich bleibe bei diesen Gesprächen meistens still. Nicht, weil ich das Ganze absurd finde. Wie gesagt, ich bin offen für Dinge, die die Wissenschaft nicht zu erklären vermag. Ich finde es nur alles ein bisschen viel. Minütlich meine Gefühlsregungen und möglichen göttliche Eingebungen zu protokollieren, birgt für mich die Gefahr, dass man nur des Redens willen redet, aber eigentlich gar nichts zu sagen hat. Das Leben ist ein Marathon. Kein Sprint. Erleuchtung – oder die Entdeckung dessen, was uns lenkt – kommt graduell, sie braucht Zeit, Geduld und Demut.
„Kommst du mit zum Temple of Peace?“, haben mich die Youngsters heute gefragt. Der Temple of Peace ist eine Art musikalischer und inter-religiöser Sonntagsgottesdienst auf Maui. „Nein, ich denke, ich hatte genug spirituellen Input für diese Woche“, habe ich gesagt. Dann, als sie weg waren, habe ich mir zufrieden eine Flasche Ananas-Wein geöffnet, mich auf einer der Sonnenliegen platziert und aufs Meer geschaut. Vor mir tat sich ein Regenbogen auf. Und ich wusste auch, ohne ihn zu interpretieren: Mein Leben und das Universum sind gerade ziemlich gut zu mir.
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