Multitasker Wiese: viel mehr als nur ein Blumenmeer
Wiese ist Heimat, Wiese ist Nahrung, Wiese ist Klimaschutz. Sie ist Augen-Trainerin und Anti-Stress-Therapeutin. Ein Gesamtkunstwerk, das alle Sinne kitzelt, uns erdet und entspannt.
Still und eifrig werkelt sie vor sich hin und gewährleistet eine Vielzahl der Abläufe, die unser Überleben auf der Erde sichern. So liefert Grünland nicht nur vielen Lebe wesen Nahrung. Es dient auch als Arbeits-, Brut- und Nistplatz, Winterquartier und Zufluchtsort vor Fressfeinden. Je nach Beschaffenheit der Wiese wachsen bis zu neunzig unterschiedliche Pflanzen und tummeln sich bis zu tausend verschiedene Tiere auf einem Quadratmeter, darunter vor allem Käfer, Heuschrecken, Schmetterlinge, Bienen, Hummeln und Ameisen.
Aber auch bodenbrütende Vögel legen ihre Eier in den Schutz der Gräser oder bauen, wie die Feldlerche, ihre Nester direkt auf der Erde. Die Wiese ist die Kinderstube von Rehkitzen, das Zuhause von Feldhase, Feldmaus und Fasan.
Und das sind längst nicht all ihre Aufgaben: Die Wiese dient als Wasserspeicher, Hochwasser- und Erosionsschutz. Durch die dauerhaft geschlossene Pflanzendecke, die intensive Durchwurzelung und den hohen Humusgehalt kann sie Regenwasser gut aufnehmen und halten. Das reduziert die Gefahr von Überschwemmungen und verhindert, dass der Boden in steilen Hanglagen abgetragen wird.
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Die Wiese kühlt die Luft
Eine der wesentlichsten Funktionen der Wiese aber, die laut Experte Alexander Mrkvicka viel mehr Beachtung verdient, ist ihre Bedeutung für den Klimaschutz: „Wir hören immer wieder, dass wir mehr Bäume pflanzen müssen, um das Klima zu retten. Dabei leistet die Wiese hier mindestens ebenso Großes.“
Warum?
„Schonend gedüngt und gemäht, speichert und bindet sie in Europa jährlich mehrere Millionen Tonnen Kohlenstoff. Nicht nur die Pflanzen, sondern insbesondere der Humus im Boden speichern ihn in großen Mengen. Außerdem reguliert die Wiese das lokale Klima.“
Ihr Kühleffekt ist dem Pflanzenflüsterer zufolge enorm – und das vor allem in Kombination mit dem Wald. „Der Wald ist ein Langschläfer und fängt erst gegen 9 Uhr morgens gemächlich mit der Verdunstung an. Wenn er beginnt, die Luft zu kühlen, war die Wiese schon höchst aktiv. Ohne Wiese wäre es also wesentlich wärmer.“
Das Grün senkt unseren Puls
Uns Menschen fasziniert die Wiese seit jeher mit ihrer Schönheit und Vielseitigkeit. Sie ist wie jede Facette der Natur ein Ort der Erholung, den wir mit innerer Ruhe, körperlicher Aktivität und Abstand zu unserem Alltag verbinden.
Längst hat die Wissenschaft den Natur erholungseffekt vielfach belegt: Grün wirkt beruhigend auf unser Gemüt – und die Ursache dafür liegt in den Genen. Unseren Vorfahren signalisierte Grün nämlich tatsächlich Überlebenswichtiges: Wo es grün war, da gab es Wasser, Nahrung und Unterschlupf.
Dass wir Pflanzen instinktiv Positives zuschreiben (die Wissenschaft spricht von Phytophilie), hat sich bis heute erhalten – unser Gehirn braucht für die Verarbeitung natürlicher Umgebung einfach weniger Verarbeitungskapazitäten als für ein urbanes Setting.
Das gilt natürlich auch fürs Bunt: Allein der Anblick von Pflanzen führt, sofern er länger als fünf Minuten dauert, zu Spannungsabbau. Unsere Pulsfrequenz sinkt, der Atem wird tiefer, der Stress lässt nach.
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Augentraining durch Beobachten
Es zahlt sich aber auch aus, den Blick beim Bestaunen der Wiese in die Ferne schweifen zu lassen. Alexander Mrkvicka: „Wir fokussieren den ganzen Tag auf Naheliegendes: den Laptop, das Handy, das Buch. Einfach einmal nur dazusitzen und einen weit entfernten Schmetterling zu beobachten trainiert unser Auge. Bei Kindern können solche – im wahrsten Sinne des Wortes – Augenblicke zur Entwicklung des Sehsinns beitragen und die Gefahr der Kurzsichtigkeit mindern.“
Tarnanzüge und Schauspielerei
Warum das System Wiese funktioniert, wie es funktioniert, ist (noch) ein großes Rätsel. Fix ist allerding, dass es vom komplexen Zusammenspiel der kleinen und großen Bewohner abhängt – und das enge Neben- und Miteinander treibt so manche seltsame Blüte. Da wird im großen Stil gepackelt, getarnt und getäuscht, solche Manöver nennen Biologen Mimese (die Kunst, sich unsichtbar zu machen) und Mimikry (Vorgaukeln von Gefahr).
So tragen die Jungen mancher Vogelarten künstliches Heu auf dem Kopf, um als trockenes Grasbüschel durchzugehen, anderes Getier orientiert sich optisch an Samenkörnern, Blättern, Rinden, Zweigen oder Steinen.
Die harmlose Schwebefliege trägt die „giftigen“ Farben Schwarz, Gelb und Rot, um sich ihren Fressfeinden gegenüber als gefährliche Wespe zu inszenieren, und die Raupen des Ameisenbläulings beruhigen die Arbeiterinnen gar mit berauschenden Substanzen. Ihre Mission: sich unbemerkt ihren Brutkammern zu nähern und die Larven zu verzehren.
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