„Ich habe versucht, zwei Wochen lang nett zu sein“
Nett sein. Immer. Jederzeit. Sogar in der Früh. Sogar beim Autofahren. Zwei Wochen lang. Geht das? Ein Selbstversuch über das Zaubermittel Freundlichkeit.
Bin ich freundlich? Ja sicher! Mehr als das. Ich würde mich sogar als hoffnungslose Frohnatur bezeichnen, die zu gar niemandem unfreundlich sein kann. Das wäre meine spontane Antwort gewesen. Leider dachte ich aber ein wenig länger darüber nach und kam auf ein, zwei, vielleicht drei Ausnahmen.
In der Früh zum Beispiel: Da bin ich ein Muffel. Für Menschen, die mich aufregen, hab ich auch nicht eben ein Lächeln übrig. Und beim Autofahren darf man mich sogar Wutbürger nennen.
Mit diesen Eigenschaften hätte ich zwar ganz gut leben können, da die wunderbaren Auswirkungen von Freundlichkeit aber immer öfter Thema der Soziologie und anderer Wissenschaften sind, fragte ich mich, ob nicht auch ich Nachholbedarf hätte.
Schließlich soll Nettsein das Immunsystem stärken, die Gedächtnisleistung erhöhen und vor allem das Wohlbefinden sehr schnell steigern, wie der amerikanische Glücksforscher Martin Seligman herausfand.
Das sind ja wohl genug gute Gründe, um an meiner Freundlichkeit zu arbeiten, dachte ich. Und startete eine kleine Versuchsreihe.
In der Früh zum Beispiel: Da bin ich ein Muffel.
Harald Nachförg, Autor
1. Versuch: Freundlich zur Familie
Wie schon erwähnt: Ich bin ein Morgenmuffel. Ich rede nach dem Aufwachen so gut wie gar nicht, und wenn ich doch einmal was sage, dann so was wie: „Scheiß Wetter auch noch!“ Mir ist klar, dass diese Mieselsucht keine Bonuspunkte bringt. Da die Familie aber weiß, dass ich eine lange Anlaufphase habe, ehe sie mit Gags, Gags, Gags rechnen darf, nimmt sie mein Verhalten geduldig hin.
Umso größer waren die Augen, als ich gleich nach dem Aufstehen alle anlächelte und mich sogar zu einem müden Scherz zwang. Auch ich war ehrlich gesagt überrascht von der Reaktion. Denn plötzlich grinsten alle wie die Hutschpferde, selbst der Hund. Eine Woche durchgezogen, gestaltete sich das Frühstück immer fröhlicher – wir ganselten einander auf, und jeder ging happy in die Arbeit bzw. Schule.
Erste Erkenntnis meines kleinen Ausflugs in die Welt der absichtlichen Nettigkeit: Du startest wirklich besser gelaunt in den Tag. Und dieses Glücksgefühl kann bis zum Abend anhalten. Die Betonung liegt freilich auf KANN – schließlich gilt es, bis zum gemütlichen Fernsehen auf der Couch einige Hürden zu meistern.
Bleiben wir bei der Familie – denn hier genügt mitunter eine Schnapsidee oder Beichte der Kinder, um die Contenance zu verlieren. So gesehen wundert es mich nicht, wenn mich die Kids immer noch für einen Grantscherben halten. Dass einem oft aus Sorge die Mundwinkel herunterfallen, wollen die Rabauken ja nicht wahrhaben.
2. Versuch: Freundlich im Auto
Für mich die härteste Probe. Es beginnt bei dem Phänomen, dass ich immer dann, wenn ich mir eine rote Ampel wünsche, um zum Beispiel schnell was zu notieren, eine Grünphase habe, die vermutlich bis Grönland reichen würde. Sobald ich es aber eilig hab: Mistkübelwagen, Straßenbahn, eine alte Dame mit Rollator am Zebrastreifen, gefolgt von 300 händchenhaltenden Kindergartenzwergen. Es ist zum Haareraufen.
Trotzdem übte ich mich in buddhistischer Gelassenheit, ja nickte den Menschen draußen sogar zu – und wurde dafür tatsächlich belohnt. Kam ein freundlicher Blick oder gar ein Lächeln zurück, freute ich mich. Winkte eines der Kinder, fühlte ich förmlich den Blutdruck sinken und entspannte mich.
Bis, ja, bis ich einen Geländewagen in die stauende Kolonne hereinwinkte. Der Fahrer glotzte mich von oben herab an und bedankte sich natürlich nicht, der hässliche Affe. Ich gab ihm auch noch andere Namen, die allerdings nicht hierher passen.
Jedenfalls Schaum vorm Mund und die nächste Erkenntnis: Freundlichkeit, die ausgenutzt wird, bekommt mir nicht. Daran gilt es noch zu arbeiten.
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3. Versuch: Freundlich zu Fremden
Glücksforscher Seligman hat absolut recht: Freundlich zu wildfremden Menschen zu sein, macht wirklich glücklich. Nahezu immer reagiert das Gegenüber positiv. Am Ende sind zwei Menschen tatsächlich happy. Im Idealfall haben sich die Spiegelneuronen sogar so sehr aufgeschaukelt, dass man das Ereignis nie mehr vergisst.
Ich bin einer Wurstverkäuferin dafür dankbar. Sie wirkte unendlich müde, ja eigentlich grantig, als ich bei ihr eine Schinkensemmel bestellte. Trotzdem fiel mir auf, wie sehr sie sich bemühte, mir ein erstklassiges Semmerl mitzugeben, und dass sie den Schinken deswegen sogar extradünn aufschnitt.
Normalerweise hätte ich geschwiegen, diesmal sagte ich, was ich dachte. In der Sekunde begann sie zu lächeln. Ihre Freude konnte man greifen – und sie übertrug sich ebenso schnell auf mich. Am Ende bedankte ich mich noch überschwänglich für „die beste Schinkensemmel der Welt“, sie lachte, und spätestens ab diesem Moment war für uns beide die Welt rosarot.
Man sieht: Wohlbefinden lässt sich sehr leicht herstellen. Ich gebe aber zu, dass ich mir mit Menschen, die offenherzig sind, leichter tu als mit verschlossenen.
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4. Versuch: Freundlich zu Feinden
Feind ist jetzt vielleicht ein bissl krass ausgedrückt, sagen wir lieber: Menschen, die einem nicht so liegen. Parksheriffs zum Beispiel. Wo sich diese Hüter von Recht und Ordnung verstecken, weiß ich nicht, jedenfalls ist immer einer pünktlich zur Stelle, wenn ich meinen Parkschein auch nur um eine halbe Minute überzogen habe.
Im schlimmsten Fall trifft man das Organ der Parkraumüberwachung auch noch persönlich an – und selbst wenn man mit einem frisch eingegipsten Kind aus dem Spital kommt, gibt es kein Pardon. Nun ja, das brave Parkraumüberwachungsorgan macht ja auch nur seinen Job. Außerdem braucht der Staat Geld – und dafür zahle ich gern. Davon abgesehen war es ja wirklich mein Fehler … Natürlich denkt so kein Mensch. Es schadet aber nicht, sich einmal in die Position seines Widersachers zu versetzen.
Der andere Blickwinkel stimmt einen nämlich augenblicklich milder. Dem Parksheriff, der mir an einer Ampel begegnete, freundlich zuzunicken gelang mir aber ehrlich gesagt nicht. Ich fand es unpassend, dachte, es könnte verächtlich wirken.
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5. Versuch: Freundlich zum Chef
Das ging in die Hose. Na ja, nicht ganz. Der Boss war zum Scherzen aufgelegt, und darum freute ich mich, dass er bei mir vorbeikam. Jedenfalls begrüßte ich ihn jovial und alberte eine Zeitlang mit ihm herum. Leider teile ich mein Zimmer mit zwei Arbeitskollegen. Und was, glauben Sie, sagten die beiden Spaßbremsen zu mir, kaum dass der Alte draußen war? Schleimer!
Als freundlicher Mensch geht man über so was natürlich großzügig hinweg.
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Fazit
Wer freundlich zu anderen ist, wird reich belohnt. Ich bekam nahezu immer ein Lächeln, nette Worte, gute Laune, Freundlichkeit in all ihren Facetten zurück. Und das sofort. Das steigert die Lebenslust ungemein, was wiederum dazu führt, dass man noch freundlicher durchs Leben geht – und sich als Glücksbringer mit noch mehr positiver Energie aufladen kann.
Obwohl ich ohnehin selten grantig durchs Leben gehe, nutze ich diesen Effekt jetzt bewusst, wenn ich einmal nicht so gut drauf bin. Und bin gerade dann freundlich, was das Zeug hält.
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