„Es gibt nie nur einen Weg“ – Pamela Forster, Profi-Parkour-Athletin im Interview
Pamela Forster ist Parkour-Runnerin und hat Nicole Kolisch erzählt, warum es wichtig ist, manchmal die Perspektive zu ändern, um seinen Weg zu finden.
Die Stadt gehört ihr: auf Dächern, über Mauern, geradewegs
durch. Bloß weil es noch keiner gemacht hat, heißt es nicht,
dass es unmöglich ist! Ein Gespräch mit „Ninja Warrior“
Pam Forster über Chancen und Abenteuer, die in jedem einzelnen
Tag stecken – wenn man einfach mal die Perspektive wechselt.
Wenn Pamela Forster über einen Platz geht, sieht sie vor allem eines: Möglichkeiten. Große und kleine, geradlinige und krumme, leichte und verdammt schwierige. „Es gibt nie nur einen Weg“, sagt sie. Und genau deshalb sei es auch nicht schlimm, wenn mal etwas schiefgeht. Steckt ja schon in dem Wort drin: Es ist dann eben „schief“ gegangen statt gerade. Aber gegangen, das ist es allemal! Vielleicht war’s sogar interessanter so. Denn gerade, das kann ja jeder!
Pam ist 35, Niederösterreicherin, und sie ist etwas, was es eigentlich gar nicht gibt: eine professionelle Parkour- und Freerunning-Athletin. Also, natürlich gibt’s das. Denn es gibt ja Pam. Aber davor gab’s das nicht. Nicht als Beruf, nicht in Österreich, nicht für Frauen.
Manche Wege entstehen dadurch, dass man sie als Erste geht. Und, richtig erraten: Gerade sind die nicht. Dafür voller Glücksmomente. Ein paar dieser Glücksmomente hat Pam mit uns geteilt. Gemeinsam mit Emilian, 9, hat sie uns gezeigt, wie man im Alltag kleine Wunder, wie man in einer Wüste aus Waschbetongrau Farben entdeckt. Denn: Parkour und Freerunning, das ist Fantasie.
„Für mich“, sagt Pam, „ist es pure Freiheit!“ Eine Freiheit, die sie lange vermisst hatte – und die sie das erste Mal erschnupperte, als ihr klar wurde: Es muss nicht immer eine strikt reglementierte Übungsroutine sein wie damals beim Kunstturnen.
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Wie hast du das erlebt?
Pam Forster: Ich habe jahrelang auf genormten Geräten geturnt, immer dieselben Figuren mit immer demselben methodischen Aufbau. Und dann bin ich zu Parkour und Freerunning gekommen und hab gemerkt: Da gibt es ganz andere „Geräte“. Eine Bank, ein Stiegengeländer ... alles kann ein Gerät sein! Man sucht sich seine Turngeräte einfach selbst. Darin steckt ein ungeheurer Gestaltungsfreiraum.
Früher, da gab’s für mich nur die Sportler und ihre Geräte. Jetzt gibt’s die Umgebung und den Freerunner. Das macht neue Räume im Kopf auf: Man fängt an, sich kreativ zu bewegen, ganz ohne Vorgaben. Für mich war das ein komplett anderes Arbeiten. Ich war deshalb auch am Anfang sehr unkreativ. Diese Freiheit musste ich erst lernen.
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Wie meinst du das?
Ich hab immer nur die eine Richtung gesehen und mich dann wieder von vorne angestellt, um dieselbe Strecke noch einmal zu machen – während andere Freerunner drüben einfach umgedreht haben ... Am Anfang dachte ich: „Moment, das geht ja nicht, wieso steht der jetzt auf der anderen Seite?!“ Bis ich kapiert habe: Ah, das ist gescheit! Der probiert einfach die andere Richtung.
Das klingt jetzt schrecklich banal, aber im Turnen gibt’s das nicht. Ich hatte den Sprungtisch noch nie von der anderen Seite geturnt. Und plötzlich waren da Leute, die Parkourstrecken einfach rückwärts probiert haben, weil ja keiner sagt, dass man das nicht darf.
Das klingt gut ...
Ja, das war voll interessant, mitzubekommen, dass man selbst seine Gegend – und dadurch in gewisser Weise auch sein Leben – gestalten kann. Das hat mich dazu angeregt, einfach mein Leben in die Hand zu nehmen und zu sagen: Ich entscheide selber, was ich machen will und wie ich meinen Beruf ausüben möchte. Das hab ich seither umzusetzen versucht – und bis jetzt war das eine gute Entscheidung! Mit einem Mal wurde so die Stadt zum Spielplatz.
Zwölf Jahre ist das mittlerweile her. „Aber es ist heute noch so“, sagt Pam, „wenn ich nach London komme, interessiere ich mich schon auch für die Sehenswürdigkeiten – aber genauso aufregend ist es, zu schauen, wo man überall herumspringen könnte.“ Das sei wie bei einem Fotografen, der mit einem völlig anderen Blick durch die Stadt geht, weil er nach interessanten Lichtquellen sucht. Außerdem sei sie schon immer gern herumgehüpft.
Pam Forster: Solange ich denken kann, hatte ich diesen Bewegungsdrang! Und ich probiere gern neue Sachen aus. Bei Parkour bin ich dann einfach hängen geblieben, weil das die Sportart ist, die mich am meisten fordert – nicht nur als Sportlerin, sondern auch als Mensch. Es ist die Sportart, bei der ich mich am meisten weiterentwickelt habe. Weil sie mich dazu bringt, die bestmögliche Version meiner selbst aus mir herauszuholen.
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Also auch in privaten oder beruflichen Situationen, die fordernd sind?
Auf jeden Fall! Für mich ist das nicht nur eine Bewegungsform, sondern ein Lebensstil und ein Denkansatz, wie man neue, manchmal überraschend einfache Lösungen finden kann – in jeglicher Hinsicht. Mir hilft es, Entscheidungen im Leben zu treffen und bei herausfordernden Situationen ein bisschen mehr „out of the box“ zu denken.
Es gibt überall so viele Vorgaben, so viele Regeln, die einem den Weg weisen, dass man diesen Weg fast automatisch einschlägt, ohne ihn zu hinterfragen. Ich habe bei Freerunning gelernt, dass es so viel mehr als die vorgezeichneten Wege gibt! In Wahrheit könnten wir alle ein bisschen mehr ausbrechen, über die Grenzen gehen.
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Weil manche Grenzen vielleicht gar nicht unsere Grenzen sind – und wir nur gelernt haben, uns brav an solchen Vorgaben zu orientieren?
Jedes Kind will sich bewegen. Wir sind früher alle gerne irgendwo hinaufgeklettert, haben balanciert, geschwungen, ausprobiert. Aber dabei wird man rasch durch das soziale Umfeld eingeschränkt: Man darf dieses nicht und jenes nicht. Und man passt sich an. Natürlich passiert das auch, um Kinder zu schützen. Aber irgendwann ist man erwachsen und kann beginnen zu überprüfen, ob das Bild, in das man sich unmerklich hineinentwickelt hat, noch passt.
Vielleicht muss dann nicht mehr jede Mauer eine Grenze sein. Also mir hat es geholfen, verschiedene Orte aus verschiedenen Winkeln zu betrachten und dadurch ganz neu für mich zu entdecken. Das hab ich dann auch für mein privates und berufliches Leben genutzt und immer wieder versucht, die Herausforderungen, vor die mich das Leben gestellt hat, aus verschiedenen Winkeln zu sehen.
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Was denn zum Beispiel?
Ich habe Sportmanagement und Marketing studiert und gleich nach dem Studium mit einem Vollzeitjob angefangen. Vierzig Stunden im Büro beim SK Rapid Wien. Ich hab damals schon als Hobby Parkour gemacht, bin nach der Arbeit trainieren gegangen – und langsam kamen da Anfragen, ob ich zum Beispiel eine Werbung drehen will etc. Das ließ sich zunehmend schlecht mit dem Job unter einen Hut bringen. Irgendwann hab ich mir gedacht: „Ich will das machen! Ich möchte hauptberuflich herumspringen.
Aber existiert dieser Beruf überhaupt? Was passiert, wenn ich kündige und kein fixes Einkommen habe?“ Und genau da hat es mir geholfen, die Situation aus den unterschiedlichsten Blickwinkeln zu betrachten – auch aus denen, die nicht geradlinig und offensichtlich scheinen – und zu fragen: Was sind meine Optionen? Im Endeffekt hab ich meinen Job gekündigt und gesagt: Ich probier das jetzt.
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Du hast auch gesagt, du forderst dich immer gerne selber neu heraus.
Jeden Tag! Ich hab vor einem halben Jahr einen Auftrag angenommen, der mich komplett aus meinem gewohnten Alltag rausgeholt hat: Ich bin für eine Filmproduktion ein halbes Jahr nach England gegangen, hab das erste Mal „richtige“ Stunts gemacht, das war eine Mega-Challenge, aber sehr aufregend. Ich liebe es, mich neuen Projekten zu stellen. Es wird nie fad. Wenn es dann heißt, das ist unmöglich, denk ich mir: Ich probier’s!
Challenges, die von außen an dich herangetragen werden, sind das eine. Das andere sind ja Ziele, die man sich selber setzt, um zu wachsen. Wie sehen denn die bei dir aus?
Es gibt immer wieder Personen, die einen inspirieren, oder Bilder, die man sieht, und man versucht, das nachzumachen. Aber noch lustiger ist, wenn man genau das nicht schafft. Wenn man scheitert – und man findet dadurch etwas ganz anderes! Ich bin ein großer Freund einer offenen Fehlerkultur: Man muss Fehler zulassen, damit Neues entstehen kann. Seinen Fehlern positiv gegenüberzustehen ist enorm wichtig – es gibt ja nicht nur Richtig oder Falsch.
Und ohne Challenge keine Weiterentwicklung? Siehst du das so?
Ich find schon, dass es wichtig ist, nicht jeden Tag dasselbe zu leben, sondern immer offen für Neues zu sein. Okay, man muss sich nicht jeden Tag neu erfinden (lacht), aber einfach mal probieren, den anderen Weg nach Hause zu gehen ...
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Oder denselben Weg auf andere Art?
Genau. Denselben Weg, aber mal woanders hinschauen dabei, nicht nur aufs Handy, sondern auf die Dächer. Das überrascht einen dann oft, was sich da auftut an Gelegenheiten und Gedanken. Manchmal passiert nix – aber manchmal passiert ganz viel! Als ich mit Parkour angefangen habe, war das, was sich in den ersten beiden Jahren am meisten verändert hat, überhaupt nicht meine körperlichen Skills, sondern mein Blick.
Weil du in einem Mauervorsprung nicht nur einen Mauervorsprung siehst, sondern ...?
... eine Idee! Natürlich hat sich ein Architekt irgendwann gewisse Dinge dabei gedacht. Aber das heißt nicht, dass wir es alle so sehen müssen wie er. Ich bringe meine eigene Erfahrung mit. Für mich wird seine Mauer zu meiner ganz persönlichen Parkour-Landschaft. Während ein Künstler, der sich hinsetzt und die Mauer zeichnet, vermutlich wieder etwas ganz anderes darin sieht.
Und da sind wir dann wieder beim Thema Perspektivwechsel: Im ersten Schritt beginne ich, einen Weg aus verschiedenen Winkeln zu sehen. Aber es gibt nicht nur mich. Ich kann den Weg auch mit den Augen anderer sehen – und dabei noch mehr Möglichkeiten entdecken. Es gibt eben nicht nur das eine Rennen von A nach B. Es gibt eine Welt voller Wege!