Die Sprache der Haare: So geht Haarpflege richtig
„Haare sind Teil unserer Identität und Ausdruck von Gesundheit“, weiß Dermatologin Dr. Alice Martin – und liefert im Interview einen Leitfaden rund um Wachstum, Pflege und Ernährung. Eine Anleitung zum Haarewaschen inklusive!
Frau Dr. Martin, starten wir mit Grundlegendem: Was bedeutet für Sie gesundes Haar? Wie fühlt es sich an, wie sieht es aus, wie ist es beschaffen?
„Gesundes Haar ist genauso individuell wie eine gesunde Körperform, deshalb lassen sich nur vage Kriterien nennen. Der wichtigste sichtbare Gesundheitsindikator ist wohl, dass die äußerste Schicht eines Kopfhaares intakt ist. Dabei liegen die Keratinschuppen wie Dachziegel flach und bündig übereinander und reflektieren so das Licht.“
Das lässt die Haare glänzen, richtig?
„So ist es. Zudem hat gesundes Haar keinen Spliss, es fällt nicht aus, und man hat eine gepflegte Kopfhaut. Prinzipiell ist gesundes Haar mein bester Zustand – und den kenne ich in der Regel selbst sehr gut. Es gibt zum Beispiel Menschen, die haben einfach von Natur aus sehr dünnes Haar.“
Heißt das, dass dieses sehr dünne Haar bereits ihr bester Zustand ist?
„Genau das heißt es: Es bleibt dünn, ganz egal, was reingeschmiert wird. Und zugleich ist es völlig gesund.“
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Und wie schaut’s mit stumpfem, sprödem Haar aus?
„Kann das gesund sein? Auch das gibt’s natürlich, aber es ist ein Zeichen dafür, dass es nicht gut genug gepflegt wird. Was viele nicht wissen: Haarpflege fängt nicht mit dem Griff zum Shampoo an, sondern beginnt mit dem täglichen Kämmen, dem passenden Haargummi und der richtigen Bürste.“
Das klingt plausibel. Aber woher weiß ich denn, welche Bürste die richtige ist?
„Das Hauptziel der Bürste ist es, möglichst viele Haare auf einmal zu entwirren. Die klassische Paddelbüste eignet sich da besonders für langes und volles Haar. Rundbürsten taugen gut zum Stylen während des Föhnens, Skelettbürsten entwirren lockiges, dichtes Haar, und Detangler-Bürsten versprechen ein möglichst schmerzfreies Lösen von Knoten.“
Und welche Bürste entwirrt nasses Haar nach der Wäsche am besten?
„Keine. Dazu würde ich einen grobzinkigen Kamm aus Naturkautschuk oder Holz verwenden oder mit den Fingern arbeiten. Aber bitte vorsichtig, denn nasse Haare sind dehnbarer und können leicht brechen.“
Ich fasse also zusammen: Nasse Haare gehören gekämmt, trockene Haare gebürstet …
„… und verknotete Haare passen besser zum Kamm, entwirrte dürfen gebürstet werden.“
Wie entstehen Knoten eigentlich?
„Schon einen Schritt davor, beim Haarewaschen: wenn ich die Haare dabei zu einem Turm aufbaue und Shampoo reinknete. Shampoo gehört nämlich nicht in die Haare, sondern nur auf die Kopfhaut!“
Okay. Das höre ich, kein Witz, zum ersten Mal. Der perfekte Moment also, Sie um eine deppensichere Anleitung fürs Haarewaschen zu bitten …
„Gerne. Die Haare mit 32 bis 34 Grad warmem Wasser nass machen, Shampoo in die Kopfhaut einmassieren und in der Zwischenzeit Conditioner in die Längen geben, damit sich die Schuppenschicht wieder verschließt. Nach circa zwei Minuten alles abspülen. Danach die Haare vorsichtig auswringen. Bitte auf keinen Fall mit einem Handtuch durchrubbeln, so brechen sie ganz schnell ab.“
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Und wie trockne ich sie schonend?
„Die Haare werden ohne Reibung in einem Handtuch ausgewrungen oder in einen Handtuchturban gesteckt. Danach können sie mit geringer Hitze und einem Abstand von 15 Zentimetern geföhnt werden – oder man lässt sie lufttrocknen. Während des Lufttrocknens empfehle ich, einen Leave-in-Conditioner zu verwenden. Der pflegt zusätzlich, das brauchen vor allem lockige Haare! Am Schluss kommt in die trockenen Spitzen noch ein bisschen Öl. Fertig!“
Shampoo, Conditioner, Maske, Öl, Serum, Wachs – das Angebot an Pflegeprodukten fürs Haar ist riesig und überfordert mich immer wieder. Was davon ist wirklich sinnvoll?
„Wir unterscheiden zwischen Produkten für die Kopfhaut und für die Haare. Wichtig ist ein Shampoo, das an die Bedürfnisse der Kopfhaut angepasst ist, zum Beispiel entfettend bei einer fettigen oder feuchtigkeitsspendend bei einer trockenen Kopfhaut. Für die Pflege der Längen eignen sich Öle, Conditioner und Masken.“
Werfen wir ein Auge auf die vielen verschiedenen Inhaltsstoffe: Was kann etwa ein Shampoo mit Keratin?
„Das ist vorteilhaft, weil ja auch das Haar selbst aus Keratin besteht. Keratin-Shampoos füllen diese Struktur bzw. Lücken darin auf. Das ist ein nettes Add-on, hat aber nur einen kurzzeitigen Effekt, weil es sich ja weniger an die Haare als an die Kopfhaut richtet. Deshalb ist es wichtig, auch eine Keratin-Spülung zu verwenden. Der Effekt hält für maximal ein bis zwei Haarwäschen an.“
Und Silikone? Von denen ist in Verbindung mit Haaren auch oft die Rede.
„Silikone sind ein sehr häufiger Inhaltsstoff. Sie sollen die Haarstruktur glätten und verschließen, um sie geschmeidiger zu machen. Allerdings wirken sie so, dass sie die einzelnen Haare wie mit einer Frischhaltefolie verschließen, also quasi eine Hülle darum herum machen. Hört sich nach ultimativem Schutz an! Es stimmt schon, dass nichts mehr rausgeht, aber dafür geht auch nichts mehr rein – also auch keine Feuchtigkeit. Pflegestoffe, die bei der nächsten Haarwäsche verabreicht werden, dringen so gar nicht durch. Mittelfristig trocknen die Haare aus und werden immer stumpfer. Silikone sind also nicht dauerhaft zu empfehlen.“
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Wovon sollten wir lieber noch die Finger lassen – und warum?
„Prinzipiell von Produkten, die aus Erdöl hergestellt werden – wie eben Silikone. Das ist biologisch nicht abbaubar. Duftstoffe sind auch problematisch, weil sie Allergien auslösen können.“
In vielen Haarölen findet sich Argan oder Kokos. Wofür ist das gut?
„Argan- oder Kokosöl gehören in die Spülung, also aufs Haar. Wichtig ist aber immer das Gesamtpaket, also ein pflegendes Shampoo und eine pflegende Spülung – eines allein reicht nicht! Das ist wie beim Essen, da kann ich auch nicht sagen: Ich esse ganz viel Vitamin C, aber sonst keine Nährstoffe, das passt schon. Nein! Ich sollte bunt essen, gute Kohlenhydrate, Proteine und Fette, Obst und Gemüse.“
Haare und Ernährung – im besten Fall ein Dreamteam, oder? Gibt’s Lebensmittel, über die Sie sagen: Iss das, das ist ein Haarbooster!?
„Na ja, also Haare bestehen ja aus Aminosäuren, die sind auf jeden Fall sehr wichtig, und sie finden sich etwa in Fleisch, Eiern, Lachs und Hülsenfrüchten.“
Okay. Und wie beeinflussen Vitamine die Haargesundheit?
„Ihre Effekte sind entscheidend. Wie sich die Abläufe im Detail gestalten, ist aber noch nicht ganz geklärt. Fest steht: Vitamin A, etwa in Petersilie und Eigelb, reguliert die Herstellung des Farbstoffs Melanin. Vitamin B7, das finden wir in Milch, Nüssen oder Tomaten, mischt bei der Synthese von Keratin mit, und Vitamin C ist ganz wesentlich für die Aufnahme von Eisen – das wiederum aufs Haar wirkt. Wichtige Eisenlieferanten sind Weizenkleie, rotes Fleisch, Vollkornprodukte und Linsen.“
Und welche Rolle spielt Vitamin D?
„Eine große. Wir wissen, dass Vitamin D das Haarwachstum beeinflusst. Der Körper stellt es mithilfe der Sonne her, und es steckt u. a. in Speisepilzen. In dunklen Wintermonaten sollte man schon aktiv darauf schauen, dass die Vitamin-D-Werte passen.“
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Und was hat es mit Rapunzelsalat, schlicht Vogerlsalat genannt, auf sich? Hält der wirklich, was er verspricht?
„Rapunzelsalat schmeckt herrlich und enthält sehr viel Folsäure, wirkt aber keine Wunder. Muss er auch nicht: Wenn wir den Spruch ‚Eat the rainbow‘ beherzigen, also bunt essen, machen wir auch in Hinsicht aufs Haar schon sehr viel richtig.“
Alles klar. Aber was passiert, wenn das mit der ausgewogenen Ernährung eine Zeitlang nicht so hinhaut?
„Wenn das zum Dauerzustand wird, entsteht ein Nährstoffmangel – und weil der Körper die wenige zur Verfügung stehende Energie klug rationieren muss, gibt er überlebenswichtigen Organen wie Herz oder Hirn möglichst viel davon ab.“
Und die Haare als Letzte in der Hackordnung fallen dann einfach aus?
„Nicht sofort, aber wenn der Wachstumszyklus gestört wird, ist dem vermehrt so. Dieses Problem haben einige meiner Patienten, die sehr gesundheitsbewusst und dabei extrem sportlich sind.“
Wie meinen Sie das? Wie kann es zu einer Mangelernährung kommen, wenn so penibel aufs Essen und die eigene Fitness geachtet wird?
„Ganz einfach: Diese Menschen essen ausgewogen, aber zu wenig. Wenn sie so viel sporteln, haben sie schlicht ein Kaloriendefizit und somit einen Energiemangel.“
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Ich verstehe. Aber wie viel Haarschwund ist eigentlich normal – und wann besteht Grund zur Sorge?
„Bei mehr als hundert Haaren pro Tag sprechen Mediziner von krankhaft. Aber bitte keine Panik: Wer seine Haare drei Tage nicht bürstet, muss sich dann auch über dreihundert Haare nicht schrecken.“
Was kann neben Mangelernährung noch ein Grund für Haarausfall sein?
„Die falsche Pflege, Autoimmunerkrankungen, erbliche oder hormonelle Faktoren, Stoffwechselstörungen oder ein permanenter fester Zug beim Pferdeschwanz. Das nennt sich Traktionsalopezie.“
Wie fest ist beim Haargummi zu fest?
„Um Schäden zu vermeiden, gilt die Regel: so straff wie nötig, so locker wie möglich binden. Und je dicker der Haargummi, desto schonender ist er.“
Auf welche Signale sollte ich bei Haarausfall achten – und was sagen sie mir?
„Fallen die Haare überall aus und ich war gerade schwanger oder habe die Pille abgesetzt, dann ist das hormonell bedingt und wird sich von selbst regulieren. Esse ich bunt und genug und hab auch keine Autoimmunerkrankung, kann es genetisch bedingt sein. Das verläuft bei Frauen und Männern aber unterschiedlich.“
Beim Mann geht’s ja an den Schläfen los, er kriegt klassische Geheimratsecken. Wo sind unsere Schwachstellen?
„Da lichtet sich das Haar im Scheitelbereich und wird zunehmend dünner. Wer sich da unsicher ist, sollte das ärztlich abklären. Ich schau mir Haarausfall auf vielen Ebenen an, u. a. mittels Blutanalyse und eines Abstrichs betroffener Stellen.“
Wichtig ist aber immer das Gesamtpaket, also ein pflegendes Shampoo und eine pflegende Spülung – eines allein reicht nicht! Das ist wie beim Essen, da kann ich auch nicht sagen: Ich esse ganz viel Vitamin C, aber sonst keine Nährstoffe ...
Lassen sich eigentlich alle Arten von Haarausfall irgendwie behandeln?
„Ja, mehr oder weniger gut. Bei Mangelernährung ist es einfach, die kann ich wie Stress beheben. Hormoneller Haarausfall normalisiert sich, in den Wechseljahren hilft oft eine Hormonersatztherapie. Erblich bedingten Haarausfall kann ich verzögern, aber nicht aufhalten.“
Dann gibt’s noch kreisrunden Haarausfall, ein echtes Schreckgespenst: Wie sind da die Heilungschancen?
„Ja, Alopecia areata kann psychisch sehr belastend sein. Sie betrifft vor allem junge Menschen, und der Verlauf ist schwer vorherzusagen. Grundsätzlich gilt: Je milder die Symptome und je kürzer die Krankheitsdauer, desto besser wirkt die Therapie.“
Was sind die Auslöser dafür?
„Autoimmunreaktionen. Dabei bilden sich Antikörper gegen die eigenen Haarwurzeln, es kommt zu Entzündungsreaktionen und schließlich zum Verlust der Haare. Trigger sind etwa starker Stress, eine Infektion oder Medikamente.“
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Ein ganz heißes Eisen im wahrsten Sinne des Wortes sind mechanische Anwendungen. Schaden sie prinzipiell, oder macht da die Dosis das Gift?
„Diese Behandlungen sind prinzipiell nie gut, da sie die innere Struktur der Haare verändern. Würden wir unsere Haut auf 100 bis 125 Grad erhitzen, so wie wir das mit dem Glätteisen machen, wäre sie verbrannt; Haare halten das besser aus. Das geht aber grundsätzlich ans maximale Strapazierungsniveau. In Sachen Intensität und Häufigkeit macht in weiterer Folge aber schon die Dosis das Gift.“
Ideal wäre also, Haare nie zu färben, nie zu glätten, nie einen straffen Pferdeschwanz zu tragen … hui!
„Klar, aber die Wahrheit ist, dass sich das nicht immer vermeiden lässt. Wann aber genau der Punkt kommt, an dem es das Haar nachhaltig beeinträchtigt, ist wieder total individuell und hängt unter anderem von der Struktur ab. Wer sich die Haare jeden Tag glättet, sollte lieber einmal eine professionelle Glättung machen, die ist insgesamt weniger schädlich.“
Arbeiten Lockenstäbe und Glätteisen eigentlich nach demselben Prinzip?
„Das kommt darauf an. Manche Lockenstäbe arbeiten mit heißer Luft, andere als Hitzestab. Hitze ist also immer im Spiel, aber wenn heiße Luft rauskommt, ist es auf jeden Fall weniger schädlich, als wenn die Haare direkt mit dem 180 Grad heißen Stab in Berührung kommen.“
Und was, wenn das Haar wirklich kaputt ist? Was ist da die letzte Rettung?
„Dann muss es ab. Da hilft sonst nichts.“
Hormoneller Haarausfall normalisiert sich, in den Wechseljahren hilft oft eine Hormonersatztherapie.
Das heißt, dass alle Produkte, die Spliss und Haarbruch zu reparieren versprechen, ein Nepp sind?
„Ja, das ist eine glatte Lüge. Spliss lässt sich nicht behandeln, nur vermeiden – indem die Haare nicht so oft gefärbt und nicht zu kräftig gebürstet werden. Sobald sie sich einmal aufgespaltet haben, können sie nicht mehr zusammenwachsen. Das ist wie bei einer Blume, die gepflückt wurde. Ich kann noch so versuchen, sie wieder anzukleben, es wird nicht funktionieren.“
Was ist der „haarigste“ Fehler, den Ihre Patienten am häufigsten machen?
„Eine Kopfhaut, die stark schuppt, noch öfter zu waschen – ohne überhaupt zu wissen, warum sie schuppt. Das macht die Kopfhaut dann noch trockener, wodurch sie wiederum noch mehr schuppt …“
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Mythos oder Wahrheit?
Zum Abschluss spielen wir bitte noch eine Runde „Mythos oder Wahrheit“. Und los: Hundert Bürstenstriche am Tag sorgen für Glanz und Geschmeidigkeit.
„Es stimmt, dass der Talg, der von der Kopfhaut nach unten hin verteilt wird, diesen Effekt mit sich bringt. Habe ich aber keinen Talg und sind die Haare trocken, werden sie auch durchs Bürsten nicht glänzend und geschmeidig.“
Häufiges Schneiden macht das Haar dichter.
„Nein. Das erscheint optisch so, tatsächlich wachsen aber nicht mehr Haare nach.“
Mehr als zwei Haarwäschen pro Woche sind schlecht fürs Haar.
„Nein, das ist individuell. Das hängt ganz von den Bedürfnissen der Kopfhaut ab.“
Zu heißes Wasser schadet dem Haar.
„Ja, denn dann trocknet es aus.“
Apfelessig ist eine wirksame Haarkur.
„Ja. Apfelessig wirkt gegen den Hefepilz an der Kopfhaut und bringt ein wenig Glanz.“
Lufttrocknen ist in jedem Fall gesünder als Föhnen.
„Nein, denn sind die Haare beim Schlafengehen noch feucht, brechen sie. Am besten ist es, sie ein wenig anzuföhnen.“
Für jedes graue Haar, das ich auszupfe, kommen zwei neue graue nach.
„Das ist absoluter Quatsch!“
Nachgefragt bei:
„Good Hair Day“ mit Dr. Alice Martin, Dermatologin und Mitgründerin der Online-Hautarztpraxis dermanostic. Was gesundes Haar ausmacht, wie Hormone wirken und warum es bei Spliss nur eine Lösung gibt, erklärt sie auch auf ihrem Instagram-Kanal.