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Andrea Vaz-König ist Pionierin. Das steht jedenfalls auf ihrer Visitenkarte. Die ehemalige Bankerin schmiss vor acht Jahren alles um, eröffnete ein Restaurant, das „deli bluem“ in der Wiener Josefstadt, und verbreitet seither ihre einfache, aber umso effektivere Botschaft bewusster Ernährung. Zu ihr kommen alle, die ja gerne selber kochen würden, aber nicht wissen, wie. So wie unsere Interviewerin.

Frau Vaz-König, als erwachsener Mensch weiß man ja, dass gesunde Ernährung wichtig ist. Aber irgendwie bleibt dafür zu wenig Zeit, zu wenig Geld, die Kinder verweigern Gemüse ... Wenn ich ja gerne würde, aber nicht kann – wo fange ich an? Und wie?
„Der Schlüssel für alles liegt bei der Zubereitung.“

Nicht bei der Einkaufsliste?
„Nein, alles beginnt tatsächlich in dem Moment, in dem ich beschließe: Ich koche heute selber. Diese Intention wirkt, sobald ich mich entschieden habe, automatisch auf die Einkaufsliste. Mit der Absicht, etwas selbst zu kochen, kaufe ich ja ganz anders ein.“

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Meine Intention nach einem langen Arbeitstag ist aber nicht selber zu kochen, sondern: Essen. Jetzt. Und es soll keine Arbeit machen und schnell gehen.
„In diesem Moment kommt es drauf an, nicht zu fragen: Was will ich essen?“

Sondern?
„Zunächst sollten wir verstehen, warum uns die Frage ‚Was will ich essen?‘ nicht weiterhilft. Weil wir uns nämlich unserer wahren Intentionen gar nicht so bewusst sind. Wenn ich zu Junkfood greife, ist meine vordergründige Intention „Ich hab nach diesem Tag nicht auch noch Zeit, mich hinzustellen und zu kochen“. Aber was eigentlich dahintersteht, ist was ganz anderes: „Lasst mich alle in Ruh’, ich bin ausgelaugt und will mich nur verkriechen.“ Dann greifen wir zur Pizza, um anschließend zwei Stunden lang Netflix zu schauen, dazu haben wir sehr wohl Zeit.“

Touché! Aber wie arbeitet man dagegen an, ohne das Gefühl, sich schon wieder nicht belohnen zu können?
„Es ist ja nicht so, dass ich selber nie Lust auf einen Burger hätte. Aber was mir dann total hilft, ist der Gedanke ans Nachher. Mir schon vorher zu überlegen: Wie ist es mir eigentlich nachher immer gegangen, wenn ich den Burger gegessen hatte? Bei mir war es so, dass mir danach schlecht wurde. Jedes Mal.“

Mir wird nie schlecht von einem Burger. Ich kann drei davon essen. Ich bin dann nur pappsatt und müde und, wenn ich ganz ehrlich bin, auch auf eine gewisse Art zufrieden.
„Und ein, zwei Stunden später?“

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Da habe ich ein unbestimmtes Gefühl: nicht wirklich voll zu sein, dass da noch ein weiteres Loch ist, das nicht gefüllt wurde.
„Weil es ‚leeres‘ Essen war. Essen ohne nennenswerte Nährstoffe. Die Foodindustrie weiß um unsere Gelüste und streicht Zucker auf die Burger. Dagegen kommt der Urzeitmensch in uns kaum an, weil wir über hunderttausende Jahre gelernt haben, Zucker als etwas besonders Kostbares zu sehen, einen seltenen Genuss, der schnelle Energie bedeutet. Der Körper kann vor dem Essen gar nicht die richtigen Signale geben, und wir können das auch nicht von ihm verlangen. Aber danach, also nach dem Essen, sagt er verlässlich, wie es ihm damit geht. Und dann muss ich mir etwa die Frage stellen: Ist es normal, dass ich nach dem Essen müde und fertig bin? War das jetzt ein Lebensmittel oder ein Schlafmittel?“

Okay, statt „Was will ich essen?“ frage ich mich also: „Wie wird’s mir nachher gehen?“
„Ja. Die beste Frage ist: Was will ich mit diesem Essen erreichen? Wie will ich mich danach fühlen? Welches Essen erzeugt erfahrungsgemäß dieses Gefühl? Und zwar nachhaltig, also über den ganzen Abend? Ich zum Beispiel lande dann oft genug bei einem Risotto.“

Warum gerade Risotto?
„Das beginnt schon bei der Zubereitung. Da stehe ich am Herd und rühre und rühre, und das tut mir einfach gut. Selber zu kochen hilft mir. Dadurch komme ich verlässlich runter. Ich habe ein Lokal, ich halte Vorträge und Kurse, ich habe zwei Kinder. Aber in der Küche stehen und selber kochen, das ist Zeit für mich. Das stete Rühren tut mir gut, es ist fast schon eine Meditation. Zeit, die nur mir gehört.“

Andrea Vaz König steht in einem grünen Feld

Bild: Philipp Horak

Andrea Vaz König schaut über zwei große Blätter

Bild: Philipp Horak

Für mich ist Schnipseln und Rühren eher Arbeit ...
„Kann man so sehen. Muss man aber nicht. Es geht um die Wahrnehmung: Was, wenn ich beschließe, diese Zeit als ‚Zeit für mich‘ wahrzunehmen? Mein Mann hält das so. Er ist der eigentliche Koch in der Familie. Der kommt nach Hause, legt alles ab und verkündet dann: ‚Ich bin in der Küche!‘ Der braucht das, zum Runterkommen, zur Erholung, zum Ab- und Umschalten. Ich habe mir das von ihm abgeschaut, und es wirkt tatsächlich.“

Geht das denn immer? Wenn draußen alle rumschreien ...
„Gerade dann. Das musst du allerdings zulassen. Es dir selber gönnen können, darin liegt möglicherweise die Herausforderung: an dich zu denken, nur für 20 Minuten, danach gehörst du eh wieder allen. Aber in diesem Moment ist da nur die Zwiebel, das Messer in deiner Hand und du. Nichts sonst.“

Man kann sich nach einem harten Tag beim Zwiebelschneiden erholen?
„Und wie! Weil es auch wichtig für uns ist, etwas Manuelles zu tun. Viele von uns sind in denkenden Berufen tätig. Die meiste Arbeit passiert da im Kopf. Da tut dieses Haptische, etwas angreifen, sehen, wie ich etwas mache, richtig gut.“

Bisher dachte ich, die eigentliche Ent­spannung passiert dann beim Essen.
„Kommt drauf an. Wenn wir allein essen, sind wir geneigt, etwas anderes dabei zu machen. Lesen, fernsehen, auf dem Handy herumtippen. Aber das ist eben auch Nahrung, die in mich hineinströmt: eine Art fremdbestimmte Nahrung, die du in deinen Körper lässt, ... Wenn du hingegen ganz beim Essen bist, wenn du ihm Zeit und Aufmerksamkeit schenkst, dann fühlst du das Essen ganz anders im Körper. Außerdem merkst du viel früher, dass du längst satt bist.“

Und wenn ich gemeinsam mit der Familie esse?
„Da habe ich gelernt: Das gemeinsame Ge­spräch, das wertschätzende Gemeinsam­ sein, das ist etwas Nährendes, das wir ei­nander schenken – und es ist etwas, was wir seit Anbeginn der Menschheit prakti­zieren. Wir sind immer schon abends zu­sammen am Lagerfeuer gesessen, haben gegessen, was wir gesammelt und gejagt hatten, und einander Geschichten er­zählt. Und heute? Schauen wir dabei aufs Handy oder essen vor dem Fernseher...“

Vors Kochen und Essen hat der Herrgott trotz allem immer noch das Einkaufen gestellt. Wie gehe ich’s an?
„Einfach anders durch den Supermarkt gehen. Supermärkte sind clever auf­gebaut: Dein Weg durch den Markt ist so ausgelegt, dass du möglichst viel kon­sumierst, möglichst vielen Verlockungen ausgesetzt wirst. In der Regel schicken sie dich in Schlangenlinien durch, damit du alles gesehen hast, und die Zuckerln ste­hen dann bei der Kassa, damit jedes Kind quengelt: Maaama ...“

Andrea Vaz König, Ernährungsexpertin und kocht gerne selber

Bild: Philipp Horak

Wie kaufe ich ein, um mich der Ver­führung möglichst wenig auszusetzen?
„Wenn man sich vornimmt, möglichst unverarbeitete Lebensmittel zu kaufen, dann ist es besser, nur die Außenseiten vom Supermarkt abzugehen. Da findet man Obst und Gemüse, Fleisch, Brot, Milchprodukte. Im Innenbereich sind hauptsächlich die Fertigwaren – und Hülsenfrüchte, Reis und Nudeln. Für die musst du hinein in die Gänge. Aber an­sonsten bist du mit den Außenseiten auf der sicheren Seite.“

In den Außengängen finde ich auch Fleisch. Das wird viel und sehr kontro­versiell diskutiert. Ihr Lokal ist vegan. Essen Sie selber gar kein Fleisch?
„Ich esse Fleisch dann, wenn ich weiß, wie das Tier gelebt hat. Wenn ich zu Gunda und Klaus Dutzler in Windischgarsten fahre, wo die Schweindln auf dem Hof herumlaufen, Getreide fressen, das Klaus extra für sie gekeimt hat, weil er weiß, wie sehr ihnen das schmeckt, die gut leben und einen schnellen Tod haben, dann esse ich auch zwei Stückerln Schweinsbraten.“

Sie sprechen da jetzt aber von der Bio­ Oberklasse. Die kann und will sich viel­ leicht nicht jeder leisten.
„Die hat ihren Preis, hat aber auch ihren Wert. Ich sage immer: Wenn etwas für mich billig ist, dann hat ein anderer den Preis dafür bezahlt.“

Ich sage immer ‚Wenn etwas für mich billig ist, dann hat ein anderer den Preis dafür bezahlt.‘

Aber macht das einen Unterschied?
„Ja. Da ist ein Satz für mich entscheidend: ‚Das wichtigste Nahrungsmittel sind un­sere Gedanken.‘ Davon bin ich hundert­ prozentig überzeugt. Und wenn ich diesen Satz weiterdenke, dann bedeutet das für mich auch: Alles, was einem Tier passiert, nehme ich auf eine gewisse Weise in mich auf. Und sei es in Form meines schlechten Gewissens, das ich spätestens danach bekomme, wenn ich nicht völlig blind und taub durch die Welt gehe. Wir wissen ja alle, wie Massentierhaltung funktioniert. Das kann nicht gesund für uns sein.“

Dass uns Produkte aus Massen­tierhaltung nicht guttun – Stichwort Antibiotikaresistenzen –, ist letztlich auch wissenschaftlich belegt ...
„Und wenn jemand sagt, er glaubt diesen Studien nicht, dann sage ich: Von mir aus, okay, glaub halt kein Wort. Glaub nur an dich selbst und daran, wie du dich fühlst. Und probier es einen Monat lang aus. Wir haben ein unbestechliches Mess­instrument zur Verfügung: den eigenen Körper. Wir merken, ob uns etwas guttut. Das ist ja auch der Grund, warum man nicht darüber diskutieren muss, ob wir die Traurigkeit der Kuh essen oder ihre Ein­samkeit in der Milch trinken. Finde es selber für dich heraus. Du musst nieman­dem glauben. Du kannst es beobachten.“

Haben Sie es selber ausprobiert?
„Ja. Ich habe einen Monat lang hundert Prozent biologisch und hundert Prozent pflanzlich gegessen.“

Vegetarisch? Vegan?
„Ich vermeide das Wort ‚vegan‘, denn es sagt ja nichts über die Qualität deiner Er­nährung aus. Du kannst auch als Veganer Schrott essen. Nach zwei Wochen der anderen Ernährung konnte ich jedenfalls die Stiegen im Büro erstmals ohne Herz­ klopfen steigen. Und ich habe gemerkt, wie mein Körper geschmeidiger wurde.“

Heißt das, ich darf mir nie wieder Fast Food und Chips gönnen?
„Um Himmels willen! Deshalb spreche ich ja lieber nicht von gesunder, sondern von bewusster Ernährung. Bewusste Er­nährung kennt keine Verbote, sondern ich entscheide mich bewusst für etwas. Und mit einer selbst getroffenen Entscheidung fühlt man sich immer besser.“

10 Grundsätze für bewusste Ernährung

Hier noch einmal zusammengefasst, die wichtigsten Dinge, die dir dabei helfen können, dich bewusst zu ernähren.

  1. Geh beim Supermarkteinkauf nur die Außengänge ab. Dort gibt’s das Unverarbeitete, Obst und Gemüse, Brot, Fleisch und Fisch, Milchprodukte.
  2. Wo immer möglich, nimm Bio.
  3. Wenn etwas für dich billig ist, hat jemand anderer den Preis dafür bezahlt.
  4. Frag dich vor dem Kochen nicht: „Worauf habe ich jetzt Lust?“, sondern: „Wie will ich mich eine Stunde nach dem Essen fühlen?“
  5. Kochen ist Zeit, die nur dir gehört – zum Runterkommen, Entspannen.
  6. Allein schon dass du es zu­ bereitest, macht etwas mit dem Essen, was gut für dich ist.
  7. Nimm dir Zeit zum Essen. Mit anderen – aber ohne Handy, Fernsehen oder Zeitung.
  8. Deine wichtigste Nahrung sind deine Gedanken.
  9. Um herauszufinden, ob dir etwas guttut, probier es einen Monat lang aus. Dein Körper ist das beste Messinstrument.
  10. Der Vorsatz, dich bewusst zu ernähren, ist wichtiger als der, dich gesund zu ernähren. Es macht alles viel unkomplizierter.