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Scham macht sympathisch. Experimente zeigen, dass Menschen, die ihre Verlegenheit öffentlich bekennen und somit einen Fehler einräumen, bei anderen Verständnis auslösen.

Was ist Scham?

Zunächst einmal: Scham ist eine selbstbezogene Emotion. Um sie zu empfinden, müssen wir in der Lage sein, über uns selbst und über andere zu reflektieren. Sie geht mit einem Gefühl der Unzulänglichkeit, Peinlichkeit, Wert- oder Machtlosigkeit einher. Eh klar, dass das auch Auswirkungen auf unseren Selbstwert und unser soziales Verhalten hat …

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Können alle Menschen Scham empfinden?

Ja, das Gefühl ist angeboren. Es ist aber unterschiedlich stark ausgeprägt. Schamentwicklung geht mit Empathieentwicklung Hand in Hand und beginnt mit etwa 18 Monaten, sobald ein Kind sich als eigenes Selbst begreift. Jugendlichen ist eher etwas peinlich als Erwachsenen, Frauen schneller als Männern – und sie erleben das Gefühl dann auch intensiver.

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Kann Scham auch nützlich sein?

Absolut, denn sie regelt unser Zusammenleben. In gesundem Ausmaß wahrt sie unsere körperlichen und seelischen Grenzen im Kontakt mit Mitmenschen (Intimitäts-Scham). Sie hilft uns dabei, die Perspektiven anderer zu berücksichtigen, und verhindert so unangebrachtes Verhalten (Anpassungs-Scham). Scham untermauert außerdem unsere moralischen Werte (Gewissens-Scham). Die empathische Scham ermöglicht wiederum, die Schamgefühle anderer mitzuerleben.

Was passiert dabei in unserem Körper?

Stresshormone werden ausgeschüttet, wir schwitzen, der Puls steigt, die typische Schamesröte zieht auf. Gleichzeitig fühlen wir uns wie gelähmt, sind verwirrt oder werden tollpatschig. Diese Fehlregulation entsteht, weil das sympathische Nervensystem (versetzt in Erregung) und das parasympathische Nervensystem (zuständig für Erholung) – eigentlich Gegenspieler – gleichzeitig aktiv sind.

Warum empfinden wir tiefe Scham als so schmerzhaft?

„Bei sozialer Ausgrenzung reagiert das Schmerzsystem im Gehirn (…) – genau dort wird auch das Qualvolle am Schmerz ausgelöst.“

Was hilft gegen Scham?

Im akuten Fall leisten Selbstberührungen erste Hilfe: eine Hand auf die Stirn legen, die andere auf die Brust, einige Minuten ruhig atmen. Langfristig hilft es, das Gefühl zu benennen (etwa durch den Austausch mit engen Bezugspersonen) und sich ihm so zu stellen. Bei krankhafter Scham kann unter anderem die Ego-State-Therapie unterstützen, dabei wird die mit der Scham einhergehende Selbstabwertung bearbeitet. Betroffene lernen, ihre Gefühle von Stolz oder Freude entgegenzuhalten, der Körper entspannt sich und wird aufrechter.

Zeigt Scham immer ihr wahres Gesicht?

Nein, der „300 Kilo schwere Gorilla im Raum“ ist ein Meister der Tarnung und versteckt sich gern hinter anderen Emotionen. Um die eigene Scham abzuwehren beziehungsweise auszuhalten, formen wir sie gerne in Wut, Trotz, Arroganz, Verachtung, Trauer, Perfektionismus, Isolation oder sogar Schamlosigkeit um.

Im Moment der Scham sehen wir uns durch die verurteilenden Augen eines anderen.

Univ.-Prof. Dr. Joachim Bauer, Psychiater und Neurowissenschaftler

Wann wird Scham gefährlich?

Der Hauptunterschied zwischen gesunder Scham und toxischer Scham liegt in der Intensität und Dauer der Erfahrung. Nistet sich Scham tief in unserer Persönlichkeit ein, entsteht ein permanentes Gefühl der Minderwertigkeit, das zu einem Aspekt unseres Selbstgefühls wird. Um diesem unerträglichen Gefühl zu entkommen, fürchten Betroffene unter anderem in Krankheiten wie Depression oder Suchtverhalten.

Was hat Scham mit Schuld zu tun?

Beide Emotionen sind eng miteinander verbunden, Scham ist aber wesentlich destruktiver. Sie macht die Person selbst zum Problem, während Schuldgefühle den Fokus auf einen Fehler und dessen Wiedergutmachung richten.

Wie entsteht toxische Scham?

Als Reaktion auf traumatische Erlebnisse in frühen Bindungserfahrungen, beispielsweise wiederholte massive Beschämung, Vernachlässigung oder Kritik. Sie machen uns glauben, dass etwas im Kern mit uns falsch ist.

Und warum schämen wir uns für andere?

Fremdscham sind stellvertretende Emotionen. Wir reagieren damit auf ein Ereignis, dem wir nur beiwohnen, das uns aber nicht direkt betrifft. Empfinden wir das Verhalten anderer als unangemessen oder peinlich, werden in unserem Gehirn Spiegelneuronen aktiv. Der Körper denkt, er würde die beobachtete Situation gerade selbst erleben.

Man versetzt sich also buchstäblich in die Lage von anderen Menschen. Fremdscham ist das Gegenstück zu Schadenfreude, bei der positive Gefühle hervorgerufen werden, wenn jemand anders scheitert oder sich blamiert.

Quellen: „Scham – die tabuisierte Emotion“ von Dr. Stephan Marks, Patmos 2021; „Trauma und Gedächtnis: Die Spuren unserer Erinnerung in Körper und Gehirn“ von Peter A. Levine, Kösel Verlag 2016; „Scham. Die versteckte Emotion“, Vortrag von Dr. Silvia Zanotta, HypnoSalon 2023; DR. JOACHIM BAUER bei der Fachtagung von pro mente zum Thema Scham, Wien 2020; Selbstumarmung nach Dr. Maggie Philipps.