Wie tickt unsere innere Uhr?
Chronobiologen sagen: Nach der inneren Uhr leben ist gesund. Im Alltag ist das oft nicht machbar. Wir haben nachgefragt, wie es doch funktionieren kann.
Stell dir deine innere Uhr als Steuerung im Körper vor, die mittels Molekülen über Prozesse bestimmt, auch physiologische. Sie regelt zum Beispiel, wann einzelne Organe, wie Darm oder Leber, besonders aktiv arbeiten und wann sie regenerieren. Auch auf die Hormonausschüttung hat die innere Uhr Einfluss. So gibt sie etwa vor, wann Melatonin produziert wird und wann wir müde werden. Beeinflusst wird unser Biorhythmus dabei von verschiedenen Faktoren, besonders aber vom Tag-Nacht-Rhythmus.
Um zu belegen, dass es die innere Uhr tatsächlich gibt, führten Forscher verschiedene Experimente durch: Biologe und Verhaltensphysiologe Jürgen Aschoff schickte mit seinem Team in den 1960er Jahren Probanden für mehrere Wochen vollkommen isoliert in einen Bunker. Die Beobachtung der Forscher: Obwohl sie keine Zeitinformation von außen bekamen, behielten die Teilnehmer der Studie trotzdem eine gewisse Rhythmik bei.
Welche Folgen hat es, wenn wir jahrelang entgegen unserer inneren Uhr leben?
Wir sind nicht ursprünglich in eine Umgebung mit künstlichem Licht geboren worden, sondern haben uns darin eingerichtet. Was passiert also, wenn wir mit Wecker und künstlichem Licht unsere innere Uhr von außen dauerhaft beeinflussen?
„Etwa 70 Prozent der arbeitenden Bevölkerung muss an Werktagen mit Wecker aufstehen und kann nicht zu Ende schlafen“, sagt Experte Michael Wieden. Er beschäftigt sich seit 2002 mit Chronobiologie im Personalmanagement. Durch den Weckvorgang entstehe ein Schlafdefizit und in der Folge ein Leistungsdefizit. Der Grund: „Die REM-Phasen, in denen wir Mentales verarbeiten und Gelerntes verfestigen, nehmen zum Ende des Schlafes zu. Je mehr ich davon abkappe, umso schlechter kann ich mich konzentrieren und Gelerntes wird nicht verarbeitet.“
Zudem steigt die Unfallhäufigkeit und auch das Risiko für Fettleibigkeit und Depressionen nimmt zu. Studien zufolge steige bei Schichtarbeitern außerdem das Risiko, an Brustkrebs zu erkranken. Denn: Schichtarbeiter leiden quasi unter einem chronischen Jetlag. Das heißt, ihre innere Uhr muss sich immer wieder neu einpendeln – was enormen Stress für den Körper bedeutet.
Wie könnte ein gutes Work-Life-Balance-Modell aussehen?
Ein Modellprojekt gibt es in Bayern, wo Experte Wieden zusammen mit der Klinik Wartenberg und anderen Akteuren 2020 das Projekt Chronotypenoptimierte Personaleinsatzplanung (COPEP) ins Leben gerufen hat. Ziel des Projekts: die Arbeits- und Schichtplanung auf Basis der jeweiligen Chronotypen der Mitarbeiter zu optimieren.
Bei den Chronotypen lassen sich zwei Extreme unterscheiden: Lerchen, die besonders früh aufstehen und produktiv sind, und Eulen, also Spätaufsteher, die auch erst später am Tag produktiv arbeiten. „Die meisten Menschen gehören aber dem Normaltyp an. Sie gehen zwischen Mitternacht und 1 Uhr ins Bett und stehen gegen 8 Uhr auf“, sagt Wieden.
An der bayerischen Klinik wurde der jeweilige Chronotyp der Mitarbeiter mithilfe eines Bluttests bestimmt. Mehr als 120 Mitarbeiter nahmen das freiwillige Angebot der Chronotypisierung wahr und konnten anschließend ihren Chronotyp bestmöglich in ihre Arbeitszeitplanung einfließen lassen. Mit dem Ergebnis: Sie schliefen besser und waren tagsüber weniger müde.
Was, wenn wir den Wecker nicht abschaffen können?
Zuerst kann jeder für sich herausfinden, welcher Chronotyp er ist – also wann man am produktivsten ist. Das geht zum Beispiel so: Wenn man das nächste Mal zwei Wochen Urlaub am Stück hat, steht man ohne Wecker auf und beobachtet, wie sich der Schlafrhythmus nach zwei Wochen verändert hat sowie zu welchen Zeiten man nun leistungsfähig ist. Warum ausgerechnet zwei Wochen? „So lange dauert es in etwa, bis Menschen in ihren natürlichen Rhythmus reinkommen“, sagt Wieden. Nach dem Experiment im Urlaub passt man idealerweise den Arbeitsalltag insoweit an, als man in seinen leistungsfähigen Zeiten die schwierigsten Aufgaben bewältigt.
Was auch helfen kann: den herkömmlichen Wecker durch einen Lichtwecker ersetzen. Wieden weiß: „Lichtwecker wecken auf eine sanftere Weise, das bedeutet weniger Stress für den Körper.“ Ein Lichtwecker dimmt das Licht langsam hoch, was dem Körper signalisiert, dass es Zeit zum Aufstehen ist
Fernseher, Smartphone, Tablet und Co. sollten wir abends kurz vorm Schlafengehen lieber nicht verwenden, denn das künstliche Licht hält uns wach: Es verzögert die Melatoninausschüttung. Falls man auf diese Geräte abends gar nicht verzichten mag: Blaulichtfilter am Gerät einschalten. Dieser filtert die blauen Anteile aus dem Licht und sorgt so dafür, dass die Melatoninausschüttung nicht mehr gehemmt wird.
Auch Bewegung, Licht und Essen wirken auf die Stellrädchen unserer inneren Uhr. Darum gilt: Tagsüber viel rausgehen und Tageslicht tanken, abends und in der Nacht nicht mehr zu viel essen.