Warum ich meine Schwächen als Stärken sehe
Über unsere Schwächen sprechen wir nicht gerne. Warum eigentlich? Autorin Melanie Pignitter posaunt ihre Mängel heraus.
Heute bin ich mal geständig. Ich habe unzählige Schwächen und jede Menge Macken. Eine davon ist meine unglaubliche Vergesslichkeit. So suche ich beispielsweise mehrmals täglich meine Handtasche und lege Gegenstände an wirklich ungewöhnlichen Orten ab. Erst neulich versteckte sich mein Handy im Kühlschrank.
Außerdem bin ziemlich ungeduldig. Wenn ich etwas will, dann immer sofort. Oft zum Leidwesen meiner Mitmenschen: „Bist du schon fertig? Wie lange dauert es noch? Bis du sicher, dass es sich in zehn Minuten ausgeht?“ Auch ich selbst erledige Dinge häufig in Windeseile. Manchmal leidet die Ergebnisqualität darunter.
Und dann noch eine Macke von mir, auf die ich richtig stolz bin.
Und dann noch eine Macke von mir, auf die ich richtig stolz bin. Ich bin, sagen wir: kreativ, was unsere Sprache betrifft. Immer wieder erfinde ich Worte, die es eigentlich nicht gibt. Ohne mir dessen bewusst zu sein, verwende ich diese dann sehr selbstbewusst in Besprechungen und Seminaren. Zum Beispiel: Statt Kompetenz und Expertise sage ich Kompetise – statt rational und reell – rationell. Statt Honigtropfen – Honigperlen.
Meist stecken hinter unseren Schwächen besondere Stärken, die entdeckt und wertgeschätzt werden wollen.
Natürlich könnte ich diese Mängelliste noch eine Weile fortsetzen. Aber darum soll es nicht gehen heute. Vielmehr möchte ich eine Botschaft hinterlassen, die uns alle betrifft: Meist stecken hinter unseren Schwächen nämlich besondere Stärken, die endlich entdeckt und wertgeschätzt werden wollen. Wie ich das meine? Dazu erzähle ich euch eine meiner Lieblingsgeschichten:
Schwächen annehmen und stärken: Der Krug mit dem Sprung
Es war einmal eine alte chinesische Frau, die zwei Krüge besaß, mit denen sie täglich Wasser vom Fluss holte. Einer der Krüge hatte einen Sprung, während der andere makellos war und stets eine volle Portion Wasser fasste. Am Ende des langen Weges vom Fluss zum Haus war der kaputte Krug jedoch nur noch halb voll. Und so brachte die alte Frau täglich eineinhalb Krüge Wasser nachhause. Der makellose Krug war sehr stolz auf seine Leistung, während sich der Krug mit dem Sprung wegen seines Makels schämte.
Nach zwei Jahren, die dem kaputten Krug wie ein endloses Versagen vorkamen, sagte er zur Frau: „Ich schäme mich so wegen meines Sprungs, aus dem ständig Wasser läuft.“ Die alte Frau lächelte: „Ist dir aufgefallen, dass auf deiner Seite des Weges Blumen blühen und auf der anderen nicht? Ich habe auf deiner Seite des Pfades Blumensamen gesät, weil ich mir deines Fehlers bewusst war. Zwei Jahre lang konnte ich diese wunderschönen Blumen pflücken, den Tisch damit schmücken und mich daran erfreuen. Wenn du nicht genauso wärst, wie du bist, würde diese Schönheit nicht existieren.“
So gewinnen deine Schwächen an Stärke
Die Geschichte zeigt auf, dass die Bewusstwerdung unserer Schwächen das Sprungbrett dazu ist, diese in Stärken zu verwandeln. Mit den folgenden Fragen möchte ich dazu einladen, die Transformation zu starten: Am besten schreibst du die Antworten nieder.
Welche Makel, Schwächen und Macken habe ich?
Objektiv hinterfragen: Was kann jemand, der diese Schwäche/Fehler/Macke hat, positiv betrachtet, in der Regel besonders gut?
Gibt es Menschen, die mich gerade wegen meiner Macken mögen?
Hat eine meiner Schwächen oder Fehler bereits eine positive Kettenreaktion in meinem Leben ausgelöst. Wenn ja, welche?
Durch diese Methode habe ich viele Stärken in mir entdeckt. Hätte ich meinen kreativen „Sprachfehler“ nicht, so gäbe es auch keinen „Honigperlen“-Blog. Würde ich nicht regelmäßig auf vieles vergessen, so könnte ich wohl nicht so gut loslassen. Wäre ich nicht so ungeduldig, so wäre ich vermutlich noch immer bei der Planung meines Buches, anstatt bereits das zweite zu verlegen.
Herrlich unperfekt
Im Laufe der Zeit habe ich so hinter vielen meiner Schwächen die Stärke entdeckt. Bei anderen allerdings nicht. Um dennoch einen liebevollen Umgang mit meinen Unzulänglichkeiten zu hegen, habe ich mir die beiden folgenden Erkenntnisse eingeprägt:
Eine Schwäche bedeutet eine Abweichung von der Norm. Positiv betrachtet ist jede Schwäche daher eine Besonderheit.
Ablehnung bedeutet Verleugnung und Schmerz. Akzeptanz hingegen ist der ideale Dünger, um sich zu entfalten und Negatives in Positives zu verwandeln.
Unperfekt zu sein macht verdammt sympathisch!
In diesem Sinne: ein Hoch auf unsere Schwächen!