„Getrennt lebende Paare müssen ihre eigenen Spielregeln entwickeln“
Wir haben die Sexualberaterinnen Beatrix Roidinger und Barbara Zuschnig gefragt, welche Vor- und Nachteile sogenannte LAT-Beziehungen haben.
Für die Lebensform des getrennten Zusammenlebens gibt es eine Bezeichnung: LAT steht kurz für „Living Apart Together“. In LAT-Beziehungen sind Partner zwar fest liiert, wohnen aber – wie in einer Fernbeziehung – nicht zusammen.
Sich lieben, aber trotzdem nicht zusammenwohnen – geht das überhaupt?
Klar geht das. Liebe und Gefühle sind ja nicht ortsgebunden. Paare, die nicht miteinander leben, müssen aber ihre eigenen Spielregeln entwickeln, wie sie ihre Bedürfnisse nach Nähe und Gemeinsamkeit ausleben wollen. Aber dies sind ja generell Themen eines jeden Paares. Wie gestalten sie die unterschiedlichen Bedürfnisse nach Bindung und Autonomie, Nähe und Distanz. Wie erreichen sie eine Balance zwischen Geben und Nehmen?
Wie können getrennte Wohnungen oder Betten die Beziehung beeinflussen, auch im erotischen Sinne?
Man kann sich aufeinander freuen und die Zeit bis zum Wiedersehen dazu nutzen, die Begegnung zu planen und sie zu etwas Besonderem zu machen. Wenn die Routine wegfällt, dann stärkt dies das Begehren, und die Sehnsucht bleibt länger lebendig.
Ist große Nähe Gift oder Segen für die Liebe?
Bei dieser Frage muss man Liebe und Sex trennen. Für die Liebe kann es gar nicht genug Nähe geben. Räumliche Nähe muss aber nicht sexuelle Intimität bedeuten. Im Gegenteil. Es gibt folgendes Phänomen: Wenn wir uns immer besser kennen – also auch den Alltag miteinander teilen, unsere persönlichen Höhen und Tiefen erleben – und lieben lernen, entfremden wir uns sexuell immer weiter voneinander.
Für den Eros ist oft gerade Distanz ein positiver Trigger.
Für den Eros ist oft gerade Distanz ein positiver Trigger. Durch räumlich getrenntes Leben ist man motivierter, das Zusammensein aktiver und bewusster zu gestalten, weil es rarer und dadurch wertvoller ist. Die Gefahr, beim kleinsten gemeinsamen sexuellen Nenner zu landen, ist geringer, weil die Beziehung Unterschiede positiver bewerten kann oder sogar zelebriert.
LAT boomt – was könnten die Gefahren, was die Vorteile dieses Lebensmodells sein?
Durch einen gemeinsamen Alltag ist man mehr gezwungen, sich mit dem Partner zu beschäftigen, Konflikte auszuhandeln und neue, gemeinsame Lösungen zu finden. Entlang von positiv bewältigten Auseinandersetzungen und Konflikten entwickeln sich stabile Beziehungen. Bei getrennten Wohnungen kann es leichter passieren, Konflikten aus dem Weg zu gehen oder sich nur von der sogenannten „Schokoladenseite“ zu zeigen. Außerdem muss die Verbindlichkeit extra ausgehandelt werden.
Paare, die getrennt leben, haben eine größere Chance, ihre Energie nicht an die Organisation des Alltages zu verlieren.
Es geht darum, die Grenze zu definieren, wo Beziehung anfängt und wo sie aufhört. Bei den Vorteilen geht es vor allem um Freiheit und Autonomie – und dennoch spürt man die Aufgehobenheit und Geborgenheit einer verbindlichen Beziehung. Es kommt zu keinen Selbstverständlichkeiten, wenn man die Möglichkeiten bewusst nützt. Paare, die getrennt leben, haben eine größere Chance, ihre Energie nicht an die Organisation des Alltages zu verlieren.