Warum Licht & Schatten zusammengehören und uns das gut tut
Wenn das Sonnenlicht durch die Blätter der Bäume gefiltert wird, lassen wir uns von der flüchtigen Schönheit des Moments bezaubern. In Japan kennt man ein Wort dafür: Komorebi.
„Das Faszinierende an dem Begriff ‚Komorebi‘ ist, dass er eine Ganzheit bezeichnet“, sagt der Wiener Vitalpsychologe Dr. Bardia Monshi.
„Das ist spannend, weil wir gewohnt sind, in der Sprache Differenzierungen zu treffen: Etwas ist hell, oder etwas ist dunkel; wir haben Licht, oder wir haben Schatten. Und auf einmal kommt da ein Wort daher, das das Gemeinsame von beidem betont. Licht und Schatten werden nicht getrennt, sondern zusammengeführt. So ein Zusammenführen von Gegensätzen hat für uns immer etwas Spirituelles. Deshalb berührt uns das so.“
Blüten und Wurzeln
Wir Menschen können den Schatten als Metapher für vieles nehmen – nur zu gerne nehmen wir ihn für die Licht- und Schattenseiten des Lebens. Wir brauchen beides, sonst können wir uns nicht weiterentwickeln. Denn tatsächlich gibt es zwei Formen der Selbstentwicklung: Die erste erleben wir im Licht; durch positive, bestärkende Emotionen. Wie ein Kind, das den Erfolg verspürt, wenn der erste Schritt gelingt.
Solange das funktioniert, wird das Kind seinen Gang nie weiterentwickeln. Wozu auch? Es gelingt ja gerade alles!
Vitalpsychologe Dr. Bardia Monshi
„Solange das funktioniert, wird das Kind seinen Gang nie weiterentwickeln. Wozu auch? Es gelingt ja gerade alles!“, sagt der Psychologe Monshi. Erst über das Hinfallen, über den schmerzhaften Schattenmoment, bekommen wir den Impuls für fundamentale Änderungen. Man könnte auch sagen: Das Licht treibt Blüten voran, im Schatten wachsen die Wurzeln
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Durch Komorebi zu Mono-no-Aware
Kaum etwas ist so flüchtig wie Komorebi. Eben noch hat das Licht die schönsten Ornamente auf den Waldboden gezaubert, doch sobald die Sonne wandert, verschwinden sie. Und auch dafür kennt man in Japan ein Wort: Mono-no-Aware bezeichnet die Schönheit, die durch das Wissen um ihre Vergänglichkeit entsteht.
Bardia Monshi: „Das ist etwas, das tief in der asiatischen Philosophie verankert ist: die Vergänglichkeit als Basis zu nehmen, damit überhaupt etwas schön sein kann. Die Formation aus Licht und Schatten ist gerade deswegen so schön, weil sie in diesem Moment einzigartig ist. Das Licht wird nie wieder genau so durch die Blätter fallen. Wäre das Licht festgefroren, so wäre es für uns selbstverständlich.“ Übrigens: Selbstverständlichkeit bringt Achtsamkeit um. Denn die Achtsamkeit beruht auf dem Prinzip der Vergänglichkeit.
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Me and my shadow
Unsere Schattenseiten sind ein Teil von uns. Manchmal machen sie Angst. Dann, wenn die bösen Ge - danken kommen; die Fantasien, die sonst nur Quentin Tarantino auf die Leinwand bringt – aber die gehören eben auch zu uns. „Zuallererst gilt es, sie anzuerkennen“, sagt Bardia Monshi, „als Teil einer Ganzheit. Die innere Trennung, diese Verurteilung, dass der Schatten das Schlechte ist und deswegen weggehört – das macht mich zu einer halben Persönlichkeit. Kraft schöpfe ich in dem Moment, in dem ich weiß: Natürlich gibt es die Schatten! Ich kenne sie sicher noch nicht alle – genauso wenig, wie ich mein Licht je komplett kennen werde –, aber ich beginne sie als einen wesentlichen Bestandteil meiner Persönlichkeit zu betrachten.“ Spoiler: Dadurch verlieren sie viel von ihrem Schrecken.
Kühles Kontrastprogramm
Wir Menschen haben Schattensehnsucht. Wird es zu heiß oder zu hell, suchen wir ihn. Im Sommer. Und im Leben. Schon bemerkt? Gerade wenn viel gelingt, wird man oft abenteuerlustiger, risikobereiter, tastet sich näher und näher an die Graubereiche und Schmerzgrenzen. Wohl auch, weil wir ahnen: „Nur über die Schattenmomente bekomme ich eine Ahnung von der Tiefe meiner Persönlichkeit.“
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Zwei Fragen an die Fotohistorikerin
Frau Dr. Faber, welche Rolle spielt die Darstellung des Lichts in der Fotografie?
Dass Licht so eine wichtige Rolle spielt, liegt in der Natur der Fotografie: ohne Licht kein Foto. Obwohl das erste Foto bereits in den 1820er-Jahren entstand, wurde das Licht bis zum Ende des 19. Jahrhunderts als Sujet nicht thematisiert. Eine ästhetische Reflexion über die Wirkung von Licht findet da nicht statt. Dafür gibt’s viele Gründe – unter anderem den, dass man nicht gewusst hat, was Licht eigentlich ist.
Das ist auch das Faszinierende an der Fotografie: dass sie zu einem Zeitpunkt erfunden wurde, an dem man nicht wusste, was genau dabei passiert. Die Fotografie hat sehr viel dazu beigetragen, das Phänomen Licht zu verstehen: Unser Nachdenken über die Natur des Lichts ist eng verknüpft mit der Fotografie. Und mit dem Nachdenken über das Licht beginnt auch das Nachdenken über die Wahrnehmung unserer Augen: Was sehen wir?
Zur selben Zeit begannen sich auch die französischen Impressionisten mit dieser Frage zu beschäftigen: Sie setzen kleine Farbpigmente nebeneinander, die sich erst im Auge des Betrachters zu einem konkreten Bild mischen.
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Und wann entsteht dabei diese gewisse Stimmung?
Die „Stimmung“ ist ein Begriff aus der Lyrik. Er wurde erst später auf die bildende Kunst übertragen. Ein barockes Fresko hatte noch keine „Stimmung“– zumindest keine intendierte. Ja, es hatte Überzeugungskraft und Dramaturgie. Aber dass etwas aus dem Inneren einer Person über bestimmte Bilder nach außen getragen wird – das gab es noch nicht.
Die Aufgabe der Fotografie war ursprünglich, Tatsachen abzubilden. Sie war Wissenschaft, nicht Kunst. Erst unter dem Einfluss des Impressionismus, etwa um 1880, kam eine Wende und der Anspruch an die Fotografie, „Stimmung“ auszudrücken. Wie eben das sanfte Licht, das durch die Bäume schimmert.
DR. MONIKA FABER ist Fotohistorikerin und ehemalige Chefkuratorin der Fotosammlung in der Albertina, Wien. Seit 2011 leitet sie das Photoinstitut Bonartes, das sich der Forschung und Vermittlung historischer Fotografie widmet