10 Mythen über Bodyweight-Training
„Die Kniebeuge ist die Mutter aller Übungen“, weiß Sportwissenschaftler Niki Rohrer – und kennt erstaunlich viele Wege, sie falsch auszuführen. Wie's richtig geht, worauf es beim Training mit dem Körpergewicht ankommt und die häufigsten Irrtümer:

Foto: Flo Moshammer
Mythos 1: Training mit dem eigenen Körpergewicht ist praktisch, flexibel und gratis
Und wie. Du brauchst so gut wie kein Equipment. Eine Matte, dein Körper und eventuell ein Stuhl und ein Powerband genügen. Auch zeitlich bist du ungebunden. Praktisch ist Bodyweight-Training vor allem im Urlaub, wenn weder Gym noch Equipment vorhanden sind, du deine (Kraft-)Trainingsroutine aber nicht gänzlich schleifen lassen willst.
Mythos 2: Bodyweight-Training ist leichter als das Training mit zusätzlicher Last
Auf gewisse Übungen trifft das zu, für andere gilt das genaue Gegenteil. Nehmen wir zum Beispiel die Kniebeuge: Unsere Beine sind grundsätzlich stark, weil sie den Oberkörper tragen. Das heißt also, du schafft 30, 40, 50 Kniebeugen, und bist immer noch nicht müde. Auch das ist Training, aber es triggert eben etwas anderes als den Muskelaufbau. Andersherum ist es hingegen beim klassischen Liegestütz: Viele können ihr eigenes Gewicht nicht stemmen und schaffen daher keinen einzigen Liegestütz.

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Mythos 3: Die Kniebeuge ist die leichteste Bodyweight-Übung
Ganz und gar nicht, das schaut nur so aus. Denn: Nur richtig ausführt wird ein Großteil aller Muskeln (vom Fuß übers Schienbein, den Oberschenkeln und das Gesäß bis hin zum Rücken, den Schultern und dem Nacken) beansprucht – und genau das macht die Kniebeuge laut Niki Rohrer zur „Mutter aller Übungen“. Bei der Ausführung der Kniebeuge kannst du aber sehr viel falsch machen. Die Übung lässt sich so stark entarten, dass statt der Zielmuskulatur etwa nur der Nacken gespürt wird. In diesem Fall wird das Training längerfristig nicht den gewünschten Effekt bringen.
Die Kniebeuge ist die Mutter aller Übungen
Niki Rohrer

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Mythos 4: Die Knie dürfen bei der Kniebeuge niemals über die Fußspitzen schauen
Auch falsch, denn die ideale Kniebeugen-Technik gibt es nicht. Es gibt nur die ideale Technik, zugeschnitten auf deine Anatomie. Sind deine Oberschenkel im Verhältnis zu den Unterschenkeln sehr lang, musst du die Knie sogar weit über die Zehenspitzen nach vorne schieben, um die Waage halten zu können. Sonst fällst du nach hinten um. Schiebst du allerdings zu viel Gewicht nach vorne, fällst du nach vorne. Es kommt also immer darauf an: Wie lange ist der Oberkörper, wie lange sind die Oberschenkel, wie lange sind die Unterschenkel? Niki rät: „Versuche, so tief wie möglich zu kommen, bei gleichmäßiger Belastung der Fußsohle. Das ist auch Körperwahrnehmungsschulung. Wenn du das hinkriegst, kannst du bei der Kniebeuge nicht viel falsch machen!“
Ein Aspekt, den man nicht außer Acht lassen sollte, ist die Beweglichkeit. Ist diese stark eingeschränkt ist, kann das zu ungewollten Ausweichbewegungen führen.
Mythos 5: Übungen mit dem Eigengewicht sind abwechslungsreich und nahezu unendlich modifizierbar
Richtig! Um den individuellen Fitnesslevel zu berücksichtigen und um Fortschritte zu erzielen, lassen sich die Übungen auf vielerlei Weise anpassen – die Rede ist von „Progression“ (Erhöhung der Schwierigkeit) bzw. „Regression“ (Reduktion der Schwierigkeit). Durch die veränderten Winkel und Hebel erhält dein Muskel so eine komplett neue Form von Reiz, an die er sich erst wieder anpassen muss –und daran wächst er.
So „verschärfst“ du Kniebeugen etwa, indem du Hanteln verwendest, mehr Wiederholungen pro Satz machst, die Pausen dazwischen verkürzt oder die Übung einbeinig ausführst. Sind klassische Liegestütze für dich nicht machbar, „entschärfst“ du sie etwa durch die Verwendung von Hilfsmitteln (z.B. Liegestütz gegen die Wand) oder durch Gewichtsreduktion: Liegst du auf dem Rücken und drückst eine Last nach oben, führst du die gleiche Bewegung aus und belastest die gleiche Muskulatur wie beim klassischen Liegestütz. Weil du aber weniger als dein Körpergewicht zu stemmen hast, schaffst du die Anzahl an Wiederholungen, die notwendig sind, um im Muskelaufbau zu sein.

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Mythos 6: Bodyweight-Training ist die beste Trainingsform für Anfänger
Jein. Zwar sind viele Bodyweight-Übungen für Anfänger sehr gut durchführbar, noch leichter tun diese sich aber beim Krafttraining an Maschinen. Denn: In diesem Fall sind sie fixiert, die Maschinen lassen meist nur eine Ebene zu, die Isolierung auf die Zielmuskulatur ist somit viel höher. Am Beispiel Beinpresse: Dabei wird horizontal das Gewicht weggedrückt und es muss nicht, wie im Fall einer Kniebeuge, nach vorne und hinten austariert werden. Die Übung am Gerät verlangt dir also viel weniger Koordination ab.
Mythos 7: Eigengewichtsübungen machen mich fit für Alltags-Belastungen
Absolut, denn du trainierst innerhalb der natürlichen Bewegungsmuster deines Körpers, die auch bei alltäglichen Aufgaben zum Einsatz kommen. Die Abfolgen sind nicht komplett neu für deinen Körper und können ihn deshalb gezielt stärken. Das hilft, wenn du das nächste Mal die Wäsche aus der Maschine holst oder Mineralwasserkisten schleppst.

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Mythos 8: Eigengewichtsübungen verzeihen mehr Fehler als Krafttraining mit zusätzlichem Widerstand
Tendenziell ja, weil es bei vielen kritischen Bewegungen nicht so leicht und so schnell zu einer Überbelastung kommt. Das eigene Körpergewicht ist der Körper quasi gewöhnt. Viel wichtiger oder gefährlicher sind jedoch ständige unbewusste Formfehler. Wer den Rücken rund macht bei der Kniebeuge wird das mit eigenem Körpergewicht eine Zeit lang schaffen ohne gleich Schmerzen zu bekommen. Wenn Last (Zusatzgewicht) dazu kommt, kann man schon Rückenbeschwerden bekommen nach einem Training. Last gemeinsam mit schlechte Ausführungen vertragen sich nicht. Manchmal führt jedoch zu viel Last zu schlechter Ausführung.
Mythos 9: Je mehr Wiederholungen ich schaffe, desto stärker wird mein Muskelaufbau angeregt
Ganz falsch. Damit es zum Muskelaufbau kommt, muss der Ausbelastungsgrad sehr hoch sein – sprich: bis knapp vor dem Muskelversagen. Das heißt: Sechs bis acht Wiederholungen für Fortgeschrittene, acht bis zwölf für Anfänger. Arbeitest du mit zu vielen Wiederholungen, liegt dein Trainingsfokus nicht mehr auf dem Muskelwachstum, sondern auf der Steigerung der Kraftausdauer. Das ist auch super, aber halt ein anderer Benefit.

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Mythos 10: Bei Bodyweight-Übungen kann ich grundsätzlich kaum etwas falsch machen
Stimmt nicht, zeigt das Beispiel Kniebeuge. Trügerisch ist auch der Unterarmstütz: Wenn du die Position 15 Sekunden hältst, dann zu struggeln beginnst und und das Gewicht ein bisschen nach vorne verlagerst, hältst du wieder ein paar Sekunden durch. Schiebst du das Gewicht dann wieder zurück, schaffst du es noch ein bisschen länger. Aber: Durch diese Kompensationsmechanismen verlagerst du Lasten auf Strukturen, die nicht die Zielmuskulatur sind – das beeinträchtigt den Trainingseffekt massiv. Der Sportwissenschaftler empfiehlt: „Belaste deine Zielmuskulatur maximal aus! Wenn das nicht mehr geht, dann brich die Übung ab.“
Belaste deine Zielmuskulatur maximal aus! Wenn das nicht mehr geht, dann brich die Übung ab.
Niki Rohrer

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Fachliche Beratung: Sportwissenschaftler und Personal Trainer Nikolaus Rohrer