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Klar, Frauen und Männer sind unterschiedlich. Doch wir unterscheiden uns nicht nur in unserem Aussehen und den Geschlechtsorganen voneinander. Auch die inneren Prozesse im Körper laufen teilweise anders ab. So haben Frauen z. B. oft andere Symptome bei Herzinfarkten (siehe unten, Punkt 1) – ein Bewusstsein, das sich erst in den 1980er-Jahren entwickelte. Seitdem ist auch der Ruf nach geschlechtsspezifischer Erforschung und Behandlung von Krankheiten laut. Gendermedizin behandelt Fragen wie: Inwiefern unterscheiden sich Krankheitssymptome bei Männern und Frauen? Wie wirken Medikamente unterschiedlich auf Frauen und Männer?

Der Begriff umfasst aber noch mehr. „Bei einer medizinischen Entscheidung gilt es, das Geschlecht, das Alter, aber auch den Lebensstil, soziale Faktoren und Umwelteinflüsse zu betrachten, weil all das Einfluss auf Diagnose, Therapie und Prävention hat“, erklärt Univ. Prof.in Dr.in Jeanette Strametz-Juranek, Fachärztin für Innere Medizin und Kardiologie, Expertin für Gendermedizin und Primaria im Reha-Zentrum für Herz-Kreislauferkrankungen der Pensionsversicherung (PV) in Bad Tatzmannsdorf. „In der Rehabilitation und in der Onkologie, also bei der Krebsbehandlung, wird dieser Ansatz bereits stark umgesetzt. Dass die geschlechterspezifische Medizin im Lehrplan der Universitäten verankert ist und die jungen Ärztinnen und Ärzte heute mit Gendermedizin vertraut sind, ist ebenfalls eine wichtige Entwicklung.“ Denn: Geschlechtermedizin hilft allen. Je besser wir die biologischen und soziokulturellen Unterschiede kennen, desto besser sind die Diagnosen und Therapien.

Doch wo gibt es nun Unterschiede – in Sachen Anatomie, Hormonhaushalt oder Stoffwechsel – die man kennen sollte? Wir zeigen sechs Punkte auf.

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1. Frauenherzen schlagen anders

„Frauenherzen sind kleiner und leichter als Männerherzen“, erklärt Dr.in Jeanette Strametz-Juranek. Im Schnitt kommt ein Männerherz auf 350 Gramm, ein weibliches Herz auf 250 Gramm. „Durch die verringerte Größe ist auch der Durchmesser in den Koronararterien kleiner. Frauen haben sozusagen dünnere Ventrikel.“

Obendrein schlagen Frauenherzen auch schneller. „Nach der Pubertät steigt bei Mädchen die Herzfrequenz an. Das liegt am Einfluss der Östrogene auf den Sinus-Knoten.“ Letzterer ist eine Struktur aus Muskelgewebe und Nerven, die elektrische Impulse an das Herz sendet, damit es sich zusammenzieht und Blut durch den Körper pumpt.

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Was bedeutet das?

  • Unterschiedliche Stress-Reaktion: Die kleineren Koronararterien der Frauen können z. B. schneller verkrampfen. Die schnellere Herzfrequenz kann auch unterschiedliche Reaktionen auf Stresshormone verursachen als bei Männern.

  • Höheres Herz-Kreislauf-Risiko nach Menopause: Vor allem die Menopause stellt in Sachen Herzgesundheit einen kritischen Wendepunkt dar. „Frauen haben durch ihren Östrogenspiegel einen natürlichen Schutzmantel für das Herz-Kreislaufsystem“, erklärt Dr.in Jeanette Strametz-Juranek. „Das Östrogen nimmt jedoch mit der Menopause ab. Dadurch kommt es zu einem Anstieg des Blutdrucks und Frauen haben nun das gleiche Risiko wie Männer für Herz-Kreislauferkrankungen. Das bedeutet, dass es für Frauen nach dem Wechsel besonders wichtig ist, Vorsorge zu betreiben und regelmäßig das Herz untersuchen zu lassen“.

  • Unterschiedliche Symptome bei Herzinfarkt: „Die Wahrscheinlichkeit, dass man als Frau andere Symptome hat als ein Mann, ist sehr hoch“, so Dr.in Strametz-Juranek. „Männer erleben oft einen Druck auf der linken Brust, Atemnot und Schmerzen, die in den Arm ausstrahlen. Bei Frauen sind die Symptome oft verschleierter und diffuser. Viele klagen über Müdigkeit, Schlafstörungen und eine deutliche Einschränkung der Leistungsfähigkeit. Auch Kieferschmerzen, Atemlosigkeit oder Verdauungsbeschwerden können Anzeichen sein“. 

Frauenherzen, Herzinfarktrisiko bei Frauen, Gendermedizin
Frauenherzen schlagen schnelle als die von Männern.

(c) mauritius images / Antonio Gravante

2. Kürzere Harnwege, größere Herausforderungen

Kleiner Auszug aus dem Anatomie-Buch: Die Harnröhre bei einem Mann ist ca. 20 Zentimeter lang. Bei Frauen misst sie gerade mal 4 bis 5 Zentimeter.

Was bedeutet das?

Durch die biologisch kürzere Harnröhre leiden Frauen häufiger an Harnwegsinfektionen. „Erreger, die in die Harnröhre gelangen, können sich über die Blase auch bis zu den Nieren ausbreiten“, berichtet das Klinikum München, das einen Schwerpunkt für Gendermedizin hat.

3. Frauen schmecken anders

„Frauen nehmen Geschmack anders wahr. Sie haben mehr Geschmacksknospen und damit ein wesentlich intensiveres Geschmacksempfinden als Männer“, so Dr.in Strametz-Juranek.

Was bedeutet das?

Geschmack beeinflusst viele Faktoren – die Ernährung, die Akzeptanz von Medikamenten (vor allem von solchen, die eher unangenehm schmecken). Ebenso wichtig ist, dass bei der Prävention und bei der Behandlung von Geschmacksstörungen geschlechtsspezifische Unterschiede berücksichtigt werden.

4. Schmerz ist abhängig vom Zyklus

„Das Schmerzempfinden einer Frau ist abhängig von der jeweiligen Zyklusphase, in der sie sich gerade befindet“, so Dr.in Strametz-Juranek. Untersuchungen zeigen: In den letzten beiden Zykluswochen, also in der Zeit nach dem Eisprung und bis zur Menstruation, können Frauen schmerzempfindlicher sein. Der Grund: Nach dem Eisprung steigt das Hormon Progesteron an. Das wiederum kann die Wirkung von schmerzlindernden Endorphinen reduzieren und die Schmerzwahrnehmung erhöhen.

Was bedeutet das?

Die Medizin kann reagieren, indem sie z. B. Schmerztherapien besser auf den Menstruationszyklus abstimmt. So können schmerzlindernde Maßnahmen nach dem Eisprung und während der Menstruation häufiger oder in höheren Dosen erforderlich sein.

5. Medikamente werden unterschiedlich abgebaut

Mann und Frau nehmen das gleiche Medikament – doch das Risiko für Nebenwirkungen ist für die Frau höher als für den Mann. Wie kann das sein? Dafür sind mehrere Faktoren verantwortlich: Geschlecht und Alter beeinflussen, wie schnell der Körper ein Medikament abbaut – und damit auch, wie lange und wie stark es wirkt. „Frauen haben eine geringere Muskelmasse als Männer und ein anderes Körperfett-Wasser-Verteilungsmuster. Das wiederum hat Auswirkungen auf die Medikamente“, erklärt Dr.in Strametz-Juranek. „Es gibt aber auch Unterschiede in der Aktivität von Leberenzymen, die beim Abbau von Medikamenten helfen. Grundsätzlich verstoffwechseln Frauen Medikamente über die Leber anders als Männer. Das heißt, dass Frauen mit herkömmlichen Dosen von Medikamenten möglicherweise überdosiert sind.“

Was bedeutet das?

Dass der „3 x täglich 1 Tablette“-Ansatz nicht für alle zutrifft. Dosierungsanpassungen müssen individuell erfolgen – unter Berücksichtigung von Körpergewicht, Körperfettanteil, Hormonstatus und Leberenzymaktivität. Für die Forschung wird wichtig, dass klinische Studien mit gleich vielen Teilnehmern bei beiden Geschlechtern gemacht werden. Nur so können Unterschiede in der Medikamentenwirkung erkannt und berücksichtigt werden.

6. Schwankende Hormone

Frauen sind durch ihren monatlichen Zyklus, aber auch durch Schwangerschaften, das Stillen und durch die Menopause mehr Hormonschwankungen ausgesetzt als Männer. Dieser Umstand beeinflusst nicht nur die Stimmung oder wie manche Medikamente wirken – sondern viele Prozesse im Körper.

Was bedeutet das?

Die gesamte Bandbreite aufzuzeigen, würde den Rahmen hier sprengen.

„Nehmen wir als Beispiel junge Frauen, die am polyzystischen Ovarsyndrom (PCOS) leiden. Dieses kann sich durch unregelmäßige Menstruation und Zysten am Eierstock äußern. Letztere sorgen für einen hohen Testosteron- und einen niedrigen Östrogenspiegel und machen es schwierig, schwanger zu werden. Das ist aber nur eine Seite. Das polyzystische Ovarsyndrom kann auch die Entstehung von Diabetes, hohem Blutdruck und Übergewicht begünstigen. Für diese Frauen ist es ganz besonders wichtig, auf ihre Herzgesundheit zu achten“, weiß Dr.in Strametz-Juranek. Und weiter: „Frauen im Wechsel wiederum haben durch das sinkende Östrogen ein größeres Risiko für erhöhten Blutdruck – und sie sind empfindlicher auf Kochsalz, das Wasser in unserem Körper speichert, aber nicht ausgeschieden werden kann. Oft erleben postmenopausale Frauen aufgeschwollene Hände und Finger oder Beine. Hier gilt es den Salzkonsum zurückzufahren.“

Gendermedizin: Welche Fragen soll ich beim Check-up stellen?

Gendermedizin nimmt aber nicht nur die Ärzte und Ärztinnen in die Pflicht. Ebenso wichtig ist gesundheitliche Eigenverantwortung. „ Medikamente sind eine Sache. Wenn ich z. B. bereits eine Atherosklerose, also eine Arterienverkalkung, habe, die zu Herzproblemen führen kann, ist der Lebensstil zu 60 Prozent dafür verantwortlich, wie sich diese fortschreitende Krankheit weiterentwickelt.“

Dr.in Strametz-Juranek rät dazu, sich vor einem Arztbesuch immer konkrete Fragen zu überlegen, die auf die eigene Lebenssituation passen. Beispiel: hoher Blutdruck. „Eine Person wird vielleicht wissen wollen: Welche Medikamente brauche ich? Für jemand anders ist wichtig: Was kann ich mit Sport und Bewegung in dieser Situation machen? Eine dritte Person hat die Frage: Kann ich damit schwanger werden? … Es geht darum, über die Erkrankung, die ich habe, Bescheid zu wissen. Und auch ein Bewusstsein dafür zu entwickeln: Was ist wichtig, damit ich erst gar nicht krank werde?“ Die Expertin weiter: „Vor allem Frauen neigen dazu, immer für andere da zu sein – für den Partner, die Partnerin, die Kinder, den Job, den Hund, die Katze, usw. Aber wenn es um die eigene Gesundheit geht, stellen sie diese oft hintan. Die Zahlen zeigen: In Reha-Einrichtungen sind Frauen unterrepräsentiert – aber sie sind genauso krank wie Männer. Sie nehmen sich aber nicht die Zeit, um wieder zu genesen. Hier braucht es ein Umdenken.“