„High-functioning Depression“, auf Deutsch „hochfunktionale Depression“, ist keine offizielle Diagnose, die man im Register des Statistical Manual of Mental Disorders (DSM-5) finden würde. Dennoch gibt es sie. Davon ist die US-Psychiaterin und Forscherin Dr. Judith Joseph überzeugt. Nicht zuletzt, weil sie selbst eine hatte.

Als die Ärztin 2020 während der Corona-Pandemie ihre Karriere, ein laufendes Forschungsprojekt und ihre Familie unter einen Hut bringen musste, wies sie alle Symptome einer Depression auf. Dennoch funktionierte sie wie am Schnürchen. Innerlich am Ende, blieb sie ein Fels für alle anderen.

Das einzig Gute an der Situation: Ihr Interesse als Wissenschaftlerin war geweckt!

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Im Jahr 2021 begann sie mit der Erforschung der Krankheit und sie begann, schrittweise in den sozialen Medien darüber zu berichten. Dabei betont sie immer wieder, dass ihre Erfahrung kaum einzigartig sei: Sie erkennt die Symptome vielfach in ihrem Umfeld – in den überarbeiteten Ärzt*innen und Krankenpfleger*innen, die ihre Gefühle unterdrücken, um ihren Tag zu überstehen.

Mittlerweile leitet Dr. Joseph in ihrem Forschungsinstitut die weltweit erste Studie zu hochfunktionaler Depression und hat gerade ein Buch darüber geschrieben („High Functioning: Overcome Your Hidden Depression and Reclaim Your Joy“). Sie definiert die Erkrankung als eine durch Trauma ausgelöste psychische Störung, die zu einem Verlust von Lebensfreude und masochistischen Verhaltensweisen führen kann.

Woran erkenne ich eine hochfunktionale Depression?

Von außen sehr schwierig. Letztlich ist die „High-functioning Depression“ (HFD) eine Form der Depression, bei der Betroffene nach außen hin ein scheinbar normales und erfolgreiches Leben führen, innerlich aber mit depressiven Symptomen kämpfen.

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Merkmale der hochfunktionalen Depression:

  • Die HFD ist eine chronische Form der Depression. Sie wird auch als anhaltende depressive Störung bezeichnet (früher bekannt als Dysthymie). Das Gegenstück dazu ist die akute Depression (Major Depressive Disorder).

  • Betroffene wirken im Alltag, Beruf und sozialen Leben wenig eingeschränkt.

  • Sie erfüllen ihre Verpflichtungen und sind oft sogar sehr erfolgreich.

  • Innerlich leiden sie unter Selbstzweifeln, Sorgen, Ängsten und Erschöpfung.

  • Symptome wie gedrückte Stimmung, Antriebslosigkeit und Freudverlust sind vorhanden, aber weniger ausgeprägt als bei klassischer Depression. „Aber täuschen Sie sich nicht“, schreibt die US-amerikanische Therapeutin Maya Johansson, „HFD ist genauso schwer zu bewältigen wie andere Formen der Depression.“

Social Media & HFD

Nicht zuletzt durch die Videos von Judith Joseph wurden die Krankheit auf Social Media populär. Immerhin kommt die Ärztin auf 700.000 (kombinierte) Follower auf TikTok und Instagram. Dieser „Ruhm“ der hochfunktionalen Depression ist durchaus ambivalent. Einerseits sorgen Insta & Co. für Aufklärung und Entstigmatisierung. Sie bieten Betroffenen eine Plattform, um ihre Erfahrungen zu teilen und sich mit anderen auszutauschen.

Andererseits bleibt das klassische Selbstdiagnose-Risiko: Nicht jede alltägliche Stimmungsschwankung ist ein Anzeichen für eine Depressionen – und die oftmals unkritische Übernahme von Hashtags wie #highfunctioningdepression ist dann halt auch nicht immer zielführend…

Musalek, Tieze, Podcast, Burnout

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Die fünf Vs

Eine Depression (egal welcher Art) ist nicht nur kein Fall für eine Selbstdiagnose, sie ist auch nicht geeignet für DIY-Lösungen. Es gibt sie leider nicht, diese eine Maßnahme à la „Nimm mehr B-Vitamine!“, die rasch alles wieder ins Lot bringt.

Das weiß auch Judith Joseph. Dennoch definiert sie in ihrem Buch „5 Vs“, die Menschen mit hochfunktionaler Depression helfen können, wieder Freude an ihren Aufgaben zu finden:

  1. Validation (Validierung): Deine Gefühle wahrnehmen und anerkennen, nichts zur Seite schieben oder klein reden

  2. Venting (Rauslassen): Deine Gefühle ausdrücken, egal wie – verbal, künstlerisch, aufschreiben …

  3. Values (Werte klären): Finde heraus, was deinem Leben Sinn verleiht.

  4. Vitals (körperliche Gesundheit fördern): Stelle sicher, dass du gut auf dich aufpasst und dir den Raum nimmst, den du brauchst – auch in deinen Beziehungen.

  5. Vision (Zukunftsperspektiven entwickeln): Feiere jeden Erfolg in Ruhe, anstatt dich ansatzlos ins nächste Projekt zu stürzen.

Wenn du selbst betroffen bist

Du musst niemanden „beweisen“, dass es dir schlecht geht. Es ist irrelevant, ob andere deine Depression wahrnehmen können: Du bist der Maßstab für deine mentale Gesundheit. Bloß weil du es geschafft hast, in der Früh aus dem Bett zu kommen, regelmäßig in die Arbeit zu gehen und anderen gegenüber stabil und „eh ganz normal“ zu wirken, heißt das nicht, dass du nicht leidest. Nimm deine Gefühle ernst und such dir Hilfe. (In einem ersten Schritt zum Beispiel hier.)

QUELLEN: