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Dieses Immerfunktionierenmüssen ...“, brabble ich eintönig vor mich hin und klopfe die Handkanten dumpf aneinander, tap-tap-tap, „... dieser ewige Druck ...“, tap- tap-tap, „... dieses Immerperfektseinmüssen ...“

Tapping-expertin UIrike Müller

Bild: UIrike Müller

„Dieser ewige Druck...“, sagt Ulrike, die mir seit ungefähr einer Stunde in ihrer Praxis in der Salzburger Altstadt gegenübersitzt. Sie klopft ebenfalls die Handkanten aneinander, und sie zieht das „Ewig“ so in die Länge, dass es klingt, als wäre mein Perfektionismus ein auf alle Zeiten unentrinnbares Schicksal von einer Schwere, wie man sie sonst nur aus altgriechischen Sagen kennt.
Tap-tap-tap.
„Dieses quälende Immerfunktionierenmüssen, dieses Immerperfektseinmüssen, das mich so überfordert ...“
Während sie so vor sich hin jammert, tupft Ulrike mit Zeige- und Mittelfinger ihrer rechten Hand auf ihre Augenbraue. Sie nickt mir aufmunternder zu, als das zum tiefen Moll ihrer Stimme passen würde.
„Dieser eeewige Druck“, sage ich und tupfe mit Zeige- und Mittelfinger an meine Augenbraue.
Tap-tap-tap. Ich seufze tief.

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Ich bin nach Salzburg gekommen, um mir von Ulrike Müller das Klopfen beibringen zu lassen.
Sie hatte mich gebeten, als praktisches Übungsbeispiel ein Thema mitzubringen, das mich belastet. Meine siebenjährige Tochter war so freundlich, mir eines mitzugeben: Sie hält mich nämlich in letzter Zeit für einen bestenfalls mitteltollen Papa.
Sie mag mit dieser Einschätzung objektiv recht haben (ich bin nicht so geduldig und aufmerksam, wie das ein guter Papa wäre, im unauffälligen „Mensch ärgere Dich nicht“-Verlieren bin ich ein Versager, und beim Puppenhauseinrichten mithelfen zu müssen lässt mein Nervenkostüm kollabieren). Es mag – ebenfalls objektiv – ja ganz normal sein, dass eine Siebenjährige den Reiz kleiner Machtspielchen entdeckt. Aber subjektiv belastet mich dieser Liebesentzug schon. Sogar sehr. Wenn mir meine Kleine am Morgen den Kuss verweigert, starte ich mit leeren Freudebatterien in einen dunkelgrauen Tag.

Mädchen hält sich Augen zu

Bild: Caleb Wood/Unsplash

„Taugt das zum Klopfen-Ausprobieren?“, frage ich Ulrike zu Beginn der Sitzung. „Es taugt alles, was dich stresst“, antwortet sie, „solange es dich wirklich stresst.“
„Kannst du mir das Klopfen kurz erklären, bevor wir anfangen?“
„Klopfen wir. Dann wird nicht viel zu erklären sein.“

„Auch wenn ich mich für einen miesen Vater halte und mir deswegen Vorwürfe mache, bin ich okay, wie ich bin“, sagt Ulrike und wirft mir einen auffordernden Blick zu. „Jetzt du.“
„Auch wenn ich mich für einen miesen Vater halte und mir deswegen Vorwürfe mache“, sage ich, dann wird mir der Hals dünn, „bin ich okay.“
„... bin ich okay, wie ich bin“, ergänzt Ulrike sanft und fest. „Nochmal.“
Wir probieren diesen Satz dann noch zwei-, dreimal öfter, als es seiner Komplexität angemessen scheint (aber hast du schon mal jemand anderem ins Gesicht gesagt, dass du okay bist, wie du bist?).
Als ich ihn mit halbwegs fester Stimme aussprechen kann, sagt Ulrike: „Jetzt können wir anfangen.“ Und: „Mach mir einfach alles nach.“
Sie lässt mich nochmal den Mieser-Papa-trotzdem- okay-Satz sagen, und dabei beginnt sie mit den Spitzen von Zeige- und Mittelfinger zu tappen: an ihrer Augenbraue, unten und innen am Auge, ober- und unterhalb der Lippen, an der Brust, unterm Arm.
Ich tappe ihr unbeholfen in meinem Gesicht und an meinem Oberkörper hinterdrein.
Sie lässt mich den Einstimmungssatz noch ein paar Mal vortragen.
Tap-tap-tap.
Dann, ein paar Minuten Klopfen und Vortragen später, sagt sie mit leer klagender Stimme:
„Dieses Gefühl, ein schlechter Vater zu sein. Diese Vorwürfe.“
Ich tappe und tappe und sage mechanisch:
„Dieses Gefühl, ein schlechter Vater zu sein. Diese Vorwürfe.“
Das alles fühlt sich schon einigermaßen komisch an.
Tap-tap-tap.

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Tap-tap-tap.
Wir haben vor ungefähr eineinhalb Stunden beim Mieser-Papa-Sein begonnen, und Seufzer für Seufzer, Einstimmungssatz für Einstimmungssatz und Erinnerungssatz für Erinnerungssatz haben wir uns tiefer reingeklopft in eine beachtliche Architektur seelischer Unpässlichkeiten.
Der fehlende Gutenmorgenkuss meiner Kleinen war nämlich nur der Anfang. Er hat uns die Tür geöffnet ins grundsätzliche Gefühl einer insgesamten Unzulänglichkeit, weiter ging’s in ein feines Spiel von Selbstvorwürfen („Ich kann in Wahrheit gar nichts“) und Ansprüchen („Ich erwarte von mir, immer alles richtig zu machen“), von Leistungsdruck und Versagensangst und Bloßstellung, und nebenbei ist sich noch ein Abstecher in Prägungen der frühen Kindheit ausgegangen.
Tap-tap-tap.
Eineinhalb Stunden. Ich seufze tief. Ich gähne.
„Was fühlst du jetzt?“ fragt Ulrike.
„Ein bisschen taube Handkanten“, sage ich. „Und müde bin ich.“
Ulrike lächelt und sagt: „Dann ist’s gut.“
Mir ist ein bisschen schummrig und komisch, aber irgendwie leichter zumute als vor eineinhalb Stunden.
Ich hab Lust, meine Kleine anzurufen und sie zu fragen, ob im Puppenhaus eh alles in Ordnung ist oder ob sie beim Möbelpacken Hilfe braucht.

Meine Eindrücke aus Salzburg sind gerade ein paar Tage alt. Hat das Klopfen mein Leben verändert? Keine Ahnung.
Drei Dinge sind mir aber aufgefallen.

3 Dinge, die sich nach meinem Tapping-Versuch geändert haben

1. Ich fühle mich als besserer Papa

Erstens, dass meine Tochter seither anders mit mir umgeht. (Oder ich mit ihr? Ich weiß es nicht.) Jedenfalls ist sie liebevoller und zugänglicher. Und vielleicht bin ich geduldiger und gelassener. Ich fühle mich jedenfalls als besserer Papa. Es war aber seither kein Puppenhaus einzurichten, vielleicht liegt’s daran.

2. Ich bin gelassener

Ich experimentiere im Alltag mit dem Klopfen herum, wahrscheinlich sehr unqualifiziert, aber mit spannenden Ergebnissen. Zu spät dran für einen Termin und Stau? Ich sitze im Auto, dreh das Radio ab, sage mir Sätze vor wie „Dieser Stress des Zuspätkommens ...“ und tappe die Handkante gegen das Lenkrad. Heißhunger auf eine Tafel Schokolade? „Diese Lust auf etwas, von dem ich weiß, dass es mir nicht guttut...“, tap-tap-tap.
Die Ergebnisse? In erster Linie mehr Gelassenheit. Vielleicht bilde ich mir auch das ein. Aber ist eingebildete Gelassenheit schlechter als objektive Gelassenheit?

3. Sätze helfen beim Weitermachen

Ich habe mir, wann immer ich beim Schreiben dieses Textes ins Stocken geraten bin, bewusst ein paar Minuten Zeit genommen. Ich habe mich hingesetzt und mir Sätze vorgesagt wie: „Obwohl ich einen Beruf ausübe, der mir wahnsinnig schwerfällt und überhaupt keinen Spaß macht, bin ich okay, wie ich bin.“

Tap-tap-tap.
„Dieses schreckliche Schreiben“, habe ich mich angejammert. „Dieses schreckliche Schreiben.“
Tap-tap-tap.
Dann habe ich mich wieder an den Schreibtisch gesetzt und weitergetippt.
Und jetzt ist es überstanden.