Eisbaden: Den Angst-Gegner Kälte zum Verbündeten machen
Es nützt nichts, nur darüber zu reden. Irgendwann muss man’s auch selber ausprobieren. carpe diem-Chefredakteurin Nicole Kolisch wagt den Sprung ins eiskalte Wasser.
Und plötzlich geht alles ganz schnell. Die Frau mit der grauen Pudelmütze nimmt mich an der Hand, „drei, zwei, eins“ zählt Kursleiter Fetzy – und wir tauchen bis zu den Schultern in den Salmsee. Nur unsere Pudelmützen schauen noch raus. Ich summe ein wenig. Das hilft.
Jänner, vier Grad Celsius. Was mache ich hier eigentlich?
Gute Frage. Schwierige Antwort.
Auf den ersten Blick ist es ja ganz klar: Seit der frühesten Ausgabe des carpe diem-Magazins begleitet mich das Thema Kälte. Wir haben über Wim Hof berichtet, der Wagner, unser durchgeknallter Biohacking-Kolumnist, war sogar eisschwimmen, also noch eine Stufe härter als bloßes Eisbaden („Eisbaden und Eisschwimmen – das ist wie Labor und Leben“, schrieb er damals). Nicht minder eindrucksvoll: Kollegin Waltraud Hable hat ihre Kräfte mit dem persönlichen Erzfeind Kälte am Dachstein gemessen und Autor Robert Maruna haben wir zwecks Kryotherapie in eine – erraten! – Kältekammer gesteckt (auch mit Pudelmütze übrigens).
Und dann ist da noch Pinar. Pinar ist unsere Fotochefin und die personifizierte Frostbeule. Sprich: Der armen Frau ist einfach immer kalt. Oder besser gesagt: war immer kalt. 2019 hat sie begonnen, mit Freundinnen in die Alte Donau zu hüpfen. Immer donnerstags in der Früh vor der Arbeit. Danach ist sie jedes Mal beseelt lächelnd mit einem wohligen Wärmegefühl im Büro gesessen. Kein dummer Wunsch ihrer Chefredakteurin konnte sie aus der Ruhe bringen. Wenn der Drucker wieder einmal gestreikt hat, blieb sie entspannt in ihrer Mitte. Ommmmm. Und kalt? Kalt war ihr sowieso nicht mehr!
„Boa“, dachte ich, „eisbaden heilt scheinbar alles.“
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Vom Denken zum Handeln
Weil es aber vom Denken zum Tun oftmals ein langer Weg ist, haben wir jetzt nicht mehr 2019. Wir haben 2023. Und das letzte Jahr war für mich wie das bekannte Brettspiel mit den Schlangen und den Leitern. Bloß ohne Leitern.
Also packe ich Badehose, Pudelmütze und Entschlossenheit ein. So kann’s nicht weitergehen. Das Eisbaden soll das wieder in Ordnung bringen. „Warum seid ihr heute da?“, fragt Fetzy zu Beginn des Kurses. „Ich hätte gerne wieder eine Leiter“, denke ich. Darum geht’s.
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Frieren in den Alltag einplanen
Aber so schnell passiert das nicht. „Einmal Eisbaden ist ja ganz nett“, sagt Fetzy, „dann hat man ein cooles Foto für Instagram. Aber es ist wie bei Sport: Wenn’s wirklich was bringen soll, dann ist es mit einem Mal nicht getan. Da braucht’s schon Regelmäßigkeit.“
Und er erklärt uns, dass der Körper mit dem optimalen Equipment ausgestattet ist, um der Kälte zu trotzen. Wir haben es nur verlernt, wenn wir täglich in unseren 23-Grad-Einheitsbrei-Zimmern sitzen und uns, sobald’s November wird, in Outdoor-Funktionswäsche hüllen, auf die Amundsen und Scott neidisch gewesen wären. „Sucht euch immer wieder einen Kälte-Impuls“, sagt Fetzy, „auch im Alltag. Geht zumindest mal ohne Jacke zum Supermarkt. Der Körper kann das. Und er braucht das.“
Vom Blutkreislauf ist da die Rede, vom Immunsystem, vom braunen Fett, das unsere Körpertemperatur reguliert (Babys haben es noch, Erwachsene zunehmend weniger) und letztlich von der Maxime „Use it or lose it“. Übersetzt: Klar hab ich kalte Zehen, wenn meine Zehen nie gefordert sind, ihren Thermostat hochzudrehen …
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Einatmen, ausatmen, eintauchen
Um dem Körper also eine Einschulung in Sachen „Wo ist mein Thermostat?“ zu verpassen, machen wir Atemübungen. Breathwork heißt das in der Sprache der Coolen und Hippen, funktioniert aber immer noch ganz altmodisch mit Nase, Mund und Lungenflügeln. Von der sogenannten „Feueratmung“ bis zum klassischen Pranayama (aus dem Yoga entlehnt) schicken wir unseren Körper auf eine Atemreise. „Das braucht die passende Musik!“, meint Fetzy und schiebt den Lautstärkeregler bis zum Anschlag. Filigraner Klangteppich von der Spotify-Eso-Playlist? Fehlanzeige. „Der Transformers-Soundtrack muss her!“
Pain is real. Suffering is a choice.
Daniel „Fetzy“ Fetz zitiert den Buddha.
Hinlänglich transformiert und mit einem Lungenvolumen, das sich zumindest kurzzeitig vergrößert anfühlt, dürfen wir jetzt zum See, Fetzys Warnung im Ohr: „Das wird wehtun. But remember: Pain is real, suffering is a choice. Ihr entscheidet, wie ihr mit dem Schmerz umgeht.“ Na gut, denke ich und entscheide mich fürs Summen. („Summen macht glücklich“, hab ich übrigens im neuen carpe diem gelesen.)
Na bitte, geht doch!
Fazit: Es geht leichter als gedacht. 2 Minuten 30 Sekunden harre ich mit den anderen Pudelhaubenträger*innen im Wasser aus. Und dabei reift der Entschluss heran: Das kommt jetzt auf den Trainingsplan. So ein bisschen mehr braues Fett, ein bisschen weniger kalte Zehen und ein bisschen mehr innerer Buddha wären nämlich grad gut in meinem Leben. Dass der Weg zum Eiswasser über eine Leiter führt, ist sicher kein Zufall.
Eisbaden- und Atem-Workshops bei Wakeboard-Weltmeister Daniel „Fetzy“ Fetz finden regelmäßig in Steyregg statt.
Infos unter: fetzysworld.com