Zu Besuch bei Kaffeebauern in Äthiopien
Im äthiopischen Hochland lernt Waltraud Hable von einer Bauernfamilie, was es für guten Kaffee braucht. Eine Reise, die sie durch die Träume eines ganzen Dorfes und ein paar Fettnäpfchen führt. Aber vor allem bringt sie aus Ostafrika ein neues Verständnis für Gastfreundschaft mit.
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Eine Handvoll Hoffnung
Alles begann mit einem Anruf: „Es gäbe die Möglichkeit, Kaffeebauern in Äthiopien zu besuchen. Hast du Zeit und Lust?“ – „Das ist eine rhetorische Frage, oder?“, lachte ich. Ich meine: Hallo?! Ostafrika! Da muss man nicht überlegen. Zu Äthiopien sagt man nicht Nein.
Zum einen, weil hier die wahrscheinlich schönsten Menschen der Welt leben. Vor vielen Jahren bin ich bei einem Zwischenstopp am Flughafen Addis Abeba kaum aus dem Staunen herausgekommen: Diese wie vom Bildhauer gemeißelten Gesichtszüge! Die großen Augen! Diese dunkle, samtige Haut! Der Großteil der Männer und Frauen, die in der Wartehalle an mir vorbeizogen, verwandelte den Airport in einen Laufsteg.
Dazu kommt, dass in Äthiopien jeder automatisch um sieben Jahre und acht Monate „jünger“ wird, ohne dass man irgendetwas dafür tun muss. Die Zeitrechnung des Landes folgt nämlich einer Variante des koptischen (und nicht des gregorianischen) Kalenders. Das heißt, in unseren Breitengraden mögen wir das Jahr 2023 schreiben, aber Äthiopien erlebt gerade 2015. Und sogar die Uhren ticken anders. Offiziell beginnt jeder Tag in Äthiopien mit Sonnenaufgang, also null Uhr, während „normale“ Wecker sechs Uhr früh anzeigen würden.
Reise in eine andere Welt
Kurz: Ein Ausflug in das 118-Millionen-Einwohner-Land, das am Horn von Afrika liegt, fordert die kleinen grauen Zellen ordentlich heraus. Insofern kam mir das Angebot, mit einem Team von Afro Coffee äthiopische Kleinbauern und lokale Kaffeekooperativen zu besuchen, gerade recht. Endlich einmal eine Destination, die so ganz anders funktioniert als der Rest der globalisierten Welt. Außerdem haben die Arabica-Bohnen, die Afro Coffee in Europa vertreibt, das Fairtrade-Siegel. Das bedeutet, die äthiopischen Kaffeebauern bekommen einen Mindestpreis, der die durchschnittlichen Kosten für eine nachhaltige Produktion deckt. Und mit den Erlösen können die genossenschaftlichen Zusammenschlüsse Projekte für bessere Lebensbedingungen finanzieren.
Für dieses Abenteuer war ich gerne bereit, auszublenden, dass ich mit Kaffee eigentlich gar nichts anfangen kann. Ich konsumiere ihn nicht, meine Geschmacksnerven fanden ihn seit Teenagertagen immer irgendwie bitter. Aber wenn ich als Nichtkaffeetrinkerin eines gelernt habe, dann das: In den Bohnen, die jeden Tag die Welt aufwecken, steckt wesentlich mehr als nur Koffein. Jede Tasse erzählt immer auch eine Geschichte.
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Vordergründig mag es um die Gegend gehen, aus der der jeweilige Kaffee kommt. Äthiopien darf sich dank drei Millionen Jahre alter fossiler Funde nicht nur „Wiege der Menschheit“, sondern auch „Wiege des Kaffees“ nennen – im fruchtbaren Hochland, in einer Gegend namens Kaffa, wurden die allerersten Kaffeebäume der Welt nachgewiesen.
Doch lassen wir das mit den Fakten, die man auch bei Wikipedia nachlesen kann. Reden wir lieber über Kaffee-Geschichten, die nicht zu googeln sind. Ich kann diesbezüglich berichten: Sieben Autostunden von der Hauptstadt Addis Abeba entfernt durfte ich Begegnungen machen, von denen ich noch meinen Enkelkindern erzählen werde …
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Die Ferenji kommen!
Als Haile, 52, und Mulu, 45 – eine von rund 560.000 Kaffeebauernfamilien in Äthiopien – mich auf ihrem bescheidenen Hof begrüßen, habe ich keinen Schimmer, wo ich bin. Irgendwo im Süden. Aber wie der Ort genau heißt, ob Warka, Arsi oder doch Medoyu Kebele? Jeder sagt etwas anderes. Ich weiß nur: Ich bin in einer anderen Welt.
Schon die Anreise auf der staubigen Schotterstraße hat mich Kilometer für Kilometer vergessen lassen, welches Jahr geschrieben wird. Hütten aus Kuhdung und ockerfarbenem Lehm flimmern am Autofenster vorbei. Man sieht Esel, die meterhohe Gras- und Brennholztürme hinter sich herziehen. Dazu: magisch anmutende Riesenbäume, deren Blüten als Naturheilmittel gegen Magen-Darm-Parasiten dienen, Apotheken oder Kliniken gibt es hier im Nirgendwo nicht mehr.
Äthiopien darf sich nicht nur „Wiege der Menschheit“ nennen, das Land gilt offiziell auch als „Wiege des Kaffees“.
Am Wegesrand tauchen immer wieder bunt gewandete Menschen auf. Frauen mit Wasserkanistern oder Babys auf dem Rücken. Schulkinder. Wohin sie gehen? Woher sie kommen? Man weiß es nicht. Aber sie bewegen sich alle leichtfüßig und durchaus so, als hätten sie ein Ziel. Manchmal ruft jemand „Ferenji!“. Das ist Amharisch für „Fremde“. Helle Haut oder gar helle Augen haben viele in diesem Teil Äthiopiens noch nie aus der Nähe gesehen.
Als die „Ferenji! Ferenji!“-Rufe immer lauter werden, weiß ich auch ohne Mobilfunk- und GPS-Empfang: Wir sind da. Mulu und ihr Ehemann Haile haben unseren Tross schon von weither kommen hören, und sie stehen an einem ganz normalen Dienstag in ihrem besten Sonntagsgewand bereit.
Wie der Kaffee geerntet wird
Alles in Gemeinschaft
An dieser Stelle muss ich ein Geständnis machen: Ich mag durch meine Reisen durchaus sensibilisiert für fremde Kulturen sein, aber ich fürchte, in den ersten Stunden bin ich hier so ziemlich in jedes Fettnäpfchen getappt. Etwa bei dem Vorfall, als Mulu, die stolze Bäuerin mit dem breiten Lachen, mir auf ihrem drei Hektar großen Anwesen zeigt, wie man Kaffeekirschen erntet. Sobald die Farbe von Grün auf Rot umschwenkt, ist eine Kirsche reif, und sie darf gepflückt werden. Das passiert alles per Hand. Zum einen, weil die Arabica-Bohne in hohen Lagen und mit Vorliebe auf Steilhängen wächst – also dort, wo Maschinen mitunter schwer hinkommen –, und zum anderen, weil es im Unterschied zu anderen Ländern in Äthiopien kaum große Plantagen gibt. Kaffee wird hier vor allem von kleinen Bauern angebaut, die auf Mischkultur für ein besseres Bodenklima setzen. Große Gerätschaften würden die Avocado-, Mango- und Bananenbäume mittendrin nur verletzen.
Jedenfalls: Obwohl mir Mulu mit Engelsgeduld die richtigen Handgriffe zeigt, kann ich mich nicht wirklich konzentrieren. Ich dachte, mein Ausflug würde Ruhe und einsames Naturidyll bringen. Statt dessen fühle ich mich umzingelt. Egal wo ich hingehe oder welchen Baum ich abernten will, überall drängeln sich Menschen. „Ich verstehe ja, dass Fremde interessant sind. Aber könnte ich einmal kurz allein mit Mulu sein, um zu erfahren, wie das Leben hier wirklich läuft?“, stöhne ich in Richtung der Person, die mir beim Übersetzen hilft. „Das hier ist das richtige Leben“, bekomme ich zu hören. „Es ist eine Frage des Respekts, dass jeder aus der Dorfgemeinschaft vorbeischaut, um Besucher willkommen zu heißen.“ Manche seien sogar kilometerweit über unwegsames Gelände marschiert, nur um ein kurzes „Salam“ („Hallo“) oder „Tena yistilin“ („Möge Gott dir Gesundheit geben“) zu überbringen.
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Ich bin beschämt und laufe rot an. Mehr noch, als mein Blick über den Hain schweift und mir zu dämmern beginnt, dass die meisten auch deshalb gekommen sind, um Haile und Mulu tatsächlich unter die Arme zu greifen. Jeder in der Gegend weiß: Kaffeekirschen sind Sensibelchen. Will man sie für den Weiterverkauf waschen und schälen, müssen die Kirschen binnen acht Stunden nach dem Pflücken in die Wasch- und Trockenstation gekarrt werden, sonst verderben sie. Insofern kann man zur Erntezeit zwischen September und Dezember jede helfende Hand gebrauchen.
Nicht nur die drei Söhne, die noch zu Hause leben, packen mit an. Auch die Nachbarn und die Bekannten lassen ihre eigene Arbeit stehen, wenn es sein muss. Und weil man in dieser Gegend Traktor oder Auto vergeblich sucht, braucht es Karren, Esel, starke Rücken – sowie den Glauben daran, dass alles, was man gibt, wieder zurückkommt.
Lange Nächte ohne Strom
Im Haus dann, als selbst gebackenes Brot offeriert wird, bekomme ich Zeit, durchzuatmen und mich umzusehen. Es ist schummrig. Durch das Fenster kommt nur wenig Licht. Es hat kein Glas, sondern dicke Holzläden, um Wind, Regen und die Kälte draußen zu halten.
Die einzige Glühbirne im Haus flackert schwach. Haile und Mulu haben als einer von wenigen Haushalten Solarstrom. Für das Aufladen von Handys reicht das aber nicht aus. Dafür muss das Paar zu einer fünf Kilometer entfernten Solarzelle der Dorfgemeinschaft gehen.
Auf dem Boden liegt eine Matratze. Der Raum dient als Wohn- und Schlafzimmer. An den Wänden hängen keine Bilder, obwohl Haile und Mulu hier sechs Kinder – drei Töchter und drei Söhne, allesamt zwischen 17 und 27 Jahre alt – großgezogen haben. Doch Fotos sind teuer, und Erinnerungen kann man auch im Herzen tragen. Die einzigen schmückenden Elemente stellen Plastikblumen und ein „Happy Birthday“-Schild dar. Irgendwer im Dorf hat immer Geburtstag, also bleibt das erst einmal hängen.
Ungewollt tappe ich von Fettnapf zu Fettnapf – etwa als das ganze Dorf uns Besuchern zu Ehren eine Ziege spendet.
Mulu und Haile erzählen, wie stolz sie auf die Fruchtbarkeit des Bodens im Hochland sind. Sie sind beide hier geboren, schon ihre Elterngeneration hat Kaffee angebaut. Auch wenn mehr als die Volksschule für sie nicht möglich gewesen ist, ihre Kinder sollen es besser haben. Ein Sohn hat einen Abschluss als Computeringenieur, eine Tochter hat studiert. „Wir sind zufrieden“, sagt Haile, der sanfte Augen und ein schüchternes Lächeln hat. Die Familie wünscht sich keinen großen Komfort und auch kein Auto. Vielmehr träumt man hier von Licht, das die Nächte für alle in der Gemeinschaft ein bisschen kürzer macht. So nah am Äquator verabschiedet sich die Sonne bereits um 18 Uhr hinterm Horizont. Und zurzeit haben nur etwa zehn von 450 Haushalten eine kleine Solarzelle.
Auch eine Straße, die nicht beim ersten Regen wegrutscht und alle von der Außenwelt abschneidet, würde eine Erleichterung darstellen. Und klar: fließendes Wasser. Das hat niemand hier, und dieser Umstand prägt das Leben.
Wie alle müssen Haile und Mulu im Morgengrauen einen Esel in Richtung Community-Brunnen losschicken. Achtzig Liter schafft das Tier zu tragen, und die Reise hin und zurück dauert drei Stunden. Mit dem Wasser kann die Familie sich selbst sowie die vier Kühe, die zwei Esel und die Katze des Hofs versorgen. Will man Wäsche waschen, muss der Esel noch einmal los. Ich schaue beschämt zu Boden, weil ich mir vorhin gleich mit zwei Kannen Wasser die Hände abgespült habe, obwohl’s auch ein Schöpfer getan hätte. Die Familie hat nichts gesagt.
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Vom Geben ohne Nehmen
Vielmehr hat sie sogar noch ein Geschenk für uns. Haile führt eine Ziege ins Wohnzimmer. „Die ist für euch“, sagt er. „Als Dank dafür, dass ihr unseren Kaffee in die Welt hinaustragt.“ Die ganze Gemeinschaft habe zusammengelegt.
Als mir zu dämmern beginnt, was so eine Gabe in Afrika bedeutet, weiche ich mit einem „Ich bin Vegetarierin“ zurück. Schon wieder ein Fettnäpfchen! Keine drei Sekunden später werden meine Augen feucht – und dieser Umstand hat nichts mit dem drohenden Schicksal der Ziege zu tun. Ich weiß, dass das jetzt heillos pathetisch klingen mag, aber es ist die unvoreingenommene Großzügigkeit und Großherzigkeit hier im äthiopischen Hochland, die mich mit voller emotionaler Wucht trifft. Warum geben die, die wenig haben, oft am meisten? Wann hat unsere Gesellschaft damit aufgehört? Und wieso eigentlich?
Wir mögen nicht dieselbe Sprache sprechen, und in der Kürze kann ich auch nur einen kleinen Einblick bekommen, aber er reicht, um zu verstehen: Die Bauern hier führen ein hartes Leben. Ja, der Kaffee aus der Gegend ist top – er gilt als mild-aromatisch und darf im Einklang mit der Natur wachsen. Doch trotz Fairtrade bleibt es am Ende finanziell immer irgendwie eng. Weil es Ernteausfälle geben kann. Aber vor allem, weil die hohe Qualität der Bohnen und der damit verbundene Preis auch bedeuten, dass der Kaffee von hier nie Massenware sein wird.
Was kann man tun? Kann man überhaupt was tun? Ich höre auf, Fragen zu stellen. Vielleicht muss man einfach nur zuhören, um auf Lösungen zu kommen.
Mulu macht sich daran, Kaffee zuzubereiten. Sie röstet die Bohnen über offenem Feuer, zerstößt sie in einem Mörser. Ich bin noch immer kein Fan, aber das Duftgemisch aus Holz, Rauch und Kaffee ist großartig. Auch weil – typisch für eine äthiopische Kaffeezeremonie – gerade ein paar Brocken Weihrauch ins Feuer geworfen werden. „Ich habe eine Frage an dich“, sagt Mulu schließlich. „Wir strengen uns jeden Tag an, um guten Kaffee zu produzieren. Aber warum reicht es trotzdem nicht für ein Leben, das komfortabler ist?“
Kaffee braucht Fragen
Ich lächle sie ratlos an. Nach allem, was ich hier erleben durfte, wäre ich sofort dafür, jedes Kilo Bohnen quasi um das Hundertfache teurer zu machen, so viel Arbeit und Zeit steckt da drin.
Dann realisiere ich: Ich allein kann Mulu gar keine Antwort geben. So, wie Kaffee nur durch das Miteinander wachsen kann, braucht es auch ein Miteinander auf der anderen Seite – sprich: auf Seite derer, die Kaffee lieben und trinken. Und ich glaube, ein erster Ansatz kann sein: Je öfter man sich fragt „Woher kommt mein Kaffee? Wie viele Hände waren an der Entstehung beteiligt?“, desto mehr Beziehung entsteht zu den Bohnen, die man aus dem Küchenkastl fischt.
Hat man dann das volle Bild vor Augen, zahlt man gern ein, zwei Euro mehr. Weil man weiß, dass dieser Beitrag einen großen Unterschied machen kann. Wenn ich eines aus Ostafrika mitgenommen habe, dann die Erkenntnis: Großzügigkeit ist ansteckend, im positiven Sinn.
Als wir wieder abfahren, ist mein Herz müde, aber bis zum Anschlag voll. Obwohl wir uns nicht abgesprochen haben, verkündet jeder im Wagen, sofort eine Solarleuchte spenden zu wollen. Damit ein kleines Licht der Zuversicht zurückbleibt, das hoffentlich zu etwas Großem wachsen kann.
Besser Kaffee trinken
Bei Kaffee auf das Fairtrade-Label zu achten ist ein wichtiger Aspekt, um das Überleben von Kaffeebauern zu sichern. Aber da geht noch mehr: Lokale Kaffeekooperativen starten regelmäßig Projekte, die in ihrer Gegend für bessere Lebensbedingungen sorgen sollen. Die „Oromia Coffee Farmers Cooperative Union“ etwa organisiert in Zusammenarbeit mit dem „Horn of Africa Regional Environment Centre and Network“ aus Lehm gebaute Kochöfen. Diese verbrauchen bis zu 50 Prozent weniger Brennholz (das bedeutet weniger Abholzung der Umgebung), und obendrein produzieren die Öfen um 70 Prozent weniger Schadstoffe (weniger Reizung der Augen und Atemwege). Außerdem wird den Leuten in den Dörfern beigebracht, wie sie diese Öfen selbst herstellen können. Afro Coffee unterstützt in seinem Webshop dieses Projekt.
Mehr Info: afrocoffee.com
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