Tanz dich frei!
Shake it off! Unsere Autorin ist endlich wieder in die Tanzschuhe geschlüpft und hat die Nacht zum Tag gemacht. Müde ist sie trotzdem nicht.
Man sollte viel öfter tanzen gehen. Diesen Satz tippte ich nach einer sehr langen Nacht in den letzten Sekunden der geistigen Anwesenheit in meinen Facebook-Account, bevor ich selig lächelnd einschlief – mit dicken Blasen an den Füßen und Glitzer-Resten im Gesicht, aber sehr, sehr glücklich.
Man sollte viel öfter tanzen gehen.
Nach ewigen Zeiten war ich mit meinen Freundinnen nicht Probleme wälzend und bis in die Glocken diskutierend um den Tisch gesessen, sondern hatte mit diesen einen Club besucht. Wir kamen als erste und gingen als letzte Gäste.
Das gemeinsame Probleme-Wälzen mit Weinbegleitung hat zwar stets durchaus therapeutischen Charakter – aber manchmal muss man sein Gehirn einfach abschalten und den Mund geschlossen halten, um sich frei und glücklich zu fühlen – und das klappt einfach am besten beim heftigen, ungenierten Abshaken.
Manchmal muss man sein Gehirn einfach abschalten und den Mund geschlossen halten, um sich frei und glücklich zu fühlen.
Dabei ist es wirklich vollkommen unwichtig, dass unsere Gesellschaft meint, ab einem gewissen Alter wäre es schicklicher, allerhöchstens Cocktail schwenkend in einer Bar zu stehen, anstatt den Altersdurchschnitt in der Disco deutlich zu heben. Dafür sorgt schon allein die Musik, denn die enttarnt dem Lebensglück hinderliche Konventionen sehr schnell: Musik synchronisiert uns – es spielt keine Rolle, was wir tragen, wie alt wir sind oder woher wir kommen.
Musik synchronisiert uns – es spielt keine Rolle, was wir tragen, wie alt wir sind oder woher wir kommen.
Sie integriert die einzelnen Tänzer in eine zappelnde, wackelnde, jubelnde Gruppe, fasst sie zusammen und verbindet zu einem großen, fröhlichen Ganzen. Wo wir uns im Alltag manchmal genervt von unseren Mitmenschen abwenden, lächeln wir ihnen plötzlich mitten ins Gesicht. Und dann merkt man, wie sehr man andere Menschen eigentlich braucht und mag.
Auf der Tanzfläche merkt man, wie sehr man andere Menschen eigentlich braucht und mag.
An der Bar oder beim gemeinsamen Warten vor der Toilette beäugt man sich gegenseitig oft noch misstrauisch – oder vermeidet durch das Rumfummeln am Handy den Kontakt. Am Dancefloor passiert dafür heftiger, nonverbaler Austausch. Schuld daran sind nur der Rhythmus, der Bass, die Lautstärke und die Freude, die uns das alles bereitet. Musiker und DJs müssen in ihrer Funktion als Zeremonienmeister sehr glückliche Menschen sein, das denke ich mir oft.
Der Rhythmus, der Bass, die Lautstärke und die Freude, die uns das alles bereitet.
Und wir? Müssen nur jene Bewegung finden, die am besten zu uns passt. Ich erinnere mich an den Besuch der Tanzschule früher. Ich habe es gehasst. Die steifen Regeln, die schweißnassen Handerl meiner meist um einiges kleineren Tanzpartner. Vor, zurück, seitwärts – nicht nur dass ich mir die Schrittfolge partout nicht merken konnte, ich wollte viel lieber so tanzen, wie mein Körper es verlangte, wild und lustig.
Ich erinnere mich an den Besuch der Tanzschule früher. Ich habe es gehasst.
Also verschwand ich regelmäßig durch die Hintertür und schlich in den Club ums Eck. Später, in den frühen 90er-Jahren, fand ich mich dann im Auge des Orkans wieder – Raves waren das Ding der Stunde, Techno der Soundtrack dazu. Wir tanzten im Staub verlassener Industriegebiete. Wir tanzten in riesigen Hallen. Wir tanzten am Strand. Wir tanzten Lkws mit riesigen Boxentürmen an Bord hinterher. Wir tanzten einmal quer durch Europa.
Wir tanzten im Staub verlassener Industriegebiete. Wir tanzten in riesigen Hallen. Wir tanzten am Strand.
Warum und wann ich dann irgendwann aufs Tanzen vergessen habe, weiß ich nicht mehr. Aber jetzt gehe ich es wieder an. Immerhin möchte ich auch im Alter noch gesund und glücklich sein: Laut einer aktuellen Studie aus der Musikkognitionsforschung soll Tanzen sogar dabei helfen, der Demenz vorzubeugen. Es macht bewiesenermaßen fit und schult die Resilienz. Tanzen ist ein effektives, seelisch bereicherndes Ganzkörper-Workout, das Kondition, Beweglichkeit, Kraft und Koordination steigert.
Am wichtigsten erscheint mir diese große Uneitelkeit beim Shaken, die im krassen Gegensatz zum geforderten Perfektionismus unserer Zeit steht.
Aber am wichtigsten erscheint mir diese große Uneitelkeit beim Shaken, die im krassen Gegensatz zum geforderten Perfektionismus unserer Zeit steht. Beim Tanzen ist man wirklich und wahrhaftig hemmungslos. Das Gewand verrutscht, die Haare kleben im Gesicht. Man kichert, man schreit, man liegt sich in den Armen.
Eigentlich ist es wie Sex, nur ohne Partner. Man macht Liebe – und zwar mit der ganzen Welt und vor allem mit der Musik. Es ist wie Lachen in Bewegung. „Arbeite, als bräuchtest du kein Geld. Liebe, als wärst du nie verletzt worden, und tanze, als würde niemand zuschauen“– so lautet ein berühmtes Zitat zum Thema.
Eigentlich ist Tanzen wie Sex, nur ohne Partner. Man macht Liebe – und zwar mit der ganzen Welt und vor allem mit der Musik.
Zumindest Letzteres kann ich garantieren.