Gisbert forscht: 30 Hertz und eine Seele
In seiner Kolumne geht Gisbert Knüphauser diesmal der Frage nach, inwiefern er seiner Katze Flora und ihren Artgenossen therapeutische Fähigkeiten zugestehen kann – oder eben auch nicht.
Flora hat beinahe zauberhafte therapeutische Fähigkeiten, auch wenn sie sich, verglichen mit herkömmlichem medizinischem Fachpersonal, wenig standesgemäß verhält. Zum Beispiel rollt sie gerne über den Fußboden, um dann auf dem Rücken, alle vier Gliedmaßen von sich gestreckt, vor mir zum Liegen zu kommen und mit Nachdruck zu verlangen, am Bauch gestreichelt zu werden. Sobald ich ihrem Wunsch entspreche, greift sie meine Hand, hält sie mit allen vier Gliedmaßen fest und beißt sie so lange, bis sich an den Kratzern auf meiner Hand kleine Blutströpfchen bilden.
So drückt sie Wertschätzung und Zuneigung aus, habe ich gelesen.
Flora, auch das unüblich unter therapeutischem Personal, zerkratzt die Polsterung unserer Sitzgarnitur, verliert im Frühjahr Haare in unglaublichen Mengen, und wenn sie was Schlechtes gegessen hat, befreit sie sich zugleich vorne und hinten von dem Schlechten, und zwar, in einer Art Cirque du Soleil des Stoffwechsels, in exakt derselben Konsistenz und exakt derselben Farbe. Das tut sie bevorzugt auf dem Wohnzimmerteppich, der hat auch lange Haare so wie Flora, grundsätzlich kotzt Flora nie auf Fliesen.
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Die also sehr ungewöhnliche Therapeutin Flora, von der ich dir heute erzählen möchte, hält mich für lebensunfähig, insbesondere wenn es um meine Nahrungsversorgung geht. Deswegen macht sie sich fürsorglich auf die Jagd nach Mäusen und Würmern, tötet die armen Tiere und serviert sie mir – nach ihrem Verständnis verzehrbereit – auf dem Küchenboden.
Oft liegen die kleinen Kadaver äußerlich unversehrt da, als würden sie schlafen, das geht noch, aber manchmal bringt Flora Echsen, zuletzt einen Vogel, dem sie fürsorglich den Kopf entfernt hatte, der sah dann nicht mehr so aus, als wäre er nur für ein Nickerchen vorbeigekommen.
Flora tut also sehr viel, was sonst kaum jemand tut, der die Gesundheit anderer fördert, ihr Herz-Kreislauf-System stabilisiert, ihren Blutdruck senkt oder die Ausschüttung von Glückshormonen befördert. Das alles kann Flora nämlich wirklich. Flora ist eine Art Supertherapeutin.
Flora ist, du hast es dir schon gedacht, weder eine besonders individuelle Physiotherapeutin noch eine verhaltensirritierte Internistin. Flora ist eine ganz normale Katze, soweit eine Katze halt normal sein kann.
Wenn du auch eine Katze hast, dann ist dieser Bericht, glaube ich, wirklich interessant für dich. Denn seit ein paar Jahren beschäftigen sich Wissenschaftler sehr intensiv mit den gesundheitlichen Auswirkungen von Katzen auf uns Menschen, und die sind so enorm, dass es Katzen eigentlich auf Krankenschein geben sollte.
Allein schon eine Katze zu streicheln ist ausgesprochen gesund für uns. Das wird dich jetzt im Prinzip nicht besonders überraschen, weil du ja spürst, wie es dich beruhigt, wenn du deiner Flora das Fell kraulst – zumindest solange sie nicht auf die Idee kommt, ihre Wertschätzung auszudrücken –, aber vielleicht überrascht dich das Ausmaß des Effekts: Eine Katze zu streicheln regt stark die Bildung von Oxytocin an, dem sogenannten Kuschelhormon, einem sehr mächtigen natürlichen Gegenspieler des Stresshormons Cortisol.
Außerdem sinkt beim Katzenstreicheln dein Blutdruck. Wenn also jemand viel Stress hat und vielleicht sogar unter zu hohem Blutdruck leidet, ist regelmäßiges Katzenstreicheln eine superwirksame Therapie, und wenn du dir mit dem Einschlafen schwertust, dann erst recht. Probier’s mal aus, schnapp dir deine Flora und streichel dir die Stresshormone weg.
Flora ist eine ganz normale Katze, soweit eine Katze halt normal sein kann.
Allein der gesundheitliche Wert der Streicheleinheiten würde schon als Erklärung dafür reichen, wieso Tierbesitzerinnen und Tierbesitzer insgesamt weniger Kosten fürs Krankensystem verursachen als Menschen, die kein Tier haben. (Das haben Forscherinnen und Forscher in Kanada und Australien ausgerechnet.)
Und wenn die Katze das Streicheln nicht nur stumm über sich ergehen lässt, sondern auch noch zu schnurren beginnt, bilden wir zusätzlich zum Oxytocin noch das Wohlfühlhormon Serotonin, das haben sie auf der Universität von Minnesota herausgefunden. Überhaupt wird’s mit dem Schnurren so richtig spannend.
Ein schnelles kleines Einmaleins des Schnurrens: Katzen schnurren nicht nur, wenn sie sich besonders wohlfühlen, sondern, auch wenn sie hungrig sind oder verletzt, wenn sie Angst haben oder Schmerzen, Katzenmütter schnurren etwa während der Geburt ihrer Babys. Das Schnurren besteht aus Sicht der Wissenschaft immer noch aus weit mehr Fragen denn aus Antworten, aber die Antworten, die man schon abgesichert hat, sind spannend.
Kurz gesagt: Schnurren scheint eine Art hochentwickelter und hochwirksamer Bio-Frequenztherapie zu sein. Vielleicht kennst du Vibrationsplatten, oder du hast meinen Bericht über die echobell gelesen (carpe diem 02/2023).
Solche Geräte folgen ähnlichen Prinzipien, sie übertragen bestimmte Frequenzen auf unseren Körper und setzen damit gewisse Reaktionen in Gang, überhaupt sind ja Frequenzen ein Riesenthema, wenn es darum geht, die Gesundheit und das Leben insgesamt zu verstehen.
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Man weiß mittlerweile zum Beispiel, dass Frequenzen rund um 30 Hertz, das ist ziemlich langsam und klingt als Schnurren daher auch brummig tief, die Heilung von Knochenbrüchen beschleunigen und sogar die Knochendichte erhöhen.
Man vermutet, den Grund dafür zu kennen: dass nämlich diese Frequenzen die kleine Muskulatur rund um die Knochen aktivieren und diese minimalsten Muskelbewegungen die Knochen sanft in Gesundheit und Stabilität vibrieren – und zwar bei Katzen und bei Menschen gleichermaßen.
Das könnte vor allem für ältere Personen, Astronautinnen und Astronauten wichtig sein, also immer dann, wenn Osteoporose ein Thema wird. Ich glaube, es ist eine wirklich gute Idee, deiner Oma eine schnurrende Katze in den Schoß zu legen. Außerdem laufen vielversprechende Forschungen zur Wirkung von Katzenschnurren auf Migräne, gegen Arthrose und Arthritis und zur Unterstützung der Wundheilung.
In Graz haben einige Mediziner ein Gerät entwickelt, das das Katzenschnurren imitiert.
In Graz haben einige Mediziner ein Gerät entwickelt, das das Katzenschnurren imitiert.
In Experimenten mit diesem Gerät haben sie Verbesserungen der Lungenfunktion bei Menschen beobachtet, die an Asthma oder COPD leiden: Zwei Wochen lang täglich zwanzig Minuten angewandt, verbesserten sich Lungenwerte und Wohlbefinden nach ihren Angaben deutlich. Das passt ganz gut zu amerikanischen Erkenntnissen, wonach Katzen, wenn sie sich aus irgendeinem Grund mit dem Atmen schwertun, zu schnurren beginnen. Und dann auch wirklich wieder leichter atmen können.
Selbst die Sache mit den sprichwörtlichen sieben Leben einer Katze wird von manchen Veterinärmedizinerinnen und -medizinern mit dem Schnurren in Verbindung gebracht: Eine Katze tut sich wegen ihrer enormen Geschicklichkeit nicht nur weniger leicht weh als andere Tiere, ihre Verletzungen heilen – und das hat mit ihrer Schnurrfähigkeit zu tun – auch schneller.
Ich will nicht wissen, wie die Redakteure das herausgefunden haben, aber das „Journal of the American Veterinary Medical Association“ berichtet davon, dass von über 130 Katzen, die aus fünften oder sechsten Stockwerken gestürzt waren, mehr als 90 Prozent die Folgen dieses Sturzes überlebten.
Im Bundesstaat Indiana hat man erforscht, wie sich das Betrachten von sogenanntem „Cat Content“ im Internet auf unser Wohlbefinden auswirkt, und tatsächlich: Die meisten der 7.000 Testpersonen waren nach dem Betrachten von Katzenvideos in ihrem Social-Media-Feed zuversichtlicher, motivierter und insgesamt glücklicher. Ich gestehe, ich weiß nicht, ob das als ernsthafte therapeutische Leistung durchgeht, aber „Cat Content“ ist eine gute Überleitung zum letzten Teil dieses Berichts.
Flora ist sich ihrer Verantwortung für meine Gesundheit nämlich nicht so bewusst, wie ich das für angemessen hielte. Sie ist selbst für Katzenverhältnisse eine Diva. Wenn ihr nach Aufmerksamkeit ist, dann verwendet sie den Imperativ, wenn ihr nicht nach Aufmerksamkeit ist, dann auch. Insgesamt kennt Flora kaum eine andere grammatikalische Form als den Imperativ.
Das belastet die Therapeutin-Patient-Beziehung, weil es im Vergleich mit herkömmlicheren Physiotherapeutinnen oder Internistinnen schon ein erheblicher Nachteil ist, dass Behandlungen grundsätzlich nur stattfinden, wenn die Therapeutin Lust drauf hat, und dass sie exakt so lange dauern, wie die Therapeutin darauf Lust hat.
Insgesamt kennt Flora kaum eine andere grammatikalische Form als den Imperativ.
Und manchmal lindert Flora Stress nicht, sondern verursacht ihn. Zum Beispiel ist sie der Grund dafür, dass dieser Text die Redaktion noch verspäteter erreichte als meine anderen Texte.
Das klingt nach „Die Katze hat die Hausaufgabe gefressen, Herr Lehrer“, aber mein Schreibtisch steht in einer Art kleinem Wintergarten, und irgendwann um diese Jahreszeit klettert die Sonne hoch genug, um es durch das Fenster in den Raum zu schaffen. Mein Bürostuhl geht in Floras Eigentum über, sobald er zur Sonnenbank taugt. Sie sitzt also neben mir auf dem Boden, während ich schreibe, mustert mich stundenlang regungslos, sie sitzt da wie eine Sphinx neben einem Mausloch.
Sobald ich aufstehe, springt sie auf den Sessel, es hat was von „Reise nach Jerusalem“, rollt sich ein und knickt augenblicklich weg, und wenn ich drei Minuten später mit meinem Kaffee aus der Küche zurückkomme und sie einvernehmlich zu entfernen versuche – da kann ich in noch so sanftem Ton um ihr Verständnis werben –, faucht sie und pratzelt nach mir. Insofern ist dieser Beitrag eine Premiere, er ist nämlich der erste aus meiner Reihe, der gegen den Widerstand der beschriebenen Therapeutin entstanden ist.
Gisbert Knüphauser beschäftigt sich als carpe diem-Autor mit medizinischen Themen und deren Grenzbereichen.
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