Ein Körper, elastisch wie ein Gummiband
Besonders dehnbar zu sein, gilt fast schon als Statussymbol. Warum die Wirkung des Dehnens oft überschätzt wird, erklärt Strength Coach Kawina Eath.
„Ich möchte flexibler sein“, sagen die Leute, selbst wenn sie in jedem Gelenk über eine ganz normale Bewegungsfreiheit verfügen. Ich frage mich dann oft: Worum geht’s hier eigentlich? Warum sind die Leute so versessen darauf, biegsamer zu sein? Was wollen sie mit dieser „Superkraft“ anfangen?
Was genau haben Menschen mit ihrer Flexibilität vor? Sind sie frustriert, weil sie ihren Rücken an gewissen Stellen nicht kratzen können? Der Antrieb, elastisch wie ein Gummiband sein zu wollen, scheint enorm groß zu sein – als wäre große Biegsamkeit ein Statussymbol.
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Unelastisch heißt nicht unsportlich
Ich denke mir: Wenn die sogenannte Inflexibilität für Eliud Kipchoge gut genug ist, ist sie es auch für uns. Kipchoge ist jener Herr, der die Marathon-Strecke als erster Mensch unter zwei Stunden gelaufen ist. Er ist 48 Jahre alt, und er kann seine Zehen nicht berühren.
Es gibt da eine Anekdote dazu, von jemandem, der mit ihm trainiert hat: „Er war äußerst unflexibel. Nach einem leichten Morgenlauf dehnte ich mit der Gruppe. Die meisten von ihnen waren ziemlich beweglich in den Oberschenkeln, sie standen mit geraden Beinen da und beugten sich vor, um ihre Zehen mit gestreckten Knien zu berühren. Eliud war meilenweit davon entfernt. Er war nicht annähernd in der Lage, seine Zehen zu berühren! Alle haben sich darüber amüsiert.“
Dehnen ist ein Dogma, praktisch eine Religion.
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Was ist so toll am Dehnen?
Wenn Freizeitsportler gefragt werden, weshalb sie dehnen, wissen sie oft nur, dass es eine „gute Sache“ ist. Man lernt das so und beschäftigt sich nicht weiter mit dem Thema. Dehnen ist ein Dogma, praktisch eine Religion. Im Folgenden habe ich ein paar Argumente für das Dehnen vor und/oder nach dem Sport zusammengefasst, die man als Trainer und/oder Therapeut fast jeden Tag hört. Dehnen ist gut für:
- Flexibilität (natürlich)
- Aufwärmen und Verletzungsschutz
- Prävention/Behandlung von Muskelkater
- Behandlung von Sportverletzungen und chronischen Schmerzen
- Leistungssteigerung (z. B. schnelleres Sprinten)
Ich muss dich leider enttäuschen: Alle diese genannten Gründe für das Dehnen sind obsolet. Dehnen hat nämlich nicht diese erhoffte Wirkung, wenn es vor oder nach dem Sport eingesetzt wird.
Überraschend selten wird allerdings eine andere Begründung für das Dehnen genannt: Es fühlt sich toll an! Dehnen ist einfach ein angenehmes Gefühl und eine kleine Pause vom Alltag.
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Flexibel wie ein Yogi-Meister
Wie bei der Kontraktion der Muskeln hat der Körper gute Gründe, die Intensität der Dehnung zu begrenzen. Wenn eine Dehnung unangenehm wird, kommt die Rückmeldung aus dem Nervensystem: „Auf keinen Fall! Wir gehen nicht dorthin!“ Wir können unser Nervensystem in dieser Hinsicht einfach nicht übersteuern. Aber anscheinend kann sich unser Körper an das Dehnen gewöhnen. Wir können lernen, eine intensivere Dehnung bis zu einem gewissen Grad zu tolerieren. Faszinierend! Dies erklärt die Flexibilität von manchen Yogis und Kampfkünstlern.
Dehnen ist einfach ein angenehmes Gefühl und eine kleine Pause vom Alltag.
Die „Dehnungstoleranz“ ist das Geheimnis für Flexibilität. Mit anderen Worten: Die Muskeln ändern sich nicht, insbesondere nicht in Reaktion auf ein durchschnittliches Dehnungsschema, aber unsere Bereitschaft verändert sich sehr wohl.
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Die Toleranz der Muskeln erhöhen
Regelmäßiges Dehnen ist eine Methode, um dem Nervensystem zu vermitteln, dass es in Ordnung ist, sich ein wenig weiter zu bewegen als üblich.
Zweifellos eignen sich einige bestimmte Dehnungstechniken für bestimmte Zwecke. Ich möchte nicht behaupten, dass Dehnung an sich sinnlos ist. Es geht mir vielmehr darum zu zeigen, dass die meisten Menschen sich ohne Absicht und ohne Wirkung dehnen und leider auch unter Ausschluss evidenzbasierter Alternativen, wie z. B. angemessener Aufwärmübungen oder Mobilisierungen.
Es ist nicht einfach, eine signifikante Dehnungstoleranz zu erreichen. Wochen fleißiger Anstrengungen sind erforderlich. Mehr Zeit als die meisten Menschen jemals bereit sind zu investieren.
Dehnen ist stimulierend
Dehnen ist für Menschen allgemein nicht nützlicher als für Katzen – sie tun es morgens für ein paar Sekunden und gehen dann zum Kisterl. Es fühlt sich gut an, es stimuliert und steigert das Körperbewusstsein, es befriedigt einen physiologischen Juckreiz. All diese Dinge sind in Ordnung und gut. Aber Dehnen als zeitraubendes therapeutisches Übungsritual? No way.
Dehnen fühlt sich gut an, es stimuliert und steigert das Körperbewusstsein.
Im Grunde hat Dehnen einfach ein mieses Kosten-Nutzen-Verhältnis. Von Dehnungsübungen verspricht man sich viel zu viel. Sie können gar nicht alle diese großen Erwartungen erfüllen. Insbesondere nicht, was die Vorbeugung von Verletzungen betrifft.
Hat Dehnen andere positive Auswirkungen? Es sind bist dato keine Vorteile einer größeren Flexibilität bekannt. Zum Angeben, um Twister-Turniere zu dominieren oder gewisse indische Liebeshandbücher voll auszunutzen, dafür kann es allerdings gut sein.