Werkzeugkasten für die Seele
Wie bleibt der Lebensmut erhalten? Womit holt man sich selbst wieder aus einem Tief heraus? Wissenschaftsjournalist Bas Kast hat einiges ausprobiert: von Apps bis Kälteschocks, von Meditation bis zu kratzendem Olivenöl.

Gene Clover
Herr Kast, als Bestsellerautor hatten Sie alles: Erfolg, Familie, Gesundheit. Trotzdem fühlten Sie sich leer und depressiv – und probierten vieles, was psychische Gesundheit verspricht, am eigenen Leib aus. Womit haben Sie begonnen, was war Ihr erster Schritt?
Als ich mich immer niedergeschlagener und deprimierter fühlte, begann ich, ein nachhaltiges Interesse für spirituelle Welten zu entwickeln. Ich bin fast jeden Abend mit einer Lektion von Eckhart Tolle eingeschlafen, der unter anderem die Bücher „Jetzt!“ und „Eine neue Erde“ schrieb. Dann entdeckte ich die Meditations- App „Waking Up“, die das Thema sehr wissenschaftlich unterfüttert. Ich habe täglich damit meditiert und schließlich auch einen klassischen MBSR-Meditationskurs besucht, das steht für Mindfulness- Based Stress Reduction.
Also Meditation als Rettungsanker gegen das Stimmungstief?
Ursprünglich ging es mir darum, mehr zur spirituellen Dimension des Menschen zu erfahren – und daraus ein Buch zu machen. Aber dann kam ich drauf: Um die Stimmung in den Griff zu kriegen, geht es nicht nur um Gefühle, um Psychologie und um Spiritualität.
Sondern worum noch?
Es spielen auch sehr profane körperliche Dinge eine Rolle: die Ernährung etwa, Aufenthalte in der Natur, soziale Kontakte oder regelmäßige Bewegung wie Joggen – was ich persönlich immer gemacht habe. Und natürlich geht es auch um chemische Prozesse. Antidepressiva sind ja nichts anderes als chemische Stoffe, die es wieder richten sollen und zum Beispiel das Serotonin im Kopf auf Trab bringen. Wobei die Forschung nicht mehr ausschließlich alles durch die chemische Brille betrachtet. Man sieht Stimmungstiefs mittlerweile eher als ein Problem der Plastizität des Gehirns.
Was heißt das, einfach erklärt?
Dass die Veränderbarkeit des Gehirns eingeschränkt wird, was möglicherweise psychisch mit einem verengten Tunnelblick einhergeht. Bei Depressionen kreisen die Gedanken ums eigene Ich, das versagt hat. Bei der Sucht um den nächsten Drink. Bei Depressionen sind gewisse Hirnareale im Volumen geschrumpft oder unteraktiv. Unser Stirnhirn etwa, der präfrontale Cortex. Oder der Hippocampus, der zuständig ist fürs Gedächtnis, aber wohl auch für unsere Fähigkeit, mit Stress und anderen negativen Gefühlen umzugehen. Das Interessante ist: Selbst wenn die Teile schrumpfen, das Gehirn kann sich regenerieren, im Hippocampus können sogar wieder neue Zellen nachwachsen.

Bas Kast
Für eine stabile Psyche und innere Stärke sollte man dem Hippocampus also Gutes tun. Was mag er? Und was mag er nicht?
Der Hippocampus hat Ähnlichkeit mit einem Muskel. Wird er nicht trainiert und nicht mit guten Nährstoffen versorgt, degeneriert er. Insofern: Das viele Sitzen im Alltag und Bewegungsmangel – das mag der Hippocampus gar nicht. Auch übermäßiger Alkohol, schlechter Schlaf und Stress in Form eines Gefühls ständiger Überforderung schaden ihm wie dem Gehirn generell. Genauso wie Entzündungsprozesse im Körper, die unsere moderne Lebensweise fast automatisch mit sich bringt – durch Fast Food, Zucker, Lichtund Frischluftmangel.
Und was tut dem Hippocampus gut?
Er liebt intellektuelle Herausforderungen jeglicher Art: anregende Gespräche oder das Lernen einer Fremdsprache. Ebenfalls eine typische Hippocampus-Aufgabe ist, durch unbekanntes Gelände zu manövrieren, also wenn man körperliche Anstrengung mit räumlicher Orientierung oder sonst einer intellektuellen Stimulation kombiniert.
Dass heißt, er braucht Bewegung und Denksport?
Durch die Bewegung wird die Neurogenese angeregt, und es bilden sich neue Nervenzellen. Diese Zellen verschwinden aber leider schnell wieder, wenn sie vom Hirn nicht genutzt werden.
Sie haben vorhin erwähnt, dass die Ernährung eine Rolle spielt. Was sollte ich mehr essen? Was weniger?
Mittelmeerkost ist die einzige Ernährungsweise, bei der nachgewiesen werden konnte, dass sie bei ungefähr einem Drittel der Patienten klinische Depressionen so gut wie herkömmliche Medikamente lindert.
Also mehr Pizza und Pasta bolognese?
Könnte man meinen, nicht? Leider sind das keine Paradebeispiele für die klassische Mittelmeerkost, obwohl man sie durchaus einmal genießen kann. Nein, es geht vor allem um Hülsenfrüchte, zum Beispiel Hummus, um Obst und Gemüse, entzündungshemmende Tomaten, Omega-3-reichen Fisch, Vollkornbrot – und natürlich reichlich Olivenöl. Am besten eines, das im Hals kratzt.
Warum soll mein Olivenöl kratzen?
Es ist ein Gütekriterium. Das Kratzen und die Bitterkeit werden durch heilsame Polyphenole hervorgerufen. Das sind Stoffe, mit denen sich Pflanzen gegen Angriffe schützen. Einem Forscher ist aufgefallen, dass das Schmerzmittel Ibuprofen – ein Entzündungshemmer – ähnlich im Hals kratzt wie manches Olivenöl. Ein kleines Glas (50 Gramm) kaltgepresstes Olivenöl entspricht etwa zehn Prozent der Wirkung einer Ibuprofen-Tablette. Aber man weiß auch von einzelnen Gewürzen, dass sie sich positiv auf die Stimmung auswirken.
Welche Gewürze sind das?
Vor allem bei Kurkuma und Safran ist dies klar nachgewiesen. Beide wirken übrigens auch bei Menschen, die nicht unter Depressionen leiden. Und beide kurbeln auch die Neurogenese im Hippocampus an. Ebenso Kreatin, ein Nahrungsergänzungsmittel, das viele Sportler für den Muskelaufbau nehmen; es scheint dem präfrontalen Cortex Energie zu geben und könnte gegen Stimmungstiefs wirksam sein – allerdings sind die Erkenntnisse dazu noch sehr vorläufig.

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Bas Kast
Eine Strategie für innere Stärke, die Sie in Ihrem Buch erwähnen, ist auch, sich in schrecklichen Gedanken zu üben und quasi den Teufel an die Wand zu malen.
Ich weise in meinem Buch ausdrücklich darauf hin: Wer zu Depressionen neigt oder in einer schlechten Phase steckt, sollte das bitte nicht (!) machen. Aber wenn es einem grundsätzlich gut geht und man das Alltagsglück aus den Augen verloren hat, kann der Stoizismus – so nennt sich die philosophische Richtung dahinter – durchaus hilfreich sein. Seneca meinte: „Du musst nicht warten, bis du wirklich krank wirst, um das wieder würdigen zu können, was du hast. Du kannst dieses Unglück auch geistig vorwegnehmen.“
Wie kann so eine Gedankenübung aussehen?
Ein Beispiel: Warten in der Supermarktschlange. Nichts geht voran, und du fängst an, dich aufzuregen. Was verständlich ist, aber zugleich dein Problem verdoppelt. Der Stoizismus würde jetzt vorschlagen: „Hey, versuche dir bewusst zu machen, wie viele Leute heute zum Beispiel eine tödliche Diagnose bekommen haben – und du wurdest verschont! Du kannst nach der Kassenschlange vollkommen gesund nach Hause gehen mit all diesen Lebensmitteln.“ Man kann die Sache aber noch weiterdenken: „Irgendwann einmal werde ich selber diese tödliche Diagnose bekommen oder im Alter von neunzig Jahren nicht mehr imstande sein, selbst zum Supermarkt zu gehen. Dann wäre diese Schlange jetzt mein geringstes Problem, sie wäre ein Segen!“ Stoizismus heißt: „Wach auf! Dieser Traum, von dem du dann träumen wirst – das ist jetzt deine Realität!“
Studien zeigen auch, dass psychische Gesundheit und innere Stärke immer wieder Stress brauchen.
Ja, Stress war für unsere Vorfahren meist etwas Kurzfristiges und Körperliches: Hunger, Kälte, ungewöhnliche Hitze. Im heutigen Komfort erleben wir das kaum mehr. Aber sich ab und zu kontrolliert diese Art von kurzfristigem Stress zuzufügen holt den Körper aus seiner Lethargie, es wirkt belebend und erhöht langfristig die Stressresilienz.
Also Fasten, Eisbaden, Sauna?
Ja, zum Beispiel.
Was davon war für Sie am hilfreichsten?
Für mich persönlich die Eisbäder.
Warum?
Geht beim Eisbaden der Oberkörper unter Wasser, entwickelt man unwillkürlich Schnappatmung, so, als würde man eine Panikattacke bekommen. Aber das Bemerkenswerte ist, dass man sich auch allmählich beruhigt. Man bekommt die „Panikattacke“ in den Griff. Man trainiert im Grunde die eigene Stressreaktion.

Bas Kast
Kommen wir zu einer eher kontroversen Strategie, die Sie ebenfalls ausprobiert haben: Psychedelika, bewusstseinsverändernde Substanzen, die hierzulande illegal sind.
Bewusstseinsverändernde Substanzen erfahren derzeit eine Renaissance in der Psychiatrie, weil Forscher zunehmend entdecken, dass in ihnen auch eine therapeutische Kraft steckt. MDMA, auch unter dem Namen Ecstasy bekannt, soll in den USA noch heuer oder 2024 als begleitende Medizin bei posttraumatischen Belastungsstörungen zugelassen werden. Ob es in der Folge auch bei uns als Begleitwerkzeug in der Psychotherapie zugelassen wird, weiß man noch nicht.
Sie haben MDMA unter Aufsicht einer Therapeutin eingenommen. Was hat es für Sie bewirkt?
Es hat meinen inneren Kritiker ausgeschaltet und mir einen Perspektivenwechsel erlaubt, der nicht auf intellektueller Ebene passierte, sondern auf der Gefühlsebene.(*)
Können Sie ein Beispiel geben?
Meine Frau war mir ein paar Tage vor der Einnahme spontan um den Hals gefallen und meinte: „Ich hab den tollsten Ehemann der Welt.“ Und obwohl mich das damals natürlich freute, hab ich auch gemerkt, wie mein Hirn sofort meinte: „Tollster Ehemann?! Das ist vielleicht ein bisschen dick aufgetragen.“ Unter dem Einfluss von MDMA – es flutet das Gehirn massiv mit Serotonin und löst unter anderem ein Gefühl tiefer Entspannung, Euphorie und Empathie aus – erlebte ich diese Szene noch mal, aber ohne meinen inneren Kritiker und damit als puren Liebesbeweis. Auch andere Szenen erschienen wie durch eine rosarote Brille.
Die rosa Brille ist aber nicht von Dauer.
Das ist auch gut so. Du willst ja realistisch aufs Leben gucken. Aber die Erinnerung an das Erlebte hat in mir stark nachgehallt. Heute weiß ich: „Hey, nicht die Welt, die Personen oder die Umstände sind negativ – ich färbe sie negativ ein.“ Das bis in die Knochen gefühlt zu haben war prägend. Wohlgemerkt: Ich habe das nicht (!) in Eigenregie ausprobiert, sondern unter Aufsicht.

Mike Meyer / Bettelsmann
Was beim Lesen Ihres Buchs überrascht hat, ist, wie unsere zunehmende Entfremdung von der Natur mit steigenden Zahlen von ADHS in Verbindung steht.
Ja, aber man weiß mittlerweile auch: Geht man mit Kindern, die an ADHS leiden, zwanzig Minuten durch einen Park spazieren, bessert sich ihre Aufmerksamkeit ähnlich stark wie mit klassischen Medikamenten wie Ritalin. Der Effekt stellt sich nicht ein, wenn man zwanzig Minuten durch die Stadt geht.
Wie viel Zeit sollten wir in Sachen psychischer Gesundheit mindestens draußen verbringen?
In einer britischen Studie haben sich zwei Stunden Naturkontakt pro Woche als gute Mindestdosis ergeben. Naturpyramiden, ähnlich wie Ernährungspyramiden, empfehlen, einmal täglich in Kontakt mit den Elementen zu kommen – durch Gartenarbeit, Spaziergänge im Park etc. Einmal wöchentlich wäre Wandern oder Waldbaden ideal. Auch erstaunlich ist: Je mehr Bäume in einem Stadtviertel stehen, desto weniger Antidepressiva werden dort verschrieben – und das liegt nicht daran, dass diese Gegend etwa reicher ist.
Warum hat die Natur solche Auswirkungen auf unsere Stimmung?
Natur wirkt auf unser reizüberflutetes Gehirn wie eine Verschnaufpause. In Hirnscans zeigt sich, dass die Amygdala – der Mandelkern, der unter anderem dazu da ist, Bedrohungen wahrzunehmen – von der Aktivität heruntergefahren wird, während er in der Stadt hochaktiv ist.
Nach allem, was Sie inzwischen durch Ihre Recherchen und Selbstversuche wissen – wie sieht ein idealer Tag für unsere Psyche aus?
Mein erster Tipp wäre: Aufstehen, sobald es draußen hell ist. Danach geht es erst mal eine halbe Stunde raus für Bewegung und Licht – etwa durch Joggen, Spazierengehen, Radeln, Gärtnern. Zu Hause wird kalt geduscht, und dann gibt es Frühstück, vielleicht Joghurt mit Blaubeeren, Vollkornbrot mit Ei, Gemüse. Und geistige Anregung wäre gut, in Form von Meditation oder einer intellektuellen Aufgabe.
Und tagsüber?
Wichtig wäre, Bewegungspausen zwischen der Arbeit einzulegen, also ein paar Minuten hinausgehen und Licht tanken. Ebenso begrüßenswert: untertags einmal Hunger zu verspüren, was stoffwechseltechnisch zur Bildung von sogenannten Ketonkörpern führt, die entzündungshemmend und damit womöglich auch stimmungsaufhellend wirken.

Bas Kast
Und abends?
Ein mediterranes Abendessen mit der Familie oder guten Freunden. Mit Gemüse, Salat, Fisch, Olivenöl. Und dann, anderthalb Stunden bevor man ins Bett geht, ein Saunagang oder ein heißes Bad – das ist ein wunderbares Einschlafmittel.
Hand aufs Herz: Wie oft schaffen Sie das alles selbst? I
ch schaffe täglich Elemente davon, etwa das Lichttanken, Bewegung durch Joggen oder auch mal ein Krafttraining, soziale Kontakte – ich habe drei Kinder. Auch meine Ernährung ist relativ gut. Das Fastengefühl klappt oft, Eisbaden und Sauna leider nur ab und zu, aber immerhin regelmäßig.
Das heißt, Ihnen geht’s wieder gut.
Ja. Das liegt sicher an den Strategien. Noch hilfreicher ist aber die Zuversicht, dass man selber eine Menge tun kann für das seelische Wohlbefinden – und vieles von dem lässt sich schnell und preiswert umsetzen.
(*) Es handelt sich dabei ausdrücklich um die persönliche Erfahrung von Bas Kast. carpe diem weist darauf hin, dass MDMA bei uns nicht legal ist und beispielsweise für Personen mit Vorerkrankungen gefährlich sein kann.

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Schritt für Schritt kommen wir zur Ruhe und halten inne – Wandern ist ein wahres Wundermittel. Wir verraten, welche positiven Auswirkungen der Sport auf unsere Gesundheit hat und an welchem Ort sich Wellness und Wandergenuss vereinen lassen. Weiterlesen...