Eine Reise in die Wüste und zu mir selbst
Autorin Janina Lebisczcak nimmt uns auf eine Reise in die Wüste mit. Dort erfährt sie unter dem Sternenhimmel alles über die eigene Größe und was Vollkommenheit bedeutet.
An Tagen wie diesen denke ich gerne an die Wüste zurück – immer wenn ich Klarheit brauche, immer wenn die Welt aus dem Fugen gerät, meine persönliche oder die große, ganze. Die Wüste ist nachts kalt und klar wie das Wasser und tagsüber voller Leben. Die Wüste ist wie das Fegefeuer – für alle von euch, die als Kind mit der Bibel aufgewachsen sind –, nicht ganz hier, nicht ganz drüben. Weil da nichts ist, woran man sich anhalten kann. Und nachts, wenn Millionen Sterne am Himmel leuchten, dann spürt man seine eigene Winzigkeit ganz tief. Und das ist gut so.
Egal welcher Typ Mensch du bist, in der Wüste findest du alles, was du brauchst. Nämlich nichts. Genau dann beginnt die Reise zu dir selbst, inmitten der endlosen Sanddünen, weit weg von Organisation, Alltag und Internetverbindung. Gleichzeitig ergreift die Unendlichkeit der gewaltigen Naturlandschaft die Seele.
Der Weg ist das Ziel, oder?
Timbaine, so nennen die einheimischen Nomaden die Sandbucht am Fuße des Tafelberges. „Von Weitem sichtbar“ bedeutet das Wort aus dem Berberdialekt. In meiner ganz persönlichen Übersetzung könnte man auch „die Freude ist groß“ dazu sagen, denn nach dreistündiger Fahrt mit dem Geländewagen über Sandpisten und hochschaubahnartigen Dünenstrecken ist der Magen verwirrt und der Berg, ganz zweifelsfrei, das Ziel und nichts anderes. Aber es lohnt sich. Denn dann ist man da – im Camp Mars, der Platz, der die Sicht auf die Dinge für immer verändern sollte ... Und tatsächlich, die erste Nacht fühlt sich wirklich wie auf einem anderen Planeten an ...
Meditation bei Sonnenaufgang
Der Tag beginnt sehr früh in der Sahara. Die Neugier, den Sonnenaufgang zu erleben – und, okay: möglichst tolle Fotos davon zu knipsen –, siegt über den Schlaf. Es ist taufrisch unter meinen Fußsohlen, die Feuchtigkeit macht den Sand hart und trittfest. Barfuß der Morgenröte entgegen, kitschiger geht’s gar nicht. Bevor sich der Feuerball über den Horizont schiebt und die letzten Sterne am pastellblauen Himmel verblassen, spaziert eine Dromedarfamilie vorbei. Sie sind einfach, wie soll ich es sagen – vollkommen. Das geht schon tief rein, so was, da kann man nicht mal als überzeugter Zyniker widerstehen: Eine Welle der Dankbarkeit flutet mich und in mir wird es ganz ruhig. Meditation bei Sonnenaufgang, das ergibt sich in der Wüste wie von selbst.
Am Weg zum Frühstücks weht mir der Duft von frisch gebackenem Brot entgegen. Tatsächlich schiebt Camp-Guide Ali gerade die heiße Glut vom Lagerfeuer des Vorabends zur Seite und holt einen knusprigen Fladen aus dem Sand. Dazu gibt es Kaffee, Tee und ein bisschen Olivenöl – und das reicht völlig. Unser Vorstoß tiefer in die Wüste beginnt danach, zwischen Matmata und Douz, hier biegen die Jeeps plötzlich von der Straße ab ins weite, warme Nichts.
Es geht weiter in Richtung Süden, zumindest deutet das der Sonnenstand an, denn Hinweisschilder gibt es hier keine. Nur noch weichen Sand. Und die Kamelherde mit frisch geborenen Fohlen. Gerade mal einen Tag alt, hoppeln sie x-beinig den Mamas hinterher. Skorpione und Schlangen scheinen dafür gar kein Thema zu sein, zumindest nicht in den Wintermonaten. Barfuß über die Dünen zu laufen ist erlaubt – und unvergesslich.
Du wirst Sterne haben, wie sie niemand hat.
Antoine Saint Exupéry
Als es Nacht wird im Camp Mars: „Siehst du den kleinen Wagen?“, fragt meine Freundin in andächtiger Beobachtung des Sternenhimmels. „Nein, aber den Stau auf der Südost-Tangente“, so könnte man die Milchstraße nämlich auch beschreiben, meint eine andere und schiebt sich ein Kissen in den Nacken. Es ist kälter geworden, seitdem das Lagerfeuer nur mehr Glutwärme von sich gibt, wir kuscheln uns in flauschige „Burnousse“, eine Art Kaftan für reitende Nomaden, und suchen nach Sternbildern.
Dabei scheinen wir selbst immer kleiner und unbedeutender zu werden. Der Mega-Screen des Universums liefert das Abendprogramm, ganz ohne Fernbedienung und Wi-Fi. Riadh Mnif, unser Gastgeber, gesellt sich mit einer Flasche Rotwein zu uns. Bis tief in die Nacht philosophieren wir über „Magon“, die Weinmarke und den karthagischen Feldherrn, der schon in der Antike erste schriftliche Überlieferungen über Weinanbau in Tunesien festgehalten hatte.
Später, auf der Suche nach unseren Zelten, stellen sich nur noch zwei Fragen: Wann sind wir eigentlich hier angekommen? Und: Muss man eigentlich jemals wirklich wo ankommen, um glücklich zu sein? Jeder Schritt, egal ob auf weichen Dünen oder nicht, ist es wert, gegangen zu werden.
Für mehr Fernweh lies den inspirierenden und tiefgründigen Reiseblog unserer Weltreisenden Waltraud Hable.