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Eins vorweg: Niemand muss kopfstehen. Du auch nicht. Aber du könntest natürlich – und es ist ein Riesenspaß. „Weil man die Welt anders sieht“, sagt Open-Taekwondo-Weltmeister Ronny Kokert. „Es kitzelt den kindlichen Spielwitz und die Kreativität. Und es ist ein wunderbares, erhebendes Gefühl, zu erkennen: Hoppla, ich kann das!“ Das bestätigt auch Movementcoach Katharina Havlicek. Katharina arbeitet mit Menschen daran, ihre natürlichen Bewegungsmuster wiederzuentdecken – also all das, was wir eigentlich können (oder können sollten), weil es seit unserer „Zeit als Affe“ evolutionär in uns angelegt ist.

Bloß verwenden wir es nicht mehr dank Schreibtisch, Trottoir, Aufzug und Zustelldienst. Und Katharina stellt klar: Ein Kopfstand gehört zu diesen naturgegebenen, ursprünglichen Bewegungsmustern gar nicht dazu. Laufen, springen, werfen? Unbedingt. Klettern? Ja, bitte. Komplexe Umkehrpositionen? Muss nicht sein. „Die könnte man für viele Menschen mit dem süßen Nachtisch eines Dreigängemenüs vergleichen: Er bringt Freude, aber ohne ihn hätten wir auch schon ausreichend Nährstoffe – hier: Bewegungsreize – aufgenommen.“ Unsere baumbewohnenden Vorfahren mussten vielleicht ab und zu einmal eine Kokosnuss aufheben. Aber generell benötigten sie keine Kopfüberpositionen, um zu überleben – und wir brauchen sie auch nicht. Doch was wäre das Leben, wenn es nur aus Dingen bestünde, die man rein zum Überleben braucht? Stinklangweilig! Eben.

Kopfüber

Bild: Ulrich Zinell

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„Inversions“, also all jene Körperpositionen, bei denen der Kopf tiefer liegt als die Hüfte, haben die Umkehrung schon im Namen. Wer von unten nach oben schaut, wer mit den Zehen wackelt, um die Wolken zu kitzeln, dem schenkt das Leben eine neue Perspektive und eine neue Herausforderung. Denn wo alles verkehrt ist, gelten auch andere Regeln. Wenn ich auf dem Kopf stehe, dann weiß ich mitunter, dass ich jetzt links etwas anspannen müsste, um die Balance zu halten – aber wo ist links? Und wie steuere ich diese Muskeln an?

Körperteil-Puzzle

Es ist also gar nicht so einfach. Bei Menschen, die sich gern bewegen und sportlich nicht auf der Nudelsuppe dahergeschwommen sind, mangelt es meistens ohnehin nicht an Kraft. Doch wie der Körper funktioniert, wenn wir ihn auf den Kopf stellen, bleibt knifflig. Probier es aus: Dafür brauchst du gar keinen perfekten Handstand, häng dich einfach kopfüber von einer Reckstange. Und jetzt kreise mit dem linken Fußgelenk. Na? Oder ziehe das rechte Knie zur Brust ... Der war gut, gell?

Allein schon deshalb sind Inversions ein spannendes koordinatives Training. Obendrein schulen sie den Gleichgewichtssinn. Fazit: Wenn man die Hände die ganze Zeit für etwas verwendet, für das eigentlich die Füße gedacht sind – dann tut sich etwas! Was genau sich da tut – daran scheiden sich allerdings die Geister. Zumindest wird kurzfristig die Durchblutung angeregt. Und wer schwere Beine hat, spürt sofort eine Erleichterung. Eh klar: Das Herz arbeitet den ganzen Tag, um das Blut bis in die Fußspitzen zu pumpen. Hinunter geht das leicht, da hilft die Schwerkraft. Der Rückweg hingegen ist beschwerlich; Herz und Beine danken es dir also, wenn du ihnen ein Stück Arbeit abnimmst (das muss nicht gleich zirkusreif sein, hin und wieder die Beine hochzulagern tut’s auch). Außerdem zwingt eine Kopfüberposition zu fokussieren, sonst kannst du nämlich nicht Balance halten – und dein Hirn liebt diese Art von Vertiefung und entspannt sich dabei.

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Umkehrübung: Meine verkehrte Welt

„Der beruhigende Effekt kommt aber auch daher, dass wir uns von der Welt wegbewegen“, erklärt Yogalehrerin Beate McLatchie. „Das passiert bereits bei einer Vorwärtsbeuge: Es ist wie eine Schnecke, die sich in ihr Haus zurückzieht. Dieses Umdrehen bringt dich in deine eigene Welt hinein – da gibt’s für einen Moment lang nur dich und deinen Körper. Alles, was dich stresst, lässt du draußen.“

Schließlich ist da auch noch die spirituelle Komponente des Perspektivenwechsels. „Im Yoga geht es ganz viel um Energiezentren, um Chakren“, sagt Beate. „Die bauen sich – kleiner Exkurs – eigentlich ganz klassisch auf: von unten nach oben, wie bei der Maslowschen Bedürfnispyramide. Unten bei den Füßen und im Becken ist alles angesiedelt, was wir zum Überleben brauchen: Hab ich genug zu essen, einen Platz zum Wohnen? Erst wenn diese unsere Grundbedürfnisse geregelt sind, können wir uns anderen Themen zuwenden, zum Beispiel der Kreativität. Die verorten wir im Yoga in der Herzgegend. Und dann steigen wir höher: zur Intuition und zur Spiritualität, zu einer Art Bewusstsein, das unsere eigene kleine Welt öffnet, hin zu einer größeren universellen Verbundenheit mit allem. In unserem Körper verorten wir das auf Stirnhöhe, beim sogenannten dritten Auge.

Viele Übungen im Yoga zielen darauf ab, die Energie aus den unteren Energiezentren rauszubekommen und nach oben fließen zu lassen.“ Und was passiert, wenn wir uns auf den Kopf stellen? „Dann beschleunigt sich dieser Vorgang. Die Energie fließt automatisch dorthin, wo wir sie gern haben möchten. Im Hinduismus heißt das Soma, der sogenannte Nektar der Unsterblichkeit, der uns dabei in unser Kronenchakra tropft.“

Wie sich das anfühlt? „Nach großer innerer Zufriedenheit“, sagt Beate. – „Nach Abenteuer, Kreativität und Spielwitz“, sagt Ronny. – „Nach Spaß“, sagt Katharina.

Ist schon so: Niemand muss kopfstehen. Aber du könntest natürlich!

Nachgefragt bei:
DI (FH) Katharina Havlicek, Movement Coach (Sporthalle Wien);
Ronny Kokert, Weltmeister im Open Taekwondo und Shinergy-Gründer; Beate McLatchie, Leiterin der Yoga- lehrer-Ausbildung (Bali Yoga Wien)