Ich schreibe über Biohacking. Ich podcaste über Biohacking. Freunde und Familie rufen mich an, wenn sie Kollagen einnehmen wollen oder das richtige Magnesium, wenn sie schlecht schlafen, zu viel furzen oder mit dem Meditieren beginnen wollen. Alle tun so, als wäre ich unaufhaltsam auf dem Weg zu einer Art Perfektion, manchmal sogar ich selbst.

In Wahrheit bin ich so weit weg von Perfektion, wie man nur weit weg sein kann. Zwar schreibe ich diese Kolumne, während ich in einer hyperbaren Sauerstoffkammer liege, nachdem ich einen Tag, den ich mit Atemübungen und HIIT-Workout begonnen hatte, am Stehschreibtisch verbracht habe.

Aber weil es Freitagnachmittag ist, werde ich danach kein Workout mehr einschieben, nicht einmal ein kleines, auch kein Eisbad und keine Sauna, ich werde nicht waldbaden oder Wim-Hof-atmen. Ich werde mir eine Flasche nicht ganz histaminfreien, aber unfassbar guten Weißburgunder von meinem südoststeirischen Lieblingswinzer aufmachen, ein frisches Brot (nicht glutenfrei) in dicken Scheiben aufschneiden, ordentlich Butter drauf und Käse und Schinken. Und wenn ich mit all dem fertig bin, wird noch eine Tafel Schokolade dran glauben müssen. Keine edle mit 99 Prozent Rohkakao. Sondern Milchschokolade. Mit Karamell und Meersalz. Dann werde ich mir irgendwas auf Netflix reinziehen, das mein Gehirn mehr verklebt als Karamell den Magen. Und ich werde dabei garantiert keine Blueblockerbrille tragen. Ins Bett fallen werde ich anschließend – ich entlehne die Formulierung von der Kollegin Dorner – leicht angeschickert. (*)

Anzeige
Anzeige

So schaut’s aus.

Ich weiß schon jetzt, dass mein Oura-Ring morgen einigermaßen irritiert reagieren wird. Er wird einen Schlafscore von maximal 70 auswerfen, er wird mich für meinen Ruhepuls und meine Herzratenvariabilität rügen und mich insgesamt für plemplem halten.

Ich tue also heute, wenn ich mit dem Schreiben dieser Kolumne fertig bin, genau das, wovon ich Ihnen in dieser Kolumne normalerweise abrate. Ist das eine völlig absurde, exotische Ausnahme in einem ansonsten perfekt optimierten Leben? Nein. Ich bin einfach nur ganz normal. Ich bin ein Unter-der- Woche-meistens-Optimierer und ein Es-am- Wochenende-ziemlich-schleifen-Lasser. Unter der Woche werde ich vielleicht 120, am Wochenende nicht einmal 80.

Ich weiß, dass ich an einem Abend wie dem, auf den ich mich gerade freue, meine Entgiftungsphase 2 in den Kollaps treibe und dass meine Mitochondrien den Samstag für einen Achttausender halten werden, ohne Sauerstoff. Würde ich meine Freitagabende lieber bei gefiltertem Wasser, Meditationsklängen und einem Sachbuch zu Nahrungsergänzungsmitteln verbringen? An manchen Samstagmorgen schon. An Freitagabenden nie.

Anzeige
Anzeige

Ich erzähle Ihnen das, weil ich Biohacking für nichts Abgehobenes halte. Biohacking ist etwas, das ganz normale Leute machen, damit es ihnen besser geht. Biohacking ist keine Religion, sondern ein Werkzeug. Ein extrem tolles Werkzeug und nicht einmal eines, das 24/7 bedient werden muss. Ich liebe Eisbaden (also die Wirkung mehr als das Erlebnis, zugegeben). Ich bin begeistert davon, was Erdung und Sauna für mich bringen, und ohne Magnesium wäre mein Leben sehr viel schlechter. Ich würde auf nichts davon verzichten wollen. Aber will ich deswegen auf Käsebrot, Schinken, Mayonnaise und den sehr wahrscheinlich besten Weißburgunder der Welt verzichten? Nein.

Dass ich heute vorm Lichtabdrehen das WLAN und das Handy abdrehe, mir den Mund zuklebe und die Erdungsschlaufe um das Sprunggelenk binde, tu ich nur, weil sich das als Schlussgag für eine Biohacking- Kolumne anbietet. Und jetzt prost!

(*) Maximal raffe ich mich dazu auf, vor •dem Schlafengehen noch je eine Kapsel Alpha-Lipon- säure und Vitamin-B-Komplex mit je einem halben Gramm Vitamin C und Magnesium sowie zwei Gramm N-Acetyl-L-Cystein und Glycin mit einem ordentlichen Schluck lithiumhaltigen Wassers runterzuspülen. Das stimmt den nächsten Morgen erheblich gnädiger.

Stefan Wagner

Foto: Martin Kreil

STEFAN WAGNER ist Biohacker, das heißt, von dem Gedanken beseelt, Gesundheit und Leistungsfähigkeit von Körper, Geist und Seele durch verschiedenste Maßnahmen zu verbessern – um so länger und besser zu leben. Bis 120, hat er sich vorgenommen. Mindestens.

Weiterlesen?

Sämtliche Kolumnen von Stefan Wagner findest du hier.